Strategien gegen die AfD: Nicht nur angreifen

Wie lässt sich die AfD stoppen? Im Osten könnte eine Strategie „Modernisierungspatriotismus“ sein. Bei der EU-Wahl sieht das hingegen ganz anders aus.

Demonstranten protestieren gegen die AfD

Das Bündnis Essen ruf zum Protest gegen die AfD auf. Tausende Menschen kommen Foto: imago

Unabhängig davon, wie man zu einem AfD-Verbot steht: Für das Superwahljahr 2024 lassen sich rechtliche Mittel nicht mehr rechtzeitig anwenden. Gegen rechtsextreme Wahlerfolge werden andere Ansätze benötigt. Gefordert scheint vor allem eine wehrhafte demokratische Gesellschaft.

Die Lage der Parteien bei den Landtagswahlen im Herbst bestimmt der Ausgang der Europawahlen im Sommer mit. Hierfür sollten die pro-europäischen Parteien ihre Intuition hinterfragen: Attackieren die demokratischen Parteien die AfD im Wahlkampf permanent und setzen auf die Polarisierung „Pro-Europäer versus Anti-Europäer“, steigt die Aufmerksamkeit für beide Pole. Das dürfte Mobilisierungseffekte bei AfD-Wählenden auslösen, Angriffe stärken den Zusammenhalt.

Damit würde man der AfD helfen, ihr größtes Problem bei Europawahlen zu überwinden: die mangelnde Motivation ihrer Anhänger:innen, ein Parlament zu wählen, das man ohnehin abschaffen will. Aktivierungsprobleme haben zwar fast alle Parteien bei EU-Wahlen, die Mobilisierungsschwäche der AfD ist allerdings überproportional. Schon bei den Europawahlen 2019 verlor die AfD im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 etwa 2,2 Millionen Stimmen an das Lager der Nicht-Wähler. Während sie zum Zeitpunkt der Europawahl in den Umfragen für den Bund bei rund 14 Prozent lag, konnte sie bei der Europawahl gerade einmal 11 Prozent holen.

Die Mobilisierungsschwäche bei Europawahlen ist im Wesen und in der Programmatik dieser europafeindlichen Partei angelegt. Statt im Wahlkampf auf die Frage „für oder gegen Europa?“ zu setzen, sollten die demokratischen Parteien über die besten Konzepte für Europa streiten und die AfD rechts liegen lassen. Das heißt nicht, dass man die AfD gar nicht angreifen sollte. Aber dafür bietet sich eher die Markierung als Putin-Partei an. Denn die An­hän­ge­r:in­nen sind in dieser Frage gespalten und weniger russlandfreundlich als die Partei.

Pro-Europäer müssen in großer Zahl wählen gehen

Außerdem müssen pro-europäische Wäh­le­r:in­nen in großer Anzahl zur Wahl gehen. Um sie zu motivieren, ohne gleichzeitig AfD-Wählende zu mobilisieren, ist die Zivilgesellschaft gefordert. Zum Beispiel die überparteiliche Bürger:innen-Initiative „Pulse of Europe“, aber auch exportorientierte Unternehmen oder junge Interrail-Nutzende könnten Befürworter Europas für die Wahl aktivieren.

Bei den Landtagswahlen im Osten wird dieser strategische Ansatz kaum funktionieren. Die AfD-Anhängerschaft wird in höchstem Maße mobilisiert sein, für sie geht es um Platz eins. Trotz der hohen Umfragewerte der AfD gibt es immer noch eine Mehrheit von rund zwei Dritteln der ostdeutschen Wahlbevölkerung, die sich ganz und gar nicht vorstellen können, für die AfD zu stimmen. Wie können sie motiviert werden?

In Thüringen könnte sich der Wahlkampf zu einem „Horse Race“ Demokrat versus Faschist verdichten

In Thüringen wird Bodo Ramelow, der persönlich gute Zustimmungswerte hat, ein „Horse Race“ gegen Höcke vermutlich auf die Wahl „Demokrat versus Faschist“ verdichten. Das wird zur Mobilisierung der eigenen An­hän­ge­r:in­nen beitragen. Allerdings ist die Demokratieunzufriedenheit und das Misstrauen in die etablierten Parteien im Osten so hoch, dass selbst Ramelow für diese Botschaft eben nicht der glaubwürdigste „Messenger“ für viele Menschen ist.

Insbesondere bei den politisch eher Uninteressierten liegt das größte Einflusspotenzial im persönlichen Umfeld, bei Bekannten oder der Arbeit. In solchen Netzwerken gilt es, ohne für eine Partei, für die Stimmgabe an demokratische Alternativen zu werben. In Polen hat sich gezeigt, wie die überdurchschnittlich starke Mobilisierung von Frauen eine rechtspopulistische Regierung mit der Kraft einer hohen Wahlbeteiligung aus dem Amt fegen kann. Der Urnengang wurde zur Schicksalswahl über die Selbstbestimmung der Frau gemacht.

Unternehmen sollten sich gegen rechts einsetzen

Ebenso könnten Unternehmen und Wirtschaftsverbände in Thüringen eine wichtige Rolle spielen. Unter einer AfD-Regierung können Exportmärkte wegbrechen, Fachkräfte fernbleiben, staatliche Förderung für Modernisierung gestrichen werden. Vor Kurzem hat die Firma Jenoptik aus Jena die Kampagne #BleibOffen gestartet – ein Appell für Weltoffenheit und Toleranz, der unternehmerische Interessen mit demokratischen Werten verbindet.

Es braucht in diesem Jahr mehr solcher Initiativen, auch weil etwa in Thüringen mehr als ein Drittel der Landkreise als „Transformationsregionen“ gilt. Dort ist der Beschäftigungsanteil in energieintensiven Unternehmen hoch, denen die Dekarbonisierung besonders viel abverlangt. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) belegt, dass die AfD in Transformationsregionen überdurchschnittlich stark ist. Sie erreicht Menschen, die unter „Transformationsstress“ stehen, mit multipler Realitätsleugnung werden sie von Veränderungsdruck entlastet.

Unternehmen aus diesen Regionen werden in der öffentlichen Debatte gebraucht, um zu erklären, welche Politik und welche Haltung nötig ist, um den ostdeutschen Wirtschaftsstandort zu stärken, Wohlstand und Arbeitsplätze zu sichern. Allerdings besteht der AfD-Erfolg häufig aus einer Überlagerung von ökonomischen durch kulturelle Themen. Demokratische Kräfte müssten so etwas wie einen „Modernisierungspatriotismus“ anbieten.

Initiativen aus der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und dem Bekanntenkreis könnte man als „Wehrhafte Demokratie von unten“ bezeichnen, in der das Demos sich gegen seine inneren Feinde verteidigt. Im Kleinen wurde dieser Ansatz schon bei der Stichwahl für das Landratsamt im thüringischen Nordhausen erprobt: Dort verhinderte nicht eine Allparteien-Allianz den AfD-Wahlsieg, sondern ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus dem Umfeld der örtlichen KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Die derzeitigen Demos gegen rechts könnten ein Anfang sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst in längerer Fassung auf dem Blog des Think Tanks CeMAS.

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ist Kommunikationswissenschaftler und Politikberater in Berlin. Er hat mehrere Sachbücher geschrieben, sein jüngstes heißt: „Das ‚Wir‘ der AfD – Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus“.

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