Straßenumbenennung im Wedding: Ein antikoloniales Viertel
Am Freitag werden im Wedding die Maji-Maji-Allee und die Anna-Mungunda-Allee eingeweiht. Ein weiterer Kolonialverbrecher muss weichen.
Seit 40 Jahren setzt sich Mboro nach eigenen Angaben für die Umbenennung von Straßennamen ein, die Kolonialverbrecher ehren. „Als vor zwei Jahren die anderen Straßen im Afrikanischen Viertel umbenannt wurden und die Petersallee geblieben ist, war ich wirklich fertig“, sagt er.
Doch nun ist es soweit: Am Freitag um 15 Uhr werden die Maji-Maji-Allee und die Anna-Mungunda-Allee eingeweiht. Zwei Stunden vorher findet ein Gedenkmarsch in Erinnerung an die gefallenen Widerstandskämpfer*innen im Maji-Maji-Krieg statt. Der Tag ist bewusst gewählt, der 23. August ist der Internationale Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung.
In den vergangenen Jahren haben Aktivist*innen diesen Tag für eine symbolische Umbenennung der M*Straße in Mitte genutzt. „Dass es in diesem Jahr wirklich eine Umbenennung gibt, ist toll“, sagt Anna Yeboah, Gesamtkoordinatorin des Projekts „Dekoloniale – Erinnerungskultur in der Stadt“ zur taz. Für sie ist damit eine große Transformation geschafft. „Das Afrikanische Viertel ist von einem kolonialen zu einem antikolonialen Viertel geworden.“
Gedenken an Widerstand
Ein Abschnitt der ehemaligen Petersallee wird nun an Anna Mugunda erinnern, eine Herero aus dem Widerstand gegen die Apartheid in Namibia. Der zweite Abschnitt ist nach Maji-Maji benannt, dem großen Widerstandskampf gegen die deutsche Kolonialherrschaft im damaligen Deutsch-Ostafrika (heute: Tansania ohne Sansibar, Ruanda, Burundi).
Dass im Wedding nun an den Widerstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft erinnert wird und nicht etwa an Nelson Mandela, ist in erster Linie dem langen Atem von Aktivist*innen und Initiativen wie der Dekoloniale, der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), Each One Teach One (EOTO) und Berlin Postkolonial zu verdanken. „Straßennamen sind Stein gewordene Erinnerungskultur. Sie zeigen ganz klar, wen wir als Gesellschaft würdigen und wen wir außen vor lassen“, sagt Anna Yeboah.
Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger findet es „gut und richtig“, dass der Name Peters aus dem Berliner Straßenbild verschwindet. Das Thema Kolonialismus erfahre mit den neuen Namen einen Perspektivwechsel, so die Grünen-Politikerin. Sie dankt den zivilgesellschaftlichen Initiativen und bedauert „wirklich sehr, dass es so lange dauern musste“.
Anders als Neukölln wartete der Bezirk Mitte mit der Umbenennung, bis alle Gerichtsverfahren, die Anwohner*innen gegen eine Umbenennung angestrengt hatten, abgeschlossen waren. Der Nachtigalplatz und die Lüderitzstraße wurden schon vor zwei Jahren in Cornelius-Fredericks-Straße und Manga-Bell-Platz umbenannt. Die letzte Klage gegen einen Abschnitt der Petersallee wurde im April abgewiesen.
Der Kampf ist nicht vorbei
Auch für Mnyaka Sururu Mboro von Berlin Postkolonial ist die Umbenennung ein Erfolg. „Aber ich bin nicht zufrieden. Es gibt überall in Deutschland immer noch Straßen, die die Namen von Kolonialisten tragen“, sagt er.
Mboro hat 1984 zum ersten Mal vom Afrikanischen Viertel im Wedding gehört, anlässlich eines Gedenkens an den 100. Jahrestag der Afrika-Konferenz. „Als ich gehört habe, wer da geehrt wird, war ich wirklich erschüttert“, sagt Mboro, der in Tansania geboren ist und 1978 zum Studium nach Deutschland kam.
Geehrt wurde Carl Peters, der 1884 die Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ durch Betrug und Zwang „begründete“. Unter Zeitgenoss*innen war er als „Hänge-Peters“ und „Blutige Hand“ bekannt. Wegen seiner grausamen Behandlung der Zivilbevölkerung wurde er 1897 seines Amtes enthoben. Das bedeutete allerdings keineswegs eine Ablehnung seiner rassistischen und kolonialen Grundeinstellung. 1914 wurde er dann von Kaiser Wilhelm II. rehabilitiert und später von den Nazis glorifiziert. 1939 wurde die Straße im Wedding – wie viele andere im Deutschen Reich – nach ihm benannt. „Er wurde dort wegen seiner Brutalität geehrt“, sagt Mboro.
Schon 1984 forderte eine Schwarze Community in Berlin die Umbenennung der Straße. Unterstützt wurde sie damals von der Vorgängerorganisation der Grünen, der Alternativen Liste. Doch statt den Namen Peters aus dem Stadtbild zu tilgen, wurde die Straße 1986 lediglich umgewidmet. Sie sollte nun den CDU-Politiker Hans Peters ehren, der im Nationalsozialismus der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis angehört hatte. Die Umwidmung wurde allerdings nie rechtskräftig.
Für Mboro und seine Mitstreiter*innen war das ohnehin keine gute Lösung. Anlässlich des Maji-Maji-Trauermarsches im Jahr 2005 nahmen sie den Kampf für die Umbenennung wieder auf. Doch es dauerte noch mehr als zehn Jahre, bis die Bezirksverordnetenversammlung in Mitte die Umbenennung 2016 beschließen sollte.
Eine Jury wählte damals aus 190 eingereichten Namensvorschlägen 6 zur weiteren Beratung aus. Darunter war auch Ana Nzinga, die einerseits Widerstand gegen die portugiesische Kolonialherrschaft leistete, als Königin des heutigen Angola jedoch am Sklavenhandel beteiligt war. Nach heftiger öffentlicher Kritik beschloss das Bezirksamt, eine wissenschaftliche Beratung hinzuzuziehen. Anfang 2018 wurden dann neue Vorschläge präsentiert.
Doch Maji-Maji wurde zunächst als „zu abstrakt“ verworfen. Die Widerstandsbewegung, die von 1905 bis 1907 gegen die deutsche Kolonialherrschaft kämpfte, ist nach einem „Zauberwasser“ benannt, das die Kämpfer*innen unverwundbar machen sollte. Deutsche Truppen nutzten damals die Politik der verbrannten Erde, zerstörten ganze Dörfer, Felder und Lebensmittelvorräte. Schätzungen zufolge wurden 250.000 bis 300.000 Menschen getötet, fast ein Drittel der Bevölkerung. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) bat im November vergangenen Jahres bei einem Besuch in Tansania um Verzeihung für die Gewalttaten der deutschen Kolonialherren. Als Genozid hat Deutschland diese bisher jedoch nicht anerkannt.
Viele Anwohner*innen waren mit den Umbenennungen im Afrikanischen Viertel nicht einverstanden. Es kam zu rund 1.200 Widersprüchen von 400 Einzelpersonen. „Viele versuchen so zu tun, als wäre die Kolonialgeschichte nicht passiert“, sagt Mboro. Aber es ist passiert, also müsse darüber gesprochen werden. „Ich möchte, dass die jungen Generationen hier und in Tansania miteinander zu Frieden kommen.“
Initiative läuft aus
Anna Yeboah arbeitet gerade an einer dezentralen Ausstellung, die am 14. November eröffnet werden soll. Das Afrikanische Viertel soll dabei als Lern- und Erinnerungsort eine große Rolle spielen. „Wir wollen Wissen vermitteln zu den neuen Namensgebern, aber auch zu den alten“, sagt sie. Damit stellt sich das Projekt den Vorwürfen entgegen, mit den Umbenennungen werde „Geschichte getilgt“.
Ende des Jahres endet das Projekt „Dekoloniale – Erinnerungskultur in der Stadt“. Die Förderung des Projekts durch den Senat war auf fünf Jahre angelegt. Laut Kulturverwaltung sollen die Räumlichkeiten aber langfristig gesichert werden „und für zukünftige Projekte zur Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus zur Verfügung“ stehen. Yeboah würde gerne weitermachen: „Wir fänden es wünschenswert, wenn Strukturen, die über einen langen Zeitraum aufgebaut wurden, gefördert werden, damit wir kontinuierlich arbeiten können.“
Mboro und die anderen Aktivist*innen der Initiativen werden bleiben – und damit auch die Auseinandersetzung mit Rassismus und Kolonialismus. Von den elf Straßen, deren Umbenennung sie gefordert haben, wurden acht bereits umbenannt oder die Umbenennung zumindest beschlossen.
Für Christian Kopp von Berlin Postkolonial ist das eine „mutmachende Bilanz zivilgesellschaftlich-diasporischen Engagements“. Drei Straßen sind noch offen: Die Woermannkehre, die Iltisstraße und die Lansstraße.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste