Streit über Sorgerecht im Bundestag: Jenseits von Mama und Papa
Die Grünen wollen soziale Eltern rechtlich stärken. Das dürfte mögliche schwarz-grüne Koalitionsverhandlungen erschweren.

Diese so genannten sozialen Eltern wollen die Grünen im Bundestag nun stärken. Denn obwohl solche Familienkonstellationen seit langem zunehmen – geschätzt leben hierzulande zwischen 7 und 13 Prozent der Kinder in Stief- oder Patchworkfamilien – kennt die Rechtslage soziale Eltern-Kind-Beziehungen nicht. Im Sorgerecht sind nur rechtliche Eltern vorgesehen.
Um diese Lücke zu schließen, fordert die Grünen-Fraktion die Bundesregierung in einem Antrag auf, die soziale Elternschaft rechtlich abzusichern. Trotz parlamentarischer Sommerpause hat die Fraktion den Antrag vor einigen Tagen eingereicht. Er liegt der taz vor, zuerst hatte der Spiegel darüber berichtet.
Die zentrale Forderung: Auch Partner, die nicht mit dem Elternteil verheiratet oder verpartnert sind, oder andere enge Bezugspersonen für das Kind, sollen das so genannte kleine Sorgerecht beim Jugendamt beantragen dürfen. Dies sieht vor, dass ein Elternteil Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens treffen darf, etwa das Kind von der Schule abholen.
Arztbesuch? Schwierig
„Mehrelternkonstellationen sind gelebte Realität in Deutschland, gerade die rechtliche Rolle sozialer Eltern ist jedoch unsicher“, sagt Grünen-Familienpolitikerin Katja Dörner, die den Antrag maßgeblich mit ausgearbeitet hat, der taz. Das belaste Eltern wie Kinder. Schon der einfache Arztbesuch mit dem Kind werde zum Problem, „denn es ist nicht vorgesehen, dass soziale Eltern dort Entscheidungen treffen“, beklagt sie.
Bislang können Stiefeltern nur dann das kleine Sorgerecht beantragen, wenn sie mit dem sorgeberechtigten Elternteil verheiratet oder verpartnert sind. Dörner will dieses Recht auf nicht verheiratete Stiefeltern ausweiten. Von „bis zu zwei weiteren Erwachsenen, die für ein Kind tatsächliche Verantwortung übernehmen“, ist im Antrag die Rede. Gründen ein schwules und ein lesbisches Paar zusammen eine Familie, sollen die nicht leiblichen Elternteile ebenfalls das kleine Sorgerecht beantragen dürfen – und zwar schon vor der Geburt.
Zusätzlich soll das Sorgerecht durch eine „elterliche Mitverantwortung“, also weitere Befugnisse ergänzt werden, wie Reisen mit dem Kind ins Ausland oder die Vertretungsvollmacht bei Behörden. Zudem soll der Kinderfreibetrag auf den sozialen Elternteil übertragen werden – vorausgesetzt, dieser verhindert durch seine Zahlung, dass das Kind sozialbedürftig wird.
Union tut sich schwer
Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag dürfte das Grünen-Konzept vorerst wenig Aussicht auf Umsetzung haben. Auch wenn aus anderen Fraktionen positive Signale kommen. So hält Katrin Helling-Plahr von der FDP die bessere rechtliche Absicherung sozialer Elternteile „im Grunde für richtig“, würde aber noch einen Schritt weiter gehen und die Mehrelternschaft einführen. Auch der SPD-Abgeordnete Sönke Rix plädiert grundsätzlich für eine Stärkung der sozialen Elternschaft.
Und die Union? Die tut sich traditionell schwer, was die Besserstellung alternativer Lebensmodelle betrifft, warnt dabei gern vor unbegrenzten Mehrelternschaften. Silke Launert, die Obfrau im Familienausschuss, will sich auf taz-Nachfrage denn auch nicht äußern. Ihr Fraktionskollege Jan-Marco Luczak räumt zwar ein, dass es für „vielfältige und bunte Familienkonstellationen“ rechtliche Lücken gebe, will auf den Grünen-Antrag aber nicht weiter eingehen.
Nach der Sommerpause soll der Antrag erst mal im Parlament diskutiert werden. Doch auch für die Zeit danach könnte der grüne Vorstoß noch interessant werden. Dann nämlich, wenn Union und Grüne nach der Bundestagswahl in gut einem Jahr einen Koalitionsvertrag aushandeln. Spätestens dann können Launert, Luczak und Co. Dörners Konzept nicht mehr ausweichen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung