Streik im Tierpark Hagenbeck: „Die Geschäftsführung schürt Angst“
Im Hamburger Tierpark Hagenbeck wird seit Ende August gestreikt – erstmals und unbefristet. Die Angestellten kämpfen für einen Tarifvertrag.
Häufig würden Überstunden nicht bezahlt, sie abzuarbeiten sei wegen der Unterbesetzung unmöglich, so die Streikenden. Urlaubstage würden willkürlich genehmigt. Die Konditionen seien je nach Vertrag für die Mitarbeitenden sehr unterschiedlich geregelt: Zuschläge und Urlaubsgeld würden mal prozentual, mal als Festbetrag gezahlt, die Variation ist groß.
Diese Ungleichheit soll einem Tarifvertrag weichen, fordern die Streikenden. Es brauche feste Spielregeln. „Hagenbeck tariffrei, das ist jetzt vorbei!“, steht auf einigen ihrer dunkelgrünen T-Shirts am zweiten Streiktag vergangene Woche.
Vor einer Woche wurde der unbefristete Streik für einen Tag unterbrochen, ebenso am Montag. Es habe Druck von Seiten der Geschäftsführung gegeben, sagt Pascal Lechner, Gewerkschaftssekretär der IG Bau Nord. „Durch den Druck haben auch einige Beschäftigte krankheitsbedingt den Arbeitsplatz verlassen.“
Man möchte außerdem nicht berechenbar sein, begründet Lechner die Pause, zudem „den Druck aus der Tierpflege nehmen“ – um Tiere und Menschen zumindest kurz zu entlasten. Von nun an solle es jedoch keine weiteren Unterbrechungen geben, da die Geschäftsführung sich uneinsichtig zeige.
Druck und Gegendruck
Gerade das Kassen- und Portierspersonal habe sich in großer Zahl an dem Streik beteiligt, sagt Lechner. Man möchte jedoch nicht in erster Linie die Besucher*innen des Zoos treffen, denn auch kurzzeitige Schließungen scheinen den Arbeitgeber nicht zu Verhandlungen zu bewegen.
Die Zahl der Streikenden variiere stark. Das hänge auch davon ab, wer überhaupt im Betrieb ist, so Lechner. Einige sind im Urlaub, andere unterstützen den Streik, müssen aber für die Notversorgung arbeiten. Auch sie bekommen von Hagenbeck-Geschäftsführer Dirk Albrecht eine Streikbruchprämie.
Auch im Streiklokal reden die Mitarbeitenden über diese Prämie: Zwei Kolleginnen hätten schon angekündigt, das Geld für den Arbeitskampf einsetzen zu wollen.
Trotz der bisherigen Wirkungslosigkeit der Streiks ist die Stimmung fast ein bisschen feierlich. Zu essen gibt es Chili ohne und mit Fleisch, „für die, die Tiere mögen“, sagt jemand und lacht. Sie mögen hier alle ihren Job, aber der Druck ist groß. An einer guten Arbeitsatmosphäre sei der Geschäftsführung offensichtlich nichts gelegen, sagt ein Mitarbeiter. „Sie hat sowohl für Tiere als auch für Menschen nichts übrig.“ Eine Angestellte ergänzt: „Im Gegenteil schürt sie Angst und Unsicherheit.“
Gespräche gebe es derzeit nicht, sagen die Streikenden. Albrecht weigere sich seit Monaten, mit der Gewerkschaft IG Bau zu verhandeln.
In drei Jahren seien 60 Leute abgehauen, jeden Monat kündige einer, erzählt ein anderer Mitarbeiter. Auch das sei die Konsequenz der Arbeitsatmosphäre unter Albrecht. Ein Elektriker habe sich einmal nur die Frühschicht angeschaut und sei danach direkt wieder weg. Es gebe auch viele Beschäftigte, die 30 oder 40 Jahre im Tierpark gearbeitet hätten und gegangen seien, nachdem Albrecht die Geschäftsführung übernommen habe.
Keine Kommunikation mit Geschäftsführer
„Er will links, rechts und über sich keine Menschen“, so der Vorwurf eines Angestellten. Selbst für die Planung des Notdienstes sei er nicht ansprechbar gewesen.
Organisiert ist die Notversorgung von den Streikenden selbst, für die verschiedenen Bereiche des Zoos. Die Tierpfleger*innen arbeiten bis halb zehn am Vormittag und bereiten alles für den Tag vor. Anschließend gehen diejenigen raus, die nicht eingeplant sind und streiken wollen.
Im Elefantenhaus blieben beispielsweise drei Pfleger*innen und eine Hilfskraft. Man wisse ja ungefähr, wer streiken und wer arbeiten möchte, so könne man planen. Zudem habe Albrecht eine Telefonnummer bekommen, falls etwas los sei, erzählt ein weiterer Arbeiter. „Er kommuniziert jedoch offenbar lieber über die Presse.“
Keine Reaktion auf Anfragen der taz
Albrecht hat auf mehrere Anfragen der taz nicht reagiert. Der Deutschen Presseagentur sagte er, dass er erleichtert sei, weil „bisher kaum ein Tierpfleger am Streik teilnimmt und unseren Mitarbeitern in der Tierpflege das Wohl der Tiere wichtiger ist“. Wenn das so bleibe, sei kein „Gang zum Arbeitsgericht“ notwendig.
Über die Hälfte der 140 Beschäftigten ist gewerkschaftlich organisiert. Unter ihnen sind 30 bis 35 sehr aktive Mitglieder. Regelmäßig stehen sie vor dem Eingangstor und sprechen mit den Gästen. Lechner sagt: „Es gab viel Solidarität von Seiten der Besucher.“
Die Streikenden wissen, dass sie ihren Geschäftsführer nicht zwingen können. Sie werden deshalb weiter die Öffentlichkeit suchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid