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Strategien In Hamburg gibt es zu wenig Wohnungen. Die Politik setzt darum auf Verdichtung und auf neue Wohnviertel mitten in der Stadt. Über die alten Großsiedlungen am Stadtrand redet niemand mehr – dabei lässt es sich auch dort gut leben ▶Schwerpunkt SEITE 43–45Zeit der Kräne

von Marco carini

Es war Olaf Scholz’zentrales Wahlversprechen. Mit ihm als Bürgermeister, so versprach der Sozialdemokrat 2011, würden in Hamburg schon bald 6.000 Wohnungen jährlich gebaut werden, um die Wohnungsnot im wachsenden Hamburg zu mindern. Denn Hamburg wächst. Zwischen Ende 2011 und Ende 2016 stieg die Zahl der HamburgerInnen von 1,718 auf 1,86 Millionen – 150.000 Menschen mehr innerhalb von fünf Jahren, die ein Dach über dem Kopf benötigen. Eine Tendenz, die Scholz im vergangenen Jahr zwang, eine Schippe draufzulegen: 10.000 neue Wohnungen per anno sollen es jetzt sein, darunter auch viele Unterkünfte für Flüchtlinge.

Der rot-grüne Senat ist im Plan. 2015 und 2016 wurden insgesamt 16.243 Wohnungen bezugsfertig. Um solch ehrgeizige Ziele zu erreichen, verpflichtete Scholz die sieben Hamburger Bezirksregierungen bald nach Beginn seiner ersten Amtszeit, Flächen für Wohnungsbau zu identifizieren und neue Baugebiete auszuweisen. Kurz danach verpflichtete sich die Bauwirtschaft in einem „Bündnis für Wohnen“, kräftig in Neubauten zu investieren. Die Stadt garantierte dafür Bauflächen und schlanke Genehmigungsverfahren. Und auch die städtische Wohnungsgesellschaft SAGA, in deren Besitz 130.000 Wohneinheiten, meist Sozialwohnungen sind, versprach – nach Jahren ohne eigene Bautätigkeit –, kräftig in den Neubau zu investieren.

Doch der Bauboom verändert das Hamburger Stadtbild – dichter und höher heißt die Devise. Um seine ambitionierten Ziele zu realisieren, setzt der Senat auf mehrere Strategien. Zentral ist die innerstädtische Nachverdichtung: Baulücken sollen geschlossen, niedrige Wohngebäude ersetzt und brachliegende Flächen für den Wohnungsbau erschlossen werden. Den Kritikern der Nachverdichtung, die die Versieglung der letzten innerstädtischen Flächen und mehr Verschattung durch höhere Wohngebäude befürchten, hält Scholz entgegen, Hamburg sei viel dünner besiedelt als Städte wie München, Berlin oder Stuttgart. Für Wohnungen und neue BewohnerInnen gäbe es deshalb noch massig Platz.

Daneben sollen neue Stadtteile auf ehemaligen Gewerbeflächen entstehen – Großsiedlungen in neuem, modernen Gewand. Das prominenteste Projekt ist die Hafencity, schon in den Neunziger Jahren geplant und das größte innerstädtische Stadtentwicklungsprojekt Europas. Auf einer Fläche von 157 Hektar, die ehemals zum Freihafen gehörte, entstehen hier derzeit 7.000 Wohnungen für rund 14.000 BewohnerInnen. Gleich nebenan, auf dem Kleinen Grasbrook, ist bereits der nächste Stadtteil geplant: Hier sollen in den kommenden 20 Jahren weitere 3.000 Wohnungen erstellt werden.

Der dritte am Reißbrett schon erschaffene Stadtteil in Zentrumsnähe ist die „Neue Mitte Altona“. Hier sind auf ehemaligen Flächen einer Brauerei und der Deutschen Bahn auf insgesamt 75 Hektar insgesamt 3.500 Wohnungen geplant. Der erste Bauabschnitt mit 1.600 Wohnungen wird derzeit realisiert.

In all diesen neuen Quartieren überwiegt eine flächensparende, sechs- bis siebenstöckige Bauweise, die rechteckigen verklinkerten Wohngebäude stehen dicht an dicht und gewähren den Blick in Nachbars Küche. So ähneln sich die Hamburger Neubaugebiete so stark, als wären sie alle vom selben Planungsteam entworfen worden. Lediglich die Hafencity, Hamburgs teuerstes Wohnpflaster, zeichnet sich noch durch eine gewisse architektonische Vielfalt aus.

Eine Nummer kleiner, dafür aber umso zahlreicher sind die Einheiten, in denen Hamburg seine Flüchtlinge unterbringt. 2015 hatte Scholz alle sieben Hamburger Bezirke aufgefordert, eine oder mehrere Flächen mit einer Gesamtgröße von acht Hektar zu benennen, auf denen der Bau von 800 Wohneinheiten möglich ist. Schlichtbauweise ist hier gefragt. Die im Standard des Sozialen Wohnungsbaus errichteten Wohnungen werden zunächst als Flüchtlingsunterkünfte in der Folgeunterbringung genutzt und mit deutlich mehr Personen belegt als in regulären Wohnungen üblich.

Die rechteckigen,verklinkerten Wohn­gebäude stehen dicht an dicht und gewähren den Blick in Nachbars Küche

So sind bei einer sehr engen Belegung von mindestens fünf Personen pro Wohneinheit für die Dauer der öffentlich-rechtlichen Unterbringung pro Bezirk 4.000 Flüchtlingsplätze und in ganz Hamburg 28.000 Plätze möglich. Viele Menschen zusammengepfercht auf engem Raum: Damit auf Dauer keine Ghettos entstehen, sollen die von Geflüchteten genehmigten Wohnungen spätestens nach 15 Jahren dauerhaft dem Wohnungsmarkt und damit weiteren Kreisen der Bevölkerung zur Verfügung stehen.

Doch ob die soziale Durchmischung je gelingt oder die heute geplanten Quartiere die sozialen Brennpunkte von morgen werden, steht noch in den Sternen. Umgekehrt stellt sich in den neu errichteten Vorzeigestadtteilen die Frage, ob dort nicht zu wenig Mietwohnungen im Sozialen Wohnungsbau entstehen – deren gedeckelte Mieten könnten auf den gesamten Markt preisdämpfend wirken. „Der rot-grüne Senat betreibt unsozialen Wohnungsbau“, klagt die Bürgerschaftsabgeordnete der Linken, Heike Sudmann, im Hinblick auf die neuen schicken Wohnquartiere. Wohnungen würden gebaut, die sich kaum jemand leisten könne. Für die einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen, die am meisten von der Wohnungsnot betroffen sind, aber gäbe es kein Angebot.

Versprochen hat die Hamburger Landesregierung, jede dritte Neubauwohnung werde mit den Förder-Programmen des Sozialen Wohnungsbaus erstellt. Doch in der Realität traf das zwischen 2011 und 2015 nicht einmal auf jede vierte Wohnung zu. Die Hälfte aller Hamburger Haushalte ist wegen ihres geringen Einkommens berechtigt, eine geförderte Wohnung zu beziehen – wenn es sie denn gäbe.

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