Streiks gegen totales Abtreibungsverbot: Polens schwarzer Montag
Viele Polinnen sind wütend. Die Regierung wolle sie entmündigen. Hunderttausende protestieren gegen eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes.
Der „schwarze Montag“ soll die rechtspopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) das Fürchten lehren. Läden sind geschlossen, Restaurants, Büros und Behörden. Auch viele Männer unterstützen in ebenfalls schwarzer Kleidung den Massenprotest der Frauen. Die Ansage ist klar: „Wir stürzen die Regierung. Wir – der Souverän. Wir – die Frauen!“
Die 22-jährige Studentin Ola steht mit ihren Freundinnen aus der Warschauer Universität vor der PiS-Parteizentrale an der Nowogrodzka-Straße. Hinter den Fenstern vermutet sie PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Es gibt zunächst stillen Protest – für schwangere Frauen und solche mit Kindern. Danach eine extrem laute „Wand der Wut“. Alles ist gut organisiert.
Ola schreit ihren Frust heraus: „Frauen sind keine Gebärmaschinen!“ skandiert sie mit Natalia, Mira und Anna. „Freiheit, Freiheit“ und „Mein Bauch, meine Entscheidung!“ Immer mehr schwarz gekleidete Frauen kommen zur PiS-Parteizentrale. „Wir haben uns heute freigenommen. Nachher ziehen wir zum Schlossplatz. Da ist die Hauptkundgebung“, sagt die Geografiestudentin. „Meine Mama und meine Oma wollen auch kommen. Ich bin total stolz auf sie!“
Schwangere werden entmündigt
Der „schwarze Montag“ richtet sich vor allem gegen die geplanten Menschenrechtsverletzungen der Frau. Laut dem Gesetzesprojekt der Bürgerinitiative „Stopp Abtreibung“, das Polens Parlament in erster Lesung angenommen hat, soll eine schwangere Frau nicht mehr allein über ihr Leben entscheiden können. Vorrang sollen das befruchtete Ei und der Fötus haben. Bischöfe, Gynäkologen und Staatsanwälte sollen – angeblich im Namen des „empfangenen Lebens“ – die Kontrolle über die weitgehend entmündigte Schwangere übernehmen.
„Ich will meine Freiheit behalten! Auch wenn ich schwanger werde“, sagt Natalia. „Ich will entscheiden, wann und mit wem ich ein Kind bekomme. Aber diese religiösen Fanatiker verteidigen sogar Vergewaltiger!“ Die Studentin mit dem blonden Kurzhaarschnitt schüttelt sich. „Welche Frau will denn das Kind von so einem Ekel zur Welt bringen, von einem Verbrecher? Wenn man den Fötus abtreibt, würde man bis zu fünf Jahre hinter Gittern sitzen, während der Vergewaltiger nach sechs Monaten wieder frei käme.“
Anna, die Romanistik studiert, setzt hinzu: „Ich habe mich nie groß für Politik interessiert. Das hatte nichts mit meinem Leben zu tun, dachte ich. Jetzt sehe ich, dass das ein Irrtum war.“
Umfragen der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita zufolge sinken die Zustimmungsraten zur PiS seit Beginn der Frauenproteste. Dazu wird auch der arrogante Kommentar von Polens Außenminister Witold Waszczykowski beitragen.: „Die Frauen amüsieren sich heute auf der Straße. Aber wir haben es hier mit einem ernsten Thema zu tun. Über Leben und Tod sollte man ernsthaft sprechen. Nicht auf der Straße.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart