Streit um Gutenberg-Museum: Turmbau zu Mainz
In der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz gibt's Stress: Die Stadt will einen Gutenberg-Turm bauen. Doch dem Plan droht das Scheitern.
Unterirdisch wäre der Turm mit dem prächtigen Renaissancegebäude und zwei Anbauten aus den 1960er und 2000er Jahren verbunden, mit denen das Druckereimuseum bisher zurechtkommen muss. Im Untergeschoss würde endlich ausreichend Platz für die Schätze des Museums entstehen, die originalen Gutenberg-Bibeln, wertvolle Handschriften und seltene frühe Druckwerke.
Diesen Entwurf des Hamburger Büros, das den Architektenwettbewerb gewonnen hat, findet Steve Klein genial: „Ein Werbeschild für Gutenbergs Erfindungen, die die Welt verändert haben. Der Buchdruck war schließlich eine Revolution, nur vergleichbar mit der Digitalisierung“, sagt der Museumsbesucher aus Virginia. Dass Mainzer BürgerInnen gegen das Projekt Sturm laufen, mag er nicht glauben.
Doch es gibt massiven Widerstand gegen das Projekt. Fast 10.000 Unterschriften hat eine Bürgerinitiative gesammelt, die den Neubau verhindern will. Die erbittert geführte Auseinandersetzung hat sich ausgerechnet an einem ganz und gar friedlichen Event entzündet, dem legendären „Marktfrühstück“.
„Worscht, Weck und Woi“
Das ist in Mainz eine fast ebenso wichtige Institution wie die Fassenacht. In den Sommermonaten treffen sich an jedem Samstag zahlreiche BürgerInnen auf dem Liebfrauenplatz und verfrühstücken in geselliger Runde „Worscht, Weck und Woi“ – Wurst, Brötchen und Wein also. Im Winter, in der Weihnachtszeit, lassen es sich die MainzerInnen an selber Stelle in Hütten und hölzernen Fassattrappen bei Glühwein gutgehen. Der Bibelturm würde einen Teil des Platzes einnehmen, drei Platanen müssten ihm weichen.
Johannes Gensfleisch wird um das Jahr 1400 in Mainz geboren. Vom Sitz der Patrizierfamilie, dem Hof zum Gutenberg, übernimmt er den Namen. Ob und wo er eine Schule besucht hat, ist unbekannt. Immerhin beherrscht er Latein, die Sprache der Gebildeten.
Von 1433 bis 1444 betreibt Gutenberg eine Werkstatt in Straßburg. Aus Metall werden dort „Pilgerspiegel“ für eine Wallfahrt geprägt. Nach Mainz zurückgekehrt, gründet er die weltweit erste Manufaktur, in der mit beweglichen Metalllettern gedruckt wird. Zwischen 1452 und 1455 entstehen in der Mainzer Werkstatt mehr als 115.000 zweiseitig bedruckte Blätter für 180 Bibeln, der erste gedruckte Bestseller der Weltgeschichte.
Der Erfinder muss seine Mainzer Werkstatt nach einem Rechtsstreit an seinen dortigen Finanzier, den Advokaten Johannes Fust, abtreten. Danach gibt es wenig gesicherte Daten. Der Mainzer Bischof Adolf von Nassau ernennt ihn zum „Hofmann“. Gutenberg lebt bis zu seinem Lebensende bei freier Kost und Logis in Mainz. Dort stirbt er im Jahr 1468.
Die taz trifft den redegewandten Sprecher der Turmgegner, Nino Haase, im nahen Bistro Hintz und Kuntz mit Ausblick auf den Platz vor dem Dom. „Ein Stück Mainzer Lebensart ist bedroht“, sagt der Mainzer. „Das bisschen noch vorhandene Grün in der Innenstadt muss unbedingt erhalten bleiben.“ Aber nicht nur folkloristische Argumente trägt Haases Bürgerinitiative vor. Es geht auch ums Geld.
Der vom Stadtrat in den Haushalt eingestellte Millionenbetrag für den Neubau war eigentlich für die fällige, aber zurückgestellte Brandschutzsanierung des Altbaus aus den 1960er Jahren vorgesehen. Die Stadt ist hoch verschuldet. Neubauprojekte sind eigentlich kaum genehmigungsfähig. „Baut man mit dem vorhandenen Geld den Bibelturm, bleibt das alte Museum marode“, sagt Haase. Die Hoffnung der Verantwortlichen auf großzügige Spender nennt er ein „Luftschloss“. Er spottet: „Die brauchen sogar Sponsoren, damit im Sommer in den Brunnen der Stadt Wasser läuft.“
Stadtrat befragt BürgerInnen
Der Stadtrat hat mittlerweile auf die Kritik reagiert und einem Bürgerentscheid zugestimmt. Die Vorbereitungen laufen bereits. Am 15. April werden die BürgerInnen abstimmen können. Sollte eine Mehrheit gegen das Projekt votieren, ist der Turm erledigt. Das Quorum liegt bei nur 15 Prozent. Eine Minderheit könnte also ein Projekt kippen, das die Stadtverordneten zuvor mit großer Mehrheit beschlossen hatten.
Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) und Museumsdirektorin Anette Ludwig werben unverdrossen für den Turm. Nur der Bau des Bibelturms mit seinen unterirdischen Ausstellungsräumen erlaube es, das Museum während einer späteren Brandschutzsanierung offenzuhalten; die wichtigste Attraktion, die Gutenberg-Bibeln und die alten Handschriften, blieben auch in der Bauphase zugänglich – in neuen großzügigeren Schauräumen, argumentieren sie.
Das Museum ist tatsächlich in die Jahre gekommen. Wer den Tresor betritt, in dem die berühmten Bibeln ausgestellt sind, muss eine hohe Schwelle überwinden. RollstuhlfahrerInnen können nicht nah an die Vitrinen heranfahren. Wenn sich eine Schulklasse im Raum aufhält, stehen die Jugendlichen in Dreier- und Viererreihen hintereinander. Es gibt keine Computer, an denen man virtuell in digitalisierten Folianten blättern könnte. Die Klimaanlage bläst vernehmbar Luft in den kleinen Raum, auch sie ist nicht auf dem Stand der Zeit.
Was funktioniert, sind die beiden Druckwerkstätten, in denen es fast wie in Gutenbergs Zeiten zugeht. Routiniert und engagiert zieht Michael Sobotta dort seine Show ab, je nach Wunsch auf Deutsch, Englisch oder Französisch. Der Museumsmitarbeiter streift sich große Stulpenhandschuhe über, wenn er die köchelnde Bleilegierung in den von Gutenberg erfundenen Handgießapparat einfüllt.
Den gegossenen Buchstaben reicht er herum. Er färbt per Hand den Bleisatz für die erste Seite des Johannesevangeliums ein, gesetzt in Textura, genau wie die Gutenberg-Bibeln. Das Papier fährt er auf einem Schlitten in die Presse ein. Wie vor 500 Jahren presst er das Papier mit dem „Druckbengel“ auf den Bleisatz – fertig ist ein Faksimile der Gutenberg-Bibel.
Kein Platz, kein Geld
Auch die übrigen Etagen des Museums beherbergen eigentlich eine einzigartige Sammlung: Mittelalterliche Druckstöcke finden sich ebenso wie Lynotype-Setzmaschinen, die jahrzehntelang automatisch im Minutentakt in Blei gegossene Druckzeilen für den Zeitungsdruck ausgespuckt haben. Es gibt eine reichhaltige Ostasienausstellung, Attraktion vor allem für Besucher aus Fernost. Die Ausstellungsebenen wirken allerdings übervoll, es fehlt der Platz und das Geld für zusätzliche museumspädagogische Konzepte.
Ein bisschen ratlos wirken die Verantwortlichen aus der Politik, wenn man sie auf das mögliche Aus für den Bibelturm anspricht. „Wir sollten groß denken“, sagt Baudezernentin Grosse. „Wenn’s zu mutig war, dann müssen wir damit leben“, fügt sie hinzu. Das klingt nicht allzu optimistisch.
Überhaupt wirkt die Stadt ein wenig überfordert, vor allem finanziell. Mainzer BürgerInnen hatten das Museum im Jahr 1900 zum 500. Geburtstag des berühmtesten Sohnes der Stadt gegründet. Deshalb ist es bis heute ein kommunales Museum, kein Landesmuseum. Das Land Rheinland-Pfalz und der Bund fördern nur einzelne Projekte des Hauses. Bevor PräsidentInnen und gekrönte Häupter als Ehrengäste bei den Gutenberg-Bibeln vorbeischauen, werden schon mal Wände gestrichen und Toiletten saniert. Mehr ist aber nicht drin.
„Eine Änderung des Status als kommunales Museum ist aktuell nicht geplant“, teilt der Mainzer Kunst- und Wissenschaftsminister, Konrad Wolf (SPD), auf taz-Anfrage mit. Und zum erbitterten Streit über den Bibelturm erklärt er lapidar: „Ich freue mich, wenn eine kulturpolitische Frage im Fokus einer breiten öffentlichen Debatte und eines Bürgerentscheids steht. Es liegt nun an den Mainzerinnen und Mainzern, ihre Wahl zu treffen.“
Über ein bisschen mehr Unterstützung der Landesregierung würden sich die Verantwortlichen der Stadt sicher freuen. Als „Leuchtturm der rheinland-pfälzischen Museumslandschaft“ hatten sie den Neubau einst angepriesen. Im Januar sollte eigentlich der erste Spatenstich für den Bibelturm gefeiert werden. Wegen des Widerstands in der Stadt ist zumindest daraus schon mal nichts geworden.
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