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Streit mit Türkei um Nato-BeitrittSchwedisches Puppentheater

Erst eine baumelnde Erdoğan-Puppe, jetzt ein verbrannter Koran: Demonstrationen in Schweden sorgen für neuen Zoff zwischen Ankara und Stockholm.

Demo mit Folgen: Anti-Erdoğan-Kundgebung in Stockholm Foto: Christine Olsson/TT News Agency

STOCKHOLM taz | Die Puppe habe man billig gebraucht bekommen, Anzug und Hemd in einem Second-Hand-Laden gekauft, die Maske des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Internet bestellt, erzählt Andreas, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung sehen möchte. Er gehört zu den Rojava-Komitees, einem schwedischen Solidaritätsnetzwerk für Kurdistan, das für diese Erdoğan-Puppe, die vor eineinhalb Wochen kopfüber an einem Fahnenmast vor dem Stockholmer Rathaus baumelte, verantwortlich war.

„Natürlich haben wir eine Reaktion auslösen wollen, demonstrieren, dass die Türkei keine Demokratie ist“, berichtet er. Die hysterischen Reaktionen aus Ankara seien ja auch der beste Beweis dafür.

Die Türkei kündigte an, wegen der Aktion die Entscheidung zur Nato-Norderweiterung bis zum Sommer vertagen zu wollen, und zog eine Einladung an die Parlamentspräsidenten Schwedens und Finnlands zu einem für vergangene Woche geplanten Türkei-Besuch zurück. Justizminister Bekir Bozdağ twitterte, die Aktion in Schweden sei ein „Terrorangriff“ und Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu ereiferte sich: „Die Terroristen können nach wie vor ihre Aktivitäten in Schweden fortsetzen.“

Für Fahrettin Altun, Informationsdirektor der türkischen Regierung, war die Puppe ein Beweis dafür, dass die Zusage Stockholms, „die notwendigen Schritte gegen den Terrorismus zu unternehmen“ – für Ankara eine Voraussetzung, um dem Nato-Beitritt Schwedens zuzustimmen –, nichts als leere Worte seien.

Koranverbrennung als Meinungsfreiheit?

Eine Erdoğan-Puppe tauchte am Samstag in Stockholm auch bei einer Demonstration mit mehreren hundert TeilnehmerInnen gegen den türkischen Präsidenten und die Nato-Mitgliedschaft Schwedens auf. Was diesmal aber neben der Türkei auch die Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC) auf den Plan rief, war eine andere Aktion, die der dänische Rechtsextremist Rasmus Paludan am selben Nachmittag vor der türkischen Botschaft in Stockholm veranstaltete: Er verbrannte einen Koran – mal wieder.

Vor den schwedischen Parlamentswahlen im September hatte Paludan eine regelrechte Koran-Verbrennungstournee quer durchs Land unternommen. Gerichte erklärten das als durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Nach anfänglichen auch gewaltsamen Protesten verständigten sich die, die Paludan provozieren wollte, dann aber darauf, ihn einfach nicht mehr zu beachten.

Paludans Auftritt am Samstag entwickelte sich deshalb zu einer Einmannshow, im Wesentlichen nur begleitet von Polizeibeamten und JournalistInnen. Auch ein Sprecher der AKP-nahen Union internationaler Demokraten (UID), die unweit der Paludan-Aktion eine Pro-Erdoğan-Demonstration veranstaltete, kommentierte: „Wir kümmern uns nicht um ihn, er ist Populist. Wir sind gekommen, um gegen die Erdoğan-Puppe zu demonstrieren.“

Doch in Schweden wird vor allem über die Reaktion der Regierung in Stockholm auf die Kritik aus der Türkei diskutiert. Anstatt nämlich Ankara darauf hinzuweisen, dass es in Schweden eben Meinungsfreiheit gibt und die auch für einen womöglich geschmacklosen Protest gegen Erdoğan gilt, bezeichnete Ministerpräsident Ulf Kristersson die Aktion als „Sabotage“ und „Gefahr für die schwedische Sicherheit“. Er und Außenminister Tobias Billström waren sich auch nicht zu schade, in den vergangenen Tagen Erdoğan öffentlich mehrmals als Präsidenten einer Demokratie zu würdigen.

Weitere Spannungen vorprogrammiert

Die überzogenen Reaktionen der türkischen und der schwedischen Regierung spornen die GegnerInnen eines schwedischen Nato-Beitritts zu neuen Aktionen an. Die sozialistische Wochenzeitung Flamman hat einen Wettbewerb um die „beste“ Satirezeichnung des türkischen Präsidenten ausgeschrieben. Dies sei ein Protest dagegen, wie die Regierung in Stockholm und Erdoğan „auf der Meinungsfreiheit und den Rechten der Kurden herumtrampeln“, begründet sie der Flamman-Chefredakteur Leonidas Aretakis.

Andere schwedische Publikationen wollen die für Ende der Woche angekündigten Zeichnungen ebenfalls veröffentlichen. Schwedens Türkei-Botschafter darf sich darauf einstellen, zum dritten Mal binnen zwei Wochen zum Empfang einer Protestnote ins türkische Außenministerium einbestellt zu werden.

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