Straßenverkehrsordnung wird verändert: Es muss nicht erst Tote geben
Vor Schulen und Kitas können Kommunen künftig leichter Tempo 30 einführen. Und Eltern dürfen bald mit ihren Kindern auf dem Gehweg radeln.
Denn an Hauptverkehrsstraßen – das sind Bundes-, Land- oder Kreisstraßen sowie andere kommunale Vorfahrtsstraßen, die überwiegend dem Durchgangsverkehr dienen – sind Tempobegrenzungen bisher schwer durchzusetzen. Teil einer Tempo-30-Zone, in der die Geschwindigkeit auf allen Straßen eines Gebiets begrenzt ist, dürfen sie grundsätzlich nicht sein.
Und auch ein Tempolimit nur auf einem kurzen Teilstück der Straße, also etwa vor einer Schule, war bisher nur möglich, wenn die Kommune durch eine Untersuchung belegen konnte, dass es sich um einen besonderen Gefährdungsschwerpunkt handelte. Rein vorsorglich, also ohne dass es bereits schwere Unfälle gegeben hat, war ein Tempolimit an Hauptstraßen nicht möglich.
Das soll sich nun ändern. Das Bundesverkehrsministerium will die Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass vor Schulen, Kindertagesstätten, Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern künftig keine erhöhte Gefährdung nachgewiesen werden muss, um dort Tempo 30 einzuführen. „Wir schaffen jetzt den Rechtsrahmen, damit die Straßenverkehrsbehörden ohne größere bürokratische Hürden Tempo 30 vor Schulen und Kindergärten auch an Hauptverkehrsstraßen anordnen können“, erklärte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Mittwoch.
Die Initiative für die Änderung ist allerdings von den Ländern ausgegangen, die bereits im Oktober für eine entsprechende Änderung plädiert hatten. Sie soll nun „schnellstmöglich“ umgesetzt werden, hieß es aus dem Ministerium. In dieser Woche ist der Entwurf an die Länder und Verbände verschickt worden, die nun Stellungnahmen dazu abgeben können.
ADAC findet die Änderung gut
Dort fällt die Reaktion gemischt aus. Der Deutsche Städtetag begrüßt die Pläne. Städten einen größeren Entscheidungsspielraum bei der Einrichtung geschwindigkeitsreduzierter Streckenabschitte zu geben, sei „der richtige Weg“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Kommunen müssten tätig werden können, „bevor etwas passiert“. Auch der Auto-Club ADAC findet die Änderung gut. Zugleich fordert Vizepräsident Ulrich Klaus Becker von den Kommunen aber Zurückhaltung bei der Ausübung der neuen Rechte: Sie sollten „nur dort regulieren, wo es aus Sicherheitsgründen auch geboten ist“, erklärte er.
Dem Radfahrer-Verband ADFC geht die Änderung hingegen nicht weit genug. „Tempo 30 muss Regelgeschwindigkeit in den Städten sein“, fordert Vorstand Jens Schütte. Nur Hauptstraßen sollten davon befreit werden können. Auch der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland würde den Kommunen noch mehr Freiheit geben und sie generell selbstständig entscheiden lassen, wo Tempo 30 und wo Tempo 50 gelten soll.
Noch eine weitere Regelung, die für viel Kritik gesorgt hat, soll im Rahmen der Reform verändert werden. Bisher müssen Kinder unter 8 Jahren mit dem Fahrrad auf dem Fußweg fahren; bis 10 Jahre dürfen sie dies tut. Erwachsene dürfen hingegen grundsätzlich nicht auf Gehwegen radeln. Eltern haben bisher also die Wahl, ob sie ihr Kind auf dem Gehweg allein lassen oder ein Bußgeld riskieren. Künftig dürfen die Kinder beim Radfahren auf dem Gehweg von einer „geeigneten Aufsichtsperson“ begleitet werden. Diese muss aber mindestens 16 Jahre alt sein. 14-Jährige, die ihre 7-jährigen Geschwister begleiten, haben also weiterhin ein Problem.
Besser, aber nicht ideal
Nach Ansicht des ADFC ist die neue Regelung zwar besser als der bisherige Zustand, aber nicht ideal. „Wenn jetzt Eltern ihre Kinder mit dem Rad auf dem Gehweg begleiten dürfen, wird es dort bei zunehmendem Radverkehr immer häufiger zu Konflikten mit Fußgängern kommen“, fürchtet Vorstand Schütte. Notwendig sei daher insgesamt eine „familienfreundliche Fahrrad-Infrastruktur“.
Eine weitere Änderung betrifft Elektroräder, und zwar jene, die selbstständig bis zu 25 Kilometer pro Stunde fahren, auch wenn nicht getreten wird. Genau wie Mofas sollen sie künftig außerorts generell auf Radwegen fahren dürfen. Innerorts soll dies durch ein neues Zusatzschild erlaubt werden können. Für Pedelecs, bei denen der Motor nur unterstützend arbeitet, gilt das schon jetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen