Streit der Woche: "Der Moloch Musikindustrie"
Braucht Kultur Industrie? Kulturstaatsminister Neumann sagt, die Kreativ-Industrie sei unverzichtbar. "Angelika Express"-Sänger Drakogiannakis hält dagegen.
BERLIN taz | Musik und Literatur werden heute meist in professionellen Strukturen produziert. Großverlage dominieren den Literaturbetrieb, weltweit agierende Plattenlabels bestimmen die Charts. Ist diese Industrialisierung der Kultur notwendig für die Sicherheit der Künstler oder tötet sie die Kreativität?
Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, hält die Kulturindustrie für unverzichtbar. Erst ein rationalisierendes System von Herstellung und Verbreitung mache Literatur – wie überhaupt alles Kulturgut – sichtbar und greifbar, schreibt er im "Streit der Woche" in der sonntaz. „Um wahrgenommen zu werden, braucht Literatur einen quasi industriellen Geräuschpegel oberhalb der Wahrnehmungsschwelle.“ Nur dann werde sie wettbewerbsfähig im Kampf um die knappe Ressource Aufmerksamkeit. Autoren würden entlastet, sie bekämen durch die Professionalisierung des Literaturbetriebs Raum und Zeit für das Eigentliche: das Schreiben.
Auch die Musikszene muss – wenigstens in der kommenden Woche – nicht fürchten, von der öffentlichen Wahrnehmung ausgeschlossen zu sein. Kreative, Branchenvertreter und Konsumenten treffen sich ab Montag auf der Premiere der "Berlin Music Week", diskutieren Überlebensstrategien der Branche – etwa auf der wiederbelebten Musikmesse Popkomm und dem Kreativ-Kongress alltogethernow.
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Besonders für die Musikszene hält Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) die Kultur- und Kreativindustrie für unverzichtbar. Nur durch „professionelle Verwerter und Vermarkter“ könne „vielen Menschen eine Teilhalbe an kulturellen Entwicklungen“ ermöglicht werden, sagt er gegenüber taz.de. Durch die Digitalisierung und Globalisierung der vergangenen Jahre sei die Musikwirtschaft im Umbruch. Daher „besteht unbestritten auch die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Professionalisierung“.
Weniger euphorisch betrachten viele Musikschaffende die Entwicklung. „Der Moloch Musikindustrie hat sich durch Trägheit selbst in die Knie gezwungen“, schreibt Robert Drakogiannakis, Sänger der Band Angelika Express, in der sonntaz. Drakogiannakis ließ die letzte Platte nicht etwa durch ein großes Label, sondern durch die Herausgabe von Aktien finanzieren. Teile des Publikums emanzipierten sich von den Filtersystemen des Mainstreams, tasteten vielfältigere Nischen ab. Diese unmittelbarere Form der Musikproduktion und -verbreitung sei für die Kreativen jedoch arbeitsreich. „Wer Musik als Profession begreift, muss sich erst mal aus einer Sintflut von Mittelmäßigkeit hervorheben“, schreibt der Sänger. Wer diesen Spagat zwischen Kreation und virtuoser Selbstvermarktung am besten hinkriege, dem stünden die Tore offen.
Auch Eva Kiltz, Geschäftsführerin der Verbands unabhängiger Musikunternehmen, zweifelt die Notwendigkeit industrieller Großkonzerne in der Musikbranche an. „Hinter kreativer Musik steht immer eine Musiker-Persönlichkeit, folglich ist jeder Musiker im übertragenen Sinne ein Prototyp“, schreibt sie im "Streit der Woche". Industrielle Serienproduktion unter standardisierten und wirtschaftlich effizienten Bedingungen könne daher weder zu interessanter Musik noch zu Erfolg führen, „weil sie Individualität nivelliert oder komplett ausschließt“. Im "Streit der Woche" äußern sich außerdem Wolfgang Farks, Leiter des Independent-Verlags Blumenbar, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sowie taz.de-Leser Timm S.
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