Streit über Umweltgesetze in der Schweiz: Gift und Galle
In der Schweiz wird am Wochenende über drei Vorlagen abgestimmt, die Auswirkungen auf Natur und Umwelt haben. Der Kampf ist schmutzig.
Für dieses Wochenende hat Christian zur cave ouverte, zum Tag des offenen Weinkellers eingeladen. Coronabedingt müssen sich Besucherinnen und Besucher anmelden, vielleicht ist das ganz gut so. Denn Winzerinnen und Winzer werden seit Wochen bepöbelt und beschimpft, als Giftbauern oder gar als Mörder. “Die Stimmung ist aufgeheizt“, bestätigt Christian. Neben der Pestizidinitiative, die ein Verbot von synthetischen Pflanzenschutzmitteln fordert, wird an diesem Sonntag auch über die Trinkwasser-Initiative abgestimmt.
Diese sieht vor, die Agrarsubventionen von jährlich 3,5 Milliarden Franken an eine gewässerfreundliche Bewirtschaftung zu koppeln. Anders, so die Befürworterinnen und Befürworter, würden die seit Jahrzehnten geltenden Umweltziele in der Landwirtschaft nie erreicht. So argumentiert auch die Grüne Céline Vara, die den Kanton Neuchâtel in der zweiten Parlamentskammer, dem Ständerat, vertritt. Die Morddrohungen, die sie nach einer Fernsehdiskussion erhielt, waren derart ernst zu nehmen, dass Vara Polizeischutz erhielt. Ähnlich erging es der Initiatorin der Trinkwasserinitiative, Franziska Herren.
Der Berner Biobauer Kilian Baumann, Abgeordneter der Grünen im nationalen Parlament, sagte Ende Mai alle Diskussionen über die Agrarinitiativen ab. Die Drohungen gegen ihn und seine Familie hätten ein solches Ausmaß angenommen, dass er Angst habe, seinen Hof und seine Familie alleine zu lassen. Der Berner Bauernverband sah sich genötigt, auch die von ihm unterstützten Gegner der Initiative dazu aufzurufen, auf „Beleidigungen, respektloses Verhalten und jegliche Gewaltakte zu verzichten“.
Kluft zwischen Stadt und Land
In der Schweiz, wo der politische Diskurs im Regelfall höflich und gesittet geführt wird, muss darauf normalerweise nicht hingewiesen werden. Dass das diesmal anders ist, hat auch mit der Kluft zwischen Stadt und Land zu tun: Jenseits der Ballungsräume hängen an beinahe jedem Hof Transparente, auf denen das Motto „2x Nein zu den extremen Agrar-Initiativen“ prangt. In den Städten gibt es dagegen Sympathie für einen ökologischen Umbau der Landwirtschaft, über die bisher vor allem in Hinterzimmern und unter massivem Einfluss der konservativen Bauernverbände diskutiert wurde.
Deren Exponenten schlugen im Abstimmungskampf schrille Töne an, schürten Existenzängste. Dass erste Umfragen eine knappe Mehrheit für die Agrarinitiativen voraussagten, verhärtete die Fronten weiter. Letzte Umfragen sagen eine knappe Mehrheit für das „Nein“-Lager voraus. Die Agrarinitiativen drohen zudem die dritte umweltrelevante Abstimmung mit sich zu reißen, die über das CO2-Gesetz. Sein Maßnahmenpaket sieht eine Steigerung der CO2-Abgabe auf Öl und Gas von heute 96 auf bis zu 210 Franken pro Tonne vor, außerdem eine Flugverkehrsabgabe von bis zu 120 Franken pro Ticket.
Die Einnahmen sollen in einen Klimafonds fließen, der unter anderem Gebäudesanierungen finanzieren soll. Die Allianz dafür ist breit, selbst die Parteiführung der FDP ist dabei. Doch die Gegner, die vor steigenden Kosten an der Zapfsäule und im Reisebüro warnen, den Ausgleich über den Klimafonds aber verschweigen, finden in der aufgeheizten Atmosphäre mehr Gehör. Das Bundesamt für Umwelt warnt bereits, dass die Schweiz ihre Klimaziele bei einem „Nein“ weit verfehlen werde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut