Streit im E-Bike-Sport: Radfahren schwer gemacht
Alles könnte so leicht sein: E-Bikes sind interessante Sportgeräte und beliebt. Unklar ist aber, wer sie auf Rennstrecken fahren darf.
Immerhin 4,5 Millionen der insgesamt 75,5 Millionen Fahrräder in deutschen Haushalten sind Pedelecs, verfügen also über 250 Watt Zusatzleistung. An Zusatzpower ist das eine ganze Menge. Tour-de-France-Fahrer müssen bei den langen Anstiegen etwa 450 Watt aufbringen, um die Chance auf einen vorderen Platz zu haben. 250 Watt mehr, klug eingesetzt auf den freilich viel schwereren E-Rädern, könnten Hobby-Radlern also bergauf ein Froome-Gefühl verleihen.
Das Potenzial der batteriegetriebenen Zweiräder hat sich inzwischen auch bei den Sportverbänden herumgesprochen. Der Weltradsportverband UCI veranstaltet im August erstmals die „UCI E-Mountain Bike World Championships“. Früher aufgestanden ist der Motorradsport-Weltverband FIM.
Bereits für den Juni plant er im französischen Privas den „FIM E-Bike Enduro World Cup“. Der wird in zwei Klassen ausgetragen: der E1-Klasse mit Motoren, die 250 Watt Leistung bringen und bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h unterstützen, und der E2-Klasse, bei der die 250 Watt-Motoren bereits bei 25 km/h gedrosselt werden.
Radsportverband droht Athleten mit Sanktionen
Das hat einen Streit der Weltverbände ausgelöst. Denn die UCI beansprucht alle Rennen mit den auf 25 km/h gedrosselten Pedelecs für sich. „Die UCI war unangenehm überrascht von der Ankündigung des Motorradsportverbandes FIM, den FIM E-Bike Enduro World Cup auszutragen. Dafür gibt es keine regulatorische Basis.
Die UCI sieht sich in der ausschließlichen Verantwortung für E-Mountainbike-Wettkämpfe. Chenaille baute im Verbandskampf auch gleich eine Drohkulisse auf: „Die UCI betrachtet alle Wettkämpfe, die rechtlich unter ihre Hoheit fallen, die aber im Rennkalender der FIM oder von deren nationalen Verbänden gelistet sind, als ‚verbotene Wettkämpfe‘. Jeder Athlet mit UCI-Lizenz muss daher mit Sanktionen rechnen.“
Sportler also, die eine UCI-Lizenz als Mountainbiker gelöst haben und auch schon mit E-Mountainbikes unterwegs sind, riskieren den Ausschluss, wenn sie an Rennen der Konkurrenz teilnehmen. Sollten Verbände nicht eigentlich für Sportler da sein und nicht gegen sie? Ein seltsames Geschäftsverständnis. Von der FIM kam trotz mehrfacher Nachfrage keine Reaktion.
Wie sich die Verbände selbst ins Abseits stellen
Während die Verbände streiten, gehen die E-Biker längst eigene Wege. Bereits im letzten Jahr gab es Weltmeisterschaften und Deutsche Meisterschaften (DM) im E-Mountainbike. Immerhin etwa 80 Teilnehmer hatte die WM, um die 60 die DM. Sie wurden unabhängig von den Verbänden ausgetragen.
„Wir sind komplett verbandsfrei. Und wir pflegen das seit weit über 20 Jahren und machen unsere eigenen Reglements. Wir sind in der Regel viel schneller als die Verbände“, sagt Hubert Stanka, Vorsitzender der Offroad Association International (OAI).
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Die Vereinigung richtete die DM im E-Bike aus, organisiert die Enduro-One-Serie für konventionelle Mountainbikes und ist mit der Deutschen Cross Country Meisterschaft auch im Motorradsport dabei. Stanka kennt also alles: muskelgetriebene Rennmaschinen, solche mit Verbrennungsmotor und auch das Zwischending mit den E-Motoren.
Ein ganz neuer Sport
Den Streit der internationalen Verbände findet er absurd. „Auf nationaler Ebene haben sich der Bund Deutscher Radfahrer und der Deutsche Motor Sport Bund ja scheinbar geeinigt. Da will der BDR die klassischen Pedelecs, also bis 25 km/h, unter sich haben und der Motorsportbund alles mit E-Motor, was darüber hinausgeht“, konstatiert er.
BDR-Vizepräsident Peter Koch bestätigte diese Regelung. Koch gab aber auch zu, dass der BDR noch Zeit braucht, eigene, also offizielle Deutsche Meisterschaften im E-Bike auszurichten. 2020 nannte er als Ziel.
„Man soll den BDR auch nicht überfordern. Es hat ja schon ziemlich lange gedauert, bis sie die Deutsche Meisterschaft im Enduro hinbekommen haben“, sagt André Kleindienst. Der Mountainbiker gewann im letzten Jahr die verbandsfreie DM der E-Biker.
Auch das Bremsen will gekonnt sein
Dem Treten mit E-Motoren kann er sportlich durchaus etwas abgewinnen. „Vor allem bergauf macht es Spaß. Im Flachen hingegen spürst du das Gewicht der Maschine, die ja viel schwerer als die normalen Räder ist. Wenn dann bei 25 km/h der Motor abschaltet, musst du gehörig treten“, meinte er. Nach einem E-Bike-Ritt ist Kleindienst ähnlich geschafft wie nach einem Ritt mit einem normalen Moutainbike.
Das bestätigt auch Jochen Käß. Der frühere Mountainbike-Profi wurde E-Bike-Weltmeister im letzten Jahr und Dritter der Deutschen Meisterschaften. „Es ist ein ganz neuer Sport. Du musst die optimale Trittfrequenz finden, damit der Motor richtig arbeiten kann. Die 8 bis 15 kg Gewicht mehr musst du händeln können, vor allem auf der Abfahrt musst du es herunterbremsen können“, meint Käß.
Ein Problem sieht er in der Chancengerechtigkeit der Sportler. Zwar gibt es Kontrollen der Motoren. Bei den Deutschen Meisterschaften etwa setzte sich ein Kontrolleur auf die Maschinen und überprüfte, bei welcher Geschwindigkeit der Motor dann aussetzte. Zwei Teilnehmer wurden so disqualifiziert. Käß glaubt aber, dass noch weitere im Rennen waren, deren Motoren jenseits der 25 km/h noch unterstützten.
Der Akku als Spannungsfaktor
Denn das Tuning mit den sogenannten Dongles ist denkbar einfach. Steckt man ein Dongle auf, wird an den Motor eine geringere Geschwindigkeit gemeldet, als tatsächlich gefahren wird. Der Motor dreht also munter weiter. „Unterschiedliche Einstellungen im Motoren-Set-up wie Normal, Eco oder Turbo können mit Tastenkombinationen in Sekundenschnelle geändert werden“, erklärt Käß. Vor der Kontrolle schnell auf Normal gestellt, im Rennen dann auf Turbo umgeschaltet – so sieht ein ganz simples Betrugsszenario aus.
Hier die richtigen Kontrollprozeduren zu entwickeln, ist auch ein Grund für das Zögern des BDR bei der Organisation von E-Bike-Wettkämpfen. „Wir sind hier mit den Herstellern im Gespräch, um Lösungen zu finden. Allein können wir das nicht leisten“, sagte Vizepräsident Koch.
Weltmeister Käß hat dazu zwei simple Vorschläge: „Man müsste die gleiche Software auf alle Maschinen draufspielen. Und die Rennstrecken müssen schwerer werden, so schwer, dass die Akku-Laufzeit zum limitierenden Faktor wird.“ Pragmatisch und vielversprechend. Denn wenn einer Turbo fährt, ihm nach der Hälfte der Strecke aber der Saft ausgeht, kann er sich danach nur tretend vorwärtsbewegen.
Giro E – eher Radtourismus
Ein Auge auf den E-Bike-Sport haben auch schon die großen Rennveranstalter im Straßenradsport geworfen. Tour-Organisator ASO richtet das Woodstock aller Moutainbike-Events aus, das Roc d’Azur in Frejus. „Dort hatten wir im letzten Jahr erstmals 200 Anmeldungen für ein extra E-Bike-Rennen. In diesem Jahr geben wir 600 Plätze frei“, erzählt ASO-Manager Vivien Hocquet.
Vivien Hocquet, Veranstalter
Und Giro-Organisator RCS rief im letzten Jahr den Giro E ins Leben. Auch 2019 wird er ausgetragen. Auf 18 der 21 Giro-Etappen fahren sechsköpfige Teams auf E-Bikes eine verkürzte Strecke ab und kommen etwa anderthalb Stunden vor den Profis ins Ziel. „Es ist kein Wettkampf, sondern eine Form von Radtourismus“, beschreibt RCS-Manager Paolo Bellino das Event.
„Wir machen das, um E-Bike-Projekte generell zu unterstützen. Denn das ist die Zukunft der Mobilität“, begründet er das Engagement.
Straßenrennen mit E-Bikes schließen er wie auch ASO-Vertreter Hocquet in naher Zukunft zwar aus. Beide betonen aber das Potenzial. „Sicher ist, dass die Entwicklung der E-Bikes zum Nachdenken über neue Formate in der Zukunft führen wird“, meinte Hocquet.
Und alle Veranstalter, und mit ihnen die Sportler, hoffen, dass die Verbände sich auf verlässliche regulatorische Grundlagen einigen können. Schaffen sie dies nicht, könnte die Dynamik sie ganz schnell ins Abseits bugsieren: mit verbandsfreien Meisterschaften allerorten.
Wenn das dann noch die Rennställe im Straßenradsport mitbekommen, dass Rennserien ganz ohne einen Verband möglich sind, dürfte das Treiben auch im nicht motorunterstützten Radsport erst richtig wild werden.
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