: VW-Chef muss Macht abgeben
Mit seinem Gerede über Stellenabbau hat Herbert Diess Unruhe in Wolfsburg gestiftet. Dafür wird der Volkswagen-Boss nun bestraft
Von Kai Schöneberg
Herbert Diess ist hoch umstritten – und derzeit ein gefragter Mann. Robert Habeck kündigte am Mittwochabend in den ARD-„Tagesthemen“ an, sich „sehr zeitnah“ bei den Chefs der deutschen Autobauer zu melden, um über die Neugestaltung der Kaufprämien für E-Autos und Hybride zu reden. Das klang, als ob der neue grüne Wirtschaftsminister den CEO von Volkswagen gleich am Donnerstag anrufen werde. Doch der war da ziemlich beschäftigt.
Am Morgen demonstrierten Greenpeace-Aktivisten vor dem Volkswagen-Stammwerk in Wolfsburg für mehr Klimaschutz. Die viel zu großen SUVs der Konzernmarken VW, Audi, Skoda oder Seat produzierten viel zu viel CO2: „Geschäftsmodelle wie das VWs dürfen nicht länger auf Kosten künftiger Generationen gehen“, erklärte Greenpeace.
Im VW-Hochhaus am Mittellandkanal beriet gleichzeitig der Aufsichtsrat über die milliardenschwere Planung für die nächsten fünf Jahre bei Europas größtem Autokonzern – und über die wackelige Zukunft von Herbert Diess. Er hatte den Betriebsrat und die Belegschaft erst vor wenigen Wochen durch die Warnung vergrätzt, 30.000 Jobs könnten in Deutschland bei VW zu viel an Bord sein. Das sei „inhaltlicher Unfug“, ärgerte sich Betriebsratschefin Daniela Cavallo. „Hier ist nicht ein Mensch zu viel an Bord.“ Auch das mit 20 Prozent am Wolfsburger Autobauer beteiligte Land Niedersachsen in Gestalt von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) war entsetzt. Viele bereuten, dass Diess’ Vertrag gerade erst im Juli vorzeitig bis 2025 verlängert worden war.
Der Machtkampf ist zu Ende, der 63-Jährige konnte – wohl noch ein letztes Mal – seinen Posten retten. Wenn auch mit Blessuren. Der Aufsichtsrat entschied am Donnerstag, dass der Vorstandschef zwar weiter die großen Marken lenken soll, aber die Zuständigkeit für das schwächelnde und für VW immens wichtige China-Geschäft verlieren soll. Fernost soll in Zukunft der bisherige Leiter der Kernmarke Volkswagen, Ralf Brandstätter, verantworten. Der Vorstand wird auf elf Mitglieder erweitert, davon zwei Frauen: Hauke Stars wird Vorständin für das neu geschaffene Ressort für IT und Organisation und die Audi-Managerin Hildegard Wortmann soll sich künftig um den Vertrieb kümmern. Chefjustiziar Manfred Döss übernimmt das Ressort für Integrität und Recht von der scheidenden Vorständin Hiltrud Werner. Der einstige Sprecher des Betriebsrats und heutige Personalvorstand Gunnar Kilian erhält einen neuen Vertrag.
Für Diess bleibt die Strategie und der weitere Aufbau der neuen Softwaresparte Cariad, im alltäglichen operativen Geschäft hat er allerdings weniger zu bestimmen. Software wird für die Autobauer zunehmend wichtiger als Motoren und Ausstattung – aber hier hängen Anbieter wie Tesla die Deutschen ab.
Damit das nicht so bleibt, will VW mehr als die Hälfte seiner Investitionen in Höhe von 160 Milliarden Euro bis 2026 in Zukunftsthemen wie Elektromobilität, Vernetzung und IT stecken. Dies sind noch einmal klare Steigerungen gegenüber dem vergangenen Jahr, als der Gesamtbetrag für neue Technologien „nur“ 73 Milliarden Euro erreichte. In fünf Jahren soll jedes vierte Auto aus dem Konzern elektrisch betrieben sein. Während in Hannover ein Zentrum für autonomes Fahren entsteht, soll in Salzgitter die neue einheitliche Batteriezelle des Konzerns gefertigt werden.
Auf der grünen Wiese in der Nähe von Wolfsburg will VW ab 2026 neue E-Fahrzeuge mit dem Projektnamen „Trinity“ bauen. Auch hier wird sich VW an Tesla orientieren müssen: Während die US-Amerikaner in der vor der Eröffnung stehenden neuen Fabrik in Grünheide bei Berlin ein Auto in zehn Stunden bauen, benötigt VW in seinem E-Auto-Werk in Zwickau derzeit dreimal so lang.
Außerdem – und hier hat die Arbeit des Betriebsrats Früchte getragen – soll das Wolfsburger Stammwerk mit seinen über 50.000 Beschäftigten ab 2023 das E-Auto ID.3 fertigen. Wolfsburg werde „das Kraftzentrum des Konzerns“ bleiben, sagte Betriebsratschefin Cavallo. Allerdings werde 2022 wegen der Lieferkettenprobleme mit Halbleitern ein „schwieriges Jahr“ bleiben. In Wolfsburg, wo wegen fehlender Chips derzeit häufig die Bänder stillstehen, würden in diesem Jahr nur 400.000 Autos produziert – „das habe es seit Ende der 50er Jahre nicht gegeben“, betonte die Arbeitnehmervertreterin. Die kommenden Monate würden wegen Schließtagen, ausgefallenen Schichten und Kurzarbeit „hart“.
„Mit den jüngsten Personalentscheidungen, die der Aufsichtsrat heute kommuniziert hat, soll nun wieder mehr Ruhe einkehren“, erklärte Betriebsratschefin Cavallo in einem Brief an die Beschäftigten. Volkswagen habe zuletzt kein gutes Bild abgegeben.
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