Streit um Antisemitismusbeauftragten: Blamage für Hamburger Wissenschaftssenatorin
Eine Beamtin sollte abserviert werden, doch wehrte sich erfolgreich vor Gericht. Hintergrund ist wohl ein Streit um den Antisemitismusbeauftragten.

Der Amtsleiterin mit dem Rang einer Leitenden Regierungsdirektorin hatte bei Gericht eine einstweilige Anordnung gegen ihre Versetzung oder ihre Abordnung in eine andere Behörde beantragt. Darin schilderte sie en détail, wie und warum sie aus ihrer Sicht kaltgestellt werden sollte.
Sie vermutet – und macht das mit einer Vielzahl von Hinweisen deutlich –, dass ihre überraschende Ablösung mit dem Verfahren zur Neubesetzung des Antisemitismusbeauftragten zu tun habe. Die Behörde weist das zurück.
Der Antisemtismusbeauftragte des Senats ist ein Ehrenamt, das in der ersten Amtsperiode von Stefan Hensel bekleidet wurde, einem Mitglied der konservativ ausgerichteten Jüdischen Gemeinde Hamburg (JGH). Auf Vorschlag dieser Gemeinde vergab der rot-grüne Senat das Amt vergangenen November erneut an Hensel. Eike Steinig, der Bewerber des Israelitischen Tempelverbandes – der weitaus kleineren, liberalen Gemeinde – wurde nicht berücksichtigt.
Streit zwischen jüdischen Gemeinden
Steinig klagte und bekam zweimal vom Verwaltungsgericht recht: Er hätte beim Bewerbungsverfahren berücksichtigt werden müssen, urteilte das Gericht im März. Der Senat dürfe kein neues Verfahren mit neuen Bewerbungskriterien starten, sondern müsse das alte fortsetzen und Steinig dabei berücksichtigen, urteilte das Gericht im Juli.
Dass sich die liberale Gemeinde so wehrt, liegt daran, dass sie sich von Hensel, der mit dem Amt des Antisemitismusbeauftragten zugleich Beauftragter für jüdisches Leben in Hamburg ist, nicht repräsentiert sieht. Hensel sei der liberalen Gemeinde gegenüber feindselig eingestellt, lautet der Vorwurf.
Der Tempelverband wehrt sich auch gegen den Anspruch der JGH, das Hamburger Judentum als Einheitsgemeinde zu vertreten und gegen deren Privilegierung durch den Senat. Einen Staatsvertrag, wie er mit vielen religiösen Gemeinschaften vereinbart wurde, schloss der Senat nur mit der JGH, nicht mit der liberalen Gemeinde.
Auch in der Behörde wurde der Konflikt registriert. In der Vorbereitung für die Neubesetzung des Antisemitismusbeauftragten seien im zuständigen Amt für Gleichstellung Bedenken gegenüber Hensel geäußert worden, erinnert sich die Amtsleiterin laut dem Schriftsatz ihres Anwalts Patrick Heinemann.
Überraschende Versetzung
In einem dort zitierten Vermerk heißt es etwa: „Aus fachlicher Sicht kann eine Neubestellung nicht empfohlen werden.“ Hensel habe seine Neutralitätsverpflichtung umgangen und polarisierend gearbeitet. Die Amtsleiterin vermutet, dass sie gehen sollte, weil sie die für Hensel wenig schmeichelhaften Vermerke „entgegen den Vorstellungen der Behördenleitung“ nicht unter den Tisch habe fallen lassen wollen.
Die Versetzung kam für die Amtsleiterin nach eigener Aussage jedenfalls ziemlich überraschend. Noch am 5. Mai teilte die Staatsrätin Eva Gümbel (Grüne) der Beamtin mit, dass sie auch nach einer Neuorganisation Leiterin des Amtes G bleiben werde. Am 7. Mai trat die neue Senatorin Maryam Blumenthal ihr Amt an.
Im Juni beklagte sich Hensel bei Gümbel, die Amtsleiterin, die am neuen Auswahlverfahren teilnahmen sollte, sei befangen. Am 7. Juli teilte die Senatorin der Beamtin mit, sie solle ihren Leitungsposten räumen, da es für eine weitere Zusammenarbeit am nötigen Vertrauen fehle.
Die Beamtin sollte zunächst auf eine noch gar nicht existente Stelle „Aufgaben der zivilen Alarmplanung“ innerhalb der Behörde versetzt, dann zur Justizbehörde auf einen bereits besetzten Posten mit Leitungsfunktion, aber ohne Personalverantwortung abgeordnet werden. Beides widerspreche ihrem Recht als Beamtin auf angemessene Beschäftigung, argumentierte die Amtsleiterin, und widersprach der verfügten Umsetzung.
Anwalt fürchtet Angriff auf Pressefreiheit
Das Verwaltungsgericht gab ihr Recht, weil es zwar durchaus dienstliche Gründe für eine vorübergehende Abordnung der Beamtin hätte geben können, die Behörde aber keine genannt habe. So sei im Gespräch mit der Behördenleitung als Grund nur „das fehlende Vertrauensverhältnis mitgeteilt worden, ohne dass dies näher konkretisiert worden ist, so dass die Antragstellerin nicht die Möglichkeit hatte, hierzu dezidiert Stellung zu nehmen“, heißt es in dem Gerichtsbeschluss.
Weder aus dem Vortrag der Behörde noch aus der Akte ergäben sich Hinweise darauf, dass die Behördenleitung mit der Arbeitsweise der Beamtin unzufrieden gewesen sei. Die Vorwürfe der Behördenleitung, die Beamtin habe sich unhöflich, unprofessionell und diffamierend gegenüber Kollegen geäußert, seien vage und pauschal. Der angebliche Vertrauensverlust sei „durch keinerlei Fakten belegt, dokumentiert oder nachgewiesen“. Weil die Behördenleitung auch bestreite, dass die Abordnung etwas mit Verfahren zu Bestellung des Antisemitismusbeauftragten zu tun habe, falle auch das als Begründung aus.
Dienstliche Spannungen könnten allenfalls neuerdings entstanden sein, weil sie ihrem Anwalt interne Informationen habe zukommen lassen, mit denen dieser an die Presse gegangen sei. Die taz hatte auf dieser Grundlage einen Zusammenhang mit der Bestellung des Antisemitismusbeauftragten hergestellt. Dass dieses Verhalten das Vertrauensverhältnis zwischen der Beamtin und der Behördenleitung schwer belasten könne, liege auf der Hand, so das Gericht – zumal sich die Behörde ja im Fall des Antisemitismusbeauftragten in einem Rechtsstreit befinde.
Anwalt Heinemann findet diesen Hinweis bedenklich. Das Verwaltungsgericht habe bestätigt, dass seine Mandantin rechtswidrig aufs Abstellgleis geschoben werden sollte. Darüber habe er als Verfahrensbevollmächtigter mit der Presse gesprochen. „Wenn dieser Umstand es nachträglich ermöglichen sollte, unsere Mandantin trotzdem kaltzustellen, wäre das ein schwerer Schlag für die Presse- und Meinungsfreiheit“, findet Heinemann.
Die Wissenschaftsbehörde betont: „Mit Blick auf die Entscheidung ist festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht keine inhaltliche Aussage zu der behaupteten Verbindung zwischen der streitgegenständlichen Abordnung der Amtsleitung und der Neubesetzung des Antisemitismusbeauftragten-Amtes getroffen hat.“ Weitere Fragen seien Gegenstand aktuell andauernder interner Prüfungen.
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