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Strafe für Russisch-OrthodoxenPoker mit Putin

Der Metropolit Nestor wird von Patriarch Kirill seiner Ämter enthoben. Offiziell wegen Glücksspiels, womöglich auch wegen zu lauter Kritik an Putin.

Der Bischof für Europa, Metropolit Nestor, mit bürgerlichem Namen Evgeni Sirotenko, wurde vom Moskauer Patriarchen suspendiert Foto: Marcello Valeri/imago

Für den russischen Geistlichen Nestor, mit bürgerlichem Namen Ewgeni Sirotenko, könnten ungemütliche Zeiten anbrechen. In der vergangenen Woche wurde er von Patriarch Kirill, dem Oberhirten der russisch-orthodoxen Kirche (RPZ), seiner Ämter enthoben. Gegen den Metropoliten von Korsun und Westeuropa, der bislang die Aktivitäten der RPZ in Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Portugal leitete, wurde ein kirchenrechtliches Verfahren eingeleitet.

Zwar hält sich die RPZ mit einer offiziellen Begründung noch bedeckt. Jedoch könnte Nestor ein durchaus weltliches Laster zum Verhängnis geworden sein: Poker spielen. Das ist laut kanonischem Recht strengstens verboten. Jetzt soll geprüft werden, ob Nestor auch noch Kirchengelder für seine Teilnahme an Turnieren verwendet hat.

Der heute 51-Jährige wurde in Moskau geboren. Nach einem Studium an der Fakultät für Informatik des Historischen und Archivarischen Instituts der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität arbeitete Sirotenko im Ministerium für Außenwirtschaftsbeziehungen der Russischen Föderation. In den Jahren 1995 bis 2004 studierte er am Moskauer Theologischen Seminar. Dort legte er das Mönchsgelübde ab und wurde zum Hieromonach (ein Mönch, der auch Priester ist) geweiht.

Am 6. April 2022 gaben Nestor und Erzbischof Francisco Javier Martínez Fernández, Vertreter der spanischen katholischen Bischofskonferenz, eine gemeinsame Erklärung ab. Darin verurteilten sie Russlands Vorgehen in der Ukraine auf das Schärfste

In den folgenden Jahren ging es steil bergauf auf der kirchlichen Hierarchieleiter. Weitere Stationen waren unter anderem Frankreich und Italien. 2018 wurde Nestor zum Erzbischof ernannt und 2022 in den Rang eines Metropoliten erhoben. Doch offensichtlich war der Kirchenmann mit seinem spirituellen Tun nicht ganz ausgelastet. Unter seinem bürgerlichen Namen nahm er wiederholt an internationalen Pokerturnieren teil, wo er wahlweise für Russland oder Frankreich antrat.

Russisches Roulette beim Pokern

Das zahlte sich aus. So soll er, wie einer Aufstellung der Live-Poker-Datenbank „The Hendon Mob“ zu entnehmen ist, Siegesprämien von umgerechnet mehr als 40.000 Euro eingefahren haben. Sein höchster Einzelgewinn lag bei knapp 7.000 Euro. Zwar hatte sich Nestor nie sonderlich darum bemüht, seine Leidenschaft geheim zu halten, und er hatte sich in die Karten blicken lassen.

Doch offensichtlich waren diese pikanten Nachrichten Patriarch Kirill erst vor einigen Wochen zu Ohren gekommen. Nestor hatte in Tschechien an einem Turnier teilgenommen und sich laut des russischen oppositionellen Mediums Novaya Gazeta Europe dort auch mit einem Metropoliten der RPZ getroffen, der auf einen Posten in Karlsbad strafversetzt worden war.

Viele halten die Pokersünden als Grund für die Abstrafung Nestors jedoch nur für vorgeschoben. Die Novaya Gazeta Europe zitiert die Kirchenjournalistin Ksenia Lutschenko mit den Worten, Nestor habe das Potenzial, sich Moskau zu widersetzen. Gemeint damit ist vor allem seine Haltung zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, für den Patriarch Kirill im Namen des Herrn und des russischen Präsidenten Wladimir Putin unterwegs ist. Am 6. April 2022 gaben Nestor und Erzbischof Francisco Javier Martínez Fernández, Vertreter der spanischen katholischen Bischofskonferenz, eine gemeinsame Erklärung ab. Darin verurteilten sie Russlands Vorgehen in der Ukraine auf das Schärfste.

Das dürfte Kirill kaum goutiert haben. Die Gemeindemitglieder der Dreifaltigkeitskathedrale in Paris, wo Nestor ebenfalls tätig war, sammeln übrigens bereits Unterschriften, um ihm ihre Solidarität zu zeigen. In informellen Gesprächen erklären sie zudem ihre Bereitschaft, Nestors Wechsel von der russisch-orthodoxen Kirche zum Patriarchat von Konstantinopel zu unterstützen. Barbara Oertel

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6 Kommentare

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  • In Deutschland wurde nach meinem Kenntnisstand kein einziger Priester der russisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats wegen ideologischer Abweichung durch Kiril seines Amtes enthoben. Alle Gemeinden folgen brav den Predigtanweisungen aus Moskau und beten jeden Sonntag für den russischen Sieg im heiligen Kampf. Keine einzige Gemeinde ist in ein anderes Patriarchat gewechselt (im Unterschied z.B. den Niederlanden, wo die Gemeinden Kiril reihenweise von der Fahne gegangen sind). Langfristig halte ich diese Kirche mit geschätzt einer dreiviertel Million Gläubigen in Deutschland für gefährlicher als die Salafisten.

  • Kiril wäre ganz sicher einer derer, die von Christus aus dem Tempel gejagt wurden. Seine unglaubliche Menschenverachtung, seine Heuchelei, seine Anwanzung an die politisch Mächtigen - das sind alles Eigenschaften, die dem christlichen Weltverständnis diametral entgegenstehen. Allerdings ist er beileibe nicht der einzige "Christ" der so handelt.

  • Hat er jetzt zu hoch gepokert, oder in (der) Wahrheit einfach schon mittelfristig die besseren Karten gegen Wladimirs Wunschpopen auf dem Chefsessel der Kirillischen Kirche?

  • "2018 wurde Nestor zum Erzbischof ernannt und 2022 in den Rang eines Metropoliten erhoben."



    Das ist, mit Verlaub, im Wesentlichen das gleiche ...



    Sollte es im ersten Satzteil vielleicht einfach "Bischof" heißen?

    • @Frauke Z:

      Mir ist es ähnlich ergangen, ich bin auch über diese Formulierungen gestolpert. Allerdings kann ich es nur für die lateinische Kirche (Rom) beurteilen. Ob es in der orthodoxen Kirche auch so ist, weiß ich nicht. Das wäre dann aber eine Aufgabe für die Recherche, die Begriffe zu klären und zu erklären, was was bedeutet.

      In der lateinischen Kirche vermischen sich da zwei Dinge: das Weiheamt in den drei Stufen Diakon, Priester und Bischof. Da wird also einer, normalerweise ein Priester, zum Bischof geweiht. Aber ob er dann Hilfsbischof (sog. Weihbischof) oder Leiter eines Bistums oder - heute nur eine Frage des Ehrenamts - Leiter einer Kirchenprovinz, also Metropolit wird, ist eine ganz andere Frage. Das ist das zweite, die Einsetzung oder Inthronisation - oder eben nicht - auf einen Bischofsstuhl.

      Allerdings ist diese Thematik bezogen auf den Artikel off-topic.

      • @Brombeertee:

        Nachtrag: ich denke, es wäre im Artikel das Beste, mit neutralen und allgemeinverständlichen Begriffen zu arbeiten, etwa: in der Hierarchie aufgestiegen und nun zuständig für ganz Westeuropa. So ähnlich steht es ja auch da. Der Rest ist nichtssagend oder irritierend.