Streit um Bremer Bamf-Außenstelle: Ulrike B. verdient Auszeichnungen
Die deutsche Asylpolitik ist für Tausende von ertrunkenen Flüchtlingen mitverantwortlich. Was ist falsch daran, sich dieser Politik nicht zu unterwerfen?
Regierungsrätin Josefa Schmid ist sehr unglücklich mit der aktuellen Situation. Sie war doch gekommen, um aufzuräumen. Und dann, als sie drei Monate nach ihrer Berufung zur neuen Leiterin der Bamf-Außenstelle Bremen einen 99-seitigen Bericht über die dortigen „Unregelmäßigkeiten im Asylverfahren“ vorlegte, wurde sie plötzlich mundtot gemacht. Versetzt, in ein bayerisches Städtchen namens Deggendorf – der angebliche Skandal wurde den Verantwortlichen offenbar zu heikel. Deggendorf ist auch bekannt als „Das Tor zum Bayerischen Wald“. Nun ja.
Der Hauptvorwurf an die Bamf-Außenstelle Bremen lautet folgendermaßen: Zwischen 2013 und 2016 sollen Mitarbeiter dort mindestens 1.200 Menschen ohne ausreichende rechtliche Grundlage Asyl gewährt haben. Potzblitz! Gegen die ehemalige Chefin Ulrike B. wird inzwischen wegen des Verdachts bandenmäßiger Verleitung zu missbräuchlicher Asylantragstellung ermittelt. Sounds german. Angeblich sei auch Geld geflossen. Josefa Schmid verdächtigt sogar gleich das ganze Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Es bestehe „der Verdacht, dass auch die Zentrale selbst in die Angelegenheit verstrickt sein könnte“. Ein deutsches Ministerium als heimlicher Fluchthelfer? Eine Ungeheuerlichkeit in den Augen vieler.
So weit, so rechtsstaatlich. Bleibt die Frage: Warum ist Ulrike B. nicht längst für diverse Menschrechtspreise nominiert? Oder wenigstens für das Bundesverdienstkreuz? Es gibt doch auch bestimmt noch jede Menge zweifelhafte Straßennamen, die man nach ihr umbenennen könnte.
Denn was ist falsch daran, in einem System, welches ganz aktiv mitverantwortlich für mindestens 3.000 ertrunkene Flüchtlinge allein im Jahr 2017 ist, etwas an den Rädchen zu drehen?
Ist es nicht sogar die Pflicht eines jeden Humanisten, Menschen zur Freiheit zu verhelfen? Oder wie es John Milton, englischer Dichter und Staatsbediensteter, ausdrückte: „Nur gute Menschen können die Freiheit wahrhaft lieben; die anderen lieben nicht die Freiheit, sondern die amtliche Genehmigung.“
Noch die Generation meines Vaters hat in der Schule gelernt, dass der Nationalsozialismus und seine Verbrechen vor allem auch durch die deutsche Bürokratie und seine Schreibtischtäter möglich waren. „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zu Pflicht“, sagte wohl einst Bertolt Brecht, ohne zu ahnen, dass sein Satz absurderweise zum Leitspruch der Pegida-Lemminge werden würde. Hatten wir das nicht schon mal?
Die Singularität des Holocaust ist selbstverständlich nicht in Frage zu stellen. Aber waren es nicht Bürokratie und Gehorsam, die mit dafür sorgten, dass die Züge pünktlich abfuhren und die Verbrechen an der Menschheit so reibungslos abliefen?
Der Philosoph Henry David Thoreau schrieb einst „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“. Gandhi verteilte das Werk wie ein Lehrbuch unter seinen Anhängern. Und der Schriftsteller Walter E. Richartz konstatierte „Thoreau macht deutlich: Gewaltloser Widerstand, das heißt nicht einfach Protest gegen staatliche Willkür. Es heißt: Umlenkung der Staatsgewalt gegen den Staat selbst; es heißt: Anwendung des Judo-Prinzips in der Politik.“
Josefa Schmidt sieht das natürlich ganz anders. Noch am 30. März schickte sie laut eigener Aussage eine SMS an Horst Seehofer, ihren obersten Dienstherrn. Kolportierter Inhalt: Sie müsse sofort mit Seehofer reden „um gewaltigen Schaden für das ganze Land abzuwenden“.
Doch der Schaden für dieses Land entsteht sicher nicht durch knapp über Tausend gerettete Leben. Der Schaden für uns und die nachfolgenden Generationen entsteht durch die Weigerung, das Leid anderer zu sehen und etwas dagegen zu tun.
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