Streik der Kita-Beschäftigten: Kita-Essen geht noch billiger
Die Stadt sieht 40 Millionen Euro Luft im Kita-Etat. Die Beschäftigten sind empört. Kommende Woche ist eine Urabstimmung über einen unbefristeten Streik angesetzt.
HAMBURG taz | Auf Hamburgs Kitas kommen unruhige Zeiten zu. Nachdem am Freitag die Verhandlungen zwischen Stadt und Ver.di über höhere Erzieher-Gehälter scheiterten, kündigte die Gewerkschaft eine Urabstimmung über einen unbefristeten Streik an. „Wir werden unsere Mitglieder in den Kitas vom 28. April bis 5. Mai befragen, ob sie einem Erzwingungsstreik zustimmen“, sagt Verhandlungsführerin Hilke Stein. Der Organisierungsgrad sei „sehr gut“.
Schon seit Wochen gibt es Warnstreiks, weil Erzieherinnen so wenig verdienen: eine Kinderpflegerin zum Beispiel beim Einstieg 2.104 Euro brutto, eine Erzieherin 2.420 Euro. Ver.di fordert ein Plus von zehn Prozent.
In dieser Situation gießt der Senat offenbar noch Öl ins Feuer. So berichtet das Abendblatt von einem Gutachten, das die Behörde bei einer Unternehmensberatung in Auftrag gab. Und das sieht nach Aussage von Kita-Abteilungsleiter Dirk Bange im Kita-Etat 40 Millionen Euro Luft. Ausgerechnet weil das Tarifsystem 2005 geändert wurde und der Lohn bei jungen Beschäftigten niedriger sei als bei alten, sehe er „26 Millionen Euro Spielraum bei den Personalkosten“. Dieses Geld verbleibe bei den Trägern und solle für mehr Personal verwendet werden.
Weitere 14 Millionen Euro Luft soll es laut Bange beim Kita-Essen geben. Denn laut einer Bertelsmann-Studie sei ein gesundes Mahl bereits für 3,60 Euro zu haben, die Kitas bekommen aber 4,75 Euro. Die Differenz könne vor allem bei größeren Kitas, die günstiger kochen, in zusätzliches Personal fließen.
Marina Jachenholz, Betriebsrätin der Elbkinder-Kitas, findet das empörend. „Alle 178 Elbkitas sind für gesundes Essen zertifiziert. Es gibt bei uns nur frische Kost“, sagt sie. „Das wollen wir erhalten.“ Der GEW-Kita-Experte Jens Kastner fürchtet, dass eine Senkung der Essenspauschale zu schlechterer Bezahlung des Küchenpersonals führt. Die 4,75 Euro würden gebraucht, sagt auch Jens Stappenbeck von der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege. „Es gibt in der Kita nicht nur Mittag, sondern auch Getränke und Obst zwischendurch.“
Wegen der verjüngten Belegschaft gebe es bei den Personalkosten zwar etwas Spielraum, sagt Stappenbeck, „der macht aber niemals 26 Millionen Euro aus“. Gewerkschafter Kastner bezweifelt auch dies, weil es seit 2009 bereist wieder leicht angehobene Gehaltstufen gibt. „Der Mix von Jüngeren und Älteren macht es möglich, mit dem Budget auszukommen“, sagt er. „Senkt man es ab, müssen die Alten entlassen werden.“
Was etwas verwirrend ist: Die Kita-Verbände haben mit der Stadt längst „Eckpunkte“ vereinbart, die vorsehen, dass die Kitas bis 2025 schrittweise auf 0,5 Prozentpunkte des Ausgleichs für Kostensteigerungen verzichten und für die so eingesparten 40 Millionen Euro einen besseren Personalschlüssel bekommen. „Sofern es einen Spielraum gab, ist er damit aufgebraucht“, sagt Stappenbeck. Die übrigen 80 Millionen Euro für das Projekt soll die Stadt beitragen, die dabei zur Hälfte auf Bundesmittel hofft.
Marina Jachenholz macht die Sache unruhig. „Ich habe den Eindruck, dass die Behörde hier einen Befreiungsschlag versucht“, sagt sie. „Für den Fall, dass keine Bundesmittel fließen, sollen die Kitas noch mehr bluten.“
Gefragt, ob die Behörde über besagte Eckpunkte-Vereinbarung hinaus noch mehr Einsparpotenzial sieht, antwortet Sprecher Marcel Schweitzer: „Das Wort ’Einsparpotenzial‘ kommt nicht aus unserem Haus.“ Das in der Presse zitierte Gutachten sei seit Monaten auf dem Transparenzportal der Stadt einsehbar. „Das, was mit den Kita-Trägern vereinbart wurde, gilt.“
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