Streit um Israel im PEN Berlin: Keine Frage der Balance
Im PEN Berlin mehren sich die Austritte. Ehemalige Mitglieder kritisieren die fehlende Positionierung des Schriftstellerverbands zu Israel.
Der PEN International war mit Stellungnahmen schnell dabei: Am 10. Oktober, drei Tage nachdem die Hamas Israel angriff, über 1.200 Menschen tötete, Geiseln nahm, folterte und vergewaltigte, war man sich in London bereits sicher, dass „die Jahre der Besatzung und der politische Stillstand“ zu der Gewalt geführt hatten. Auch vom „Apartheidsystem“ in Israel wusste man wieder zu berichten.
Während das PEN-Zentrum Deutschland Abstand vom Dachverband nahm und seinerseits eine Solidaritätserklärung mit Israel veröffentlichte, blieb der PEN Berlin stumm. Es gebe keinen „Bekenntniszwang“, betont immer wieder Deniz Yücel, der dem PEN Berlin zusammen mit der Schriftstellerin Eva Menasse als Sprecher des Boards vorsteht. Doch eben diese Haltung des Schriftstellervereins sorgt bei einigen Mitgliedern für Unmut. Seit Wochen sind Stimmen zu vernehmen, die eine fehlende Positionierung zu Israel beklagen, Austritte waren die Folge.
Ruhmsucht unterstellt
Auch Schweigen sei eine Haltung, schreibt etwa die Journalistin Ramona Ambs in der Jüdischen Allgemeinen. Sie merkt an, dass der Schriftstellerverband auch bei Themen, die nicht die Freiheit von Autor:innen betreffen, Statements abgebe; etwa zur Kriminalisierung der Klimaaktivist:innen von der Letzten Generation. Den Ausschlag für ihren Austritt aus dem PEN Berlin habe jedoch nicht die Position zu Israel, sondern die „herablassende Art“, mit der Yücel und Menasse auf die Kritik am PEN Berlin reagierten, gegeben. Ambs lehnte ein Interview mit der taz zu ihrem Austritt ab. Sie sehe sich gerade zu sehr mit Anfeindungen und Beschimpfungen konfrontiert, sagt sie.
Der Journalist Michael Wuliger war unter den Ersten, die den PEN Berlin verließen. Auch er beklagt eine Schlagseite des Verbands und kritisiert vor allem Eva Menasse, die in einem Interview mit Deniz Yücel in der Berliner Zeitung den ausgetretenen Mitgliedern Ruhmsucht unterstellt: „15 minutes of fame, um einem jungen Verein zu schaden.“ Sich öffentlich so zu äußern sei nicht nur schlechter Stil, sondern auch dumm, meint Wuliger. „Es erinnert mich an Erich Honeckers Äußerungen zu den DDR-Ausreisenden 1989: ‚Wir weinen ihnen keine Träne nach‘.“
Gegen Antisemitismus, egal woher
Immer wieder ist im Gespräch mit ehemaligen PEN-Berlin-Mitgliedern von diesen folgenschweren „15 minutes of fame“ die Rede. Ungeschickt sei die Formulierung gewesen, das sagt auch Joachim Helfer, der zusammen mit acht weiteren Autor:innen und den beiden Sprecher:innen dem Board des PEN Berlin angehört. Er verweist im Gespräch mit der taz jedoch auch auf die Lesungen, die der Verband nach dem 7. Oktober organisiert hat und die viel gelobte Rede von Yücel auf der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Pogromnacht in Hamburg.
Die Haltung Yücels ist eigentlich klar. Gegen Antisemitismus, egal, ob er von Nazinachfahren oder Muslimen kommt, und gegen Ja-aber-Haltungen zu Israel schreibt der Welt-Korrespondent seit Jahren an. Die Position Menasses ist ebenso bekannt. Sie hält daran fest, dass auch in Deutschland Israel kritisiert werden darf. Seit einigen Jahren, so schrieb sie am Dienstag in der NZZ, werden jedoch „die Linien besonders bei Verdacht auf Antisemitismus enger gezogen“.
Eigentlich müssten die beiden Board-Sprecher:innen so doch ausgewogen durch die Krise kommen. Doch ausgeglichen wirkt der PEN Berlin von außen betrachtet nicht, dafür wird mittlerweile sprachlich zu schweres Geschütz aufgefahren, Stichwort „Gesinnungsschnüffelei“. Produktiver Streit, so scheint es, kommt beim Thema Israel ganz schnell an seine Grenzen.
Ein Hauch von Trotz
Zum zweiten Mal lädt der PEN Berlin am Samstag zum großen Kongress ein. An der eingeladenen Festrednerin A. L. Kennedy stören sich nun ebenfalls einige. Es stimmt, die britische Schriftstellerin war bereits vor dem 7. Oktober eingeladen worden.
Dass man von der BDS-Nähe Kennedys jedoch nichts gewusst haben will, wie etwa Menasse erklärt, wirkt wenig glaubwürdig. Kennedy sprach sich unter anderem 2018 für den Boykott des Eurovision Song Contest in Israel aus. In einem der ersten Artikel, die nach einer schnellen Google-Suche ihres Namens auftaucht, prognostiziert sie im Frühjahr im Gespräch mit der NZZ angesichts der Gesundheitspolitik Englands, das Land „steuere mit einem staatlich tolerierten Euthanasieprogramm auf einen Genozid zu“. Antisemitisch ist das wahrlich nicht, skurril aber allemal.
BDS-Positionen wie Kulturboykotte, das bekennt Eva Menasse im Interview mit der Berliner Zeitung, seien mit den Werten der PEN-Charta unvereinbar. Die Frage bleibt: Warum jenen eine Plattform bieten, die andere Stimmen zum Schweigen bringen wollen? Aus Angst, der „Cancel Culture“ Vorschub zu leisten, denjenigen das Mikro reichen, die mit Leidenschaft selbst „canceln“? Toleranz gegenüber Intoleranten, ein Hauch von Trotz umweht diese Haltung irgendwie immer.
Klingt nach Cancel Culture
Mitunter gibt es weltpolitische Ereignisse, die so weit reichen, dass sie auch im Kulturbetrieb kurzfristige Anpassungen legitimieren. Man braucht hier gar nicht mit dem reichlich angestaubten Wort „Anstand“ zu operieren, aber „Empathie“ ist nicht verboten. „Kurzfristige Anpassungen“, wiederholt Deniz Yücel am Telefon, klingen für ihn jedoch eher nach Cancel Culture. Er hält an A. L. Kennedy fest, die er für ihre Literatur schätzt. Im Übrigen, sagt er, gebe es durchaus auch Mitglieder, die die Haltung des PEN Berlins als zu eindeutig proisraelisch einstuften.
Auf dem PEN-Berlin-Kongress soll in zwei Panels auch über den Nahostkonflikt gesprochen werden. Geladen zur Diskussion über Israel und Palästina sind Gäste, die erklärtermaßen ein Problem mit dem unverhandelbaren Existenzrecht Israels haben, zur Tabuisierung palästinensischen Leids in Europa forschen und mit der „School for Unlearning Zionism“ eine Vortragsreihe zur „Dekolonisierung“ organisierten. Versöhnliches darf man wohl höchstens von Tomer Dotan-Dreyfus erwarten, der auch die israelische Regierung seit Jahren scharf kritisiert.
Wird Philosemitismus „verordnet“?
Auftreten wird bei dem Kongress auch Susan Neiman. Sie hat zuletzt mit „Links ist nicht woke“ ein Buch über das Reizwort geschrieben und ist auch in ihrer Israelposition streitbar. Die Philosophin warnt zudem angesichts jüngster Absagen im Kulturbetrieb vor einem Klima des McCarthyismus. In Deutschland, so sagte sie kürzlich in ihrer Festrede zum 50. Jahrestag der SPD-Grundwertekommission, werde Philosemitismus „verordnet“.
Der Verleger Ernst Piper kritisiert Neiman wie Menasse aufgrund ihrer Haltung scharf, nennt sie als Gründe für seinen Austritt. Neiman ist zwar nur Mitglied im PEN Berlin, ohne offizielle Position, doch Piper nimmt sie zunehmend als intellektuelles Aushängeschild des Vereins wahr, sagt er der taz. Neiman hat ihrerseits einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie von Piper fordert, diesen „rufschädigenden Vorwurf“ in seinem Facebook-Beitrag zu löschen.
Die Kritik von Piper geht einigen PEN-Berlin-Mitgliedern zu weit. Dass ein Deutscher jüdische Autorinnen über Israel belehre, fühle sich seltsam an, ist mitunter zu hören. Wer was sagen darf, wird derzeit heiß diskutiert. Gibt es rote Linien, oder ist Antisemitismus eine Meinung, wie Eva Menasse jüngst in einem Podcast mit der Zeit sagte, und man auch meinen könne, dass „Juden etwas sind, was man nicht mag“?
Wie politisch muss ein PEN sein?
Diskutiert werden diese Fragen nun wohl auch bei der Migliederversammlung am Freitag und beim Kongress am Samstag. Die Mitgliederversammlung des PEN Berlin hat einen Antrag auf eine öffentliche Positionierung zum Terrorangriff auf Israel eingebracht, begründet wird der Vorstoß mit dem Statement des PEN International. Es ist die erste Krise, die der erst anderthalb Jahre junge PEN Berlin durchlebt, der sich seinerseits aus einer Krise des PEN-Zentrums Deutschland gründete. Uninteressant sind die Fragen nicht, die sich daraus ergeben. Wie politisch muss ein PEN sein? Wie viel Streit ist möglich, nötig?
Womöglich braucht der Verein nicht nur den Knatsch, den Yücel nach Kurt Tucholsky als „Seele des Vereins“ anführt, um zu überleben, sondern auch ein gehöriges Maß an Krittelei und Kritik. Man erinnere sich an die Angriffe von rechts wie links, die sich gegen die Gruppe 47 richteten, eine Gruppe, die Hans Magnus Enzensberger als politisch völlig „harmlos“ charakterisierte.
Nun wird im PEN keine Literaturkritik betrieben, erklärtermaßen wollen sich die Mitglieder gegen die Verfolgung von Autor:innen und für Meinungsfreiheit einsetzen. So weit, so klar. Nur wo die Meinungsfreiheit in Gefahr ist, darüber scheint in Berlin ein gewisser Dissens zu bestehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit