Stoppbälle beim Tennis im Trend: Gegen die Kraftmeierei
Im kraftvollen Spitzentennis gewinnt der Stoppball an Bedeutung. Der auch in Wimbledon hoch gehandelte Carlos Alcaraz ist ein Meister dieses Schlags.
Aufschlag, Return, Grundlinienduell, man kennt diesen standardisierten Ablauf als regelmäßiger Betrachter von Tennismatches. Zwei hauen sich gegenseitig die Bälle um die Ohren, spielen links und rechts an die Linien und irgendwann schlägt einer einen Winner oder macht einen sogenannten unerzwungenen Fehler.
Manchmal, und in der letzten Zeit immer öfter im Spitzentennis, läuft es aber auch ganz anders. Die zwei Spieler oder Spielerinnen beackern sich gegenseitig in ihrer Ralley, der oder die eine holt bereits zur nächsten krachenden Vorhand oder einem giftigen Rückhand-Slice aus und dann passiert etwas völlig Unerwartetes. Die Ausholbewegung entpuppt sich als reine Täuschung, als schauspielerischer Akt. Was jetzt kommt, ist die radikale Beendigung des Gewohnten. Wie aus dem Nichts, unvorhersehbar oder schlicht und einfach zu perfekt ausgeführt, segelt nun ein krummer Ball nur kurz über das Netz und kommt direkt hinter ihm auf, am besten noch mit Rückwärtsdrall. Der Stoppball ist unerreichbar für den verblüfften Gegner.
So konnte man das häufig sehen bei den Auftritten von Spaniens erst 19-jährigem Wunderkind Carlos Alcaraz, der bereits auf Platz 7 der Weltrangliste steht. Alcaraz, der auch eine monströse Vorhand hat, wird derzeit als derjenige gefeiert, der den Stoppball zurück in das Spitzentennis gebracht hat. Und dem vom Tennisweisen John McEnroe bescheinigt wurde, er habe diesen Schlag auf ein bislang unbekanntes Level gehoben.
Alcaraz, der als Sandspezialist gilt, aber auch für das eben begonnene Rasenturnier in Wimbledon hoch gehandelt wird, ist nicht nur von der Anzahl der Stoppbälle, die er spielt, ein Erneuerer des Tennis. Ja, er wagt den Schlag ziemlich oft und die Quote, wie häufig er damit den direkten Punkt macht, ist überragend hoch. Aber auch wie er ihn taktisch einsetzt, ist innovativ.
Mehr als nur ein Notschlag
Bislang galt Roger Federer, wie eigentlich bei jedem Schlag im Tennis, als Maßstab beim Stoppball. Wenn er ihn spielt, deutet er mit der Rückhand einen Slice an, dann streckt er urplötzlich seinen Körper, reißt den Schlagarm mehr nach oben als nach vorne und sein verdutzer Gegner reagiert noch nicht mal, weil er gleich um die Vergeblichkeit weiß. Ein Federer-Schlag halt, elegant und formvollendet. Aber selbst Federer hat einmal gesagt, der Stoppball sei eigentlich nicht viel mehr als ein Schlag aus der Not heraus.
Bei Alcaraz ist das anders. Der Stoppball ist kein Bonus-Schlag, sondern selbstverständlicher Bestandteil seines Spiels. Am liebsten macht er es so: eine harte Vorhand treibt seinen Gegner weit hinter die Grundlinie und danach kommt der Stopp. Am liebsten auch mit der Vorhand. Vorbereitung, Vollendung. Nicht wie bei Federer nur ein kurzer magischer Moment, sondern dezidiert permanente Taktik.
Der Stoppball hatte viele Jahre keine große Bedeutung mehr im Tennis. Harte Grundschläge, Power und Geschwindigkeit galten als wichtigstes Mittel für ein modernes Spiel. Serena Williams oder Novak Djokovic kamen auch ohne Stopps nach oben. Dass nun der Stoppball zurückkehrt, ist weniger eine Gegenbewegung, sondern logische Konsequenz dieser Entwicklung. Die Gegner oder Gegnerinnen werden immer aggressiver über den Platz gescheucht und hinter die Grundlinie gedrängt. Damit wird der Weg ans Netz noch länger, was die Chancen für einen erfolgreichen Stopp erhöht.
Alcaraz ist der spektakulärste Stoppball-Experte einer neuen Tennisgeration. Aber er ist längst nicht der einzige. Der 18-jährige Holger Rune aus Dänemark, der bei den letzten French Open für Aufsehen sorgte, streut überdurchschnittlich viele Stopps ein. Und die Nummer 1 bei den Frauen, Iga Światek aus Polen, kann auch kurz, wie sie immer wieder zeigt.
Die neue Königin dieses Schlages aber ist Ons Jabeur aus Tunesien. Zu den jungen Wilden kann man sie nicht mehr zählen, sie wird bald 28 Jahre alt. Aber richtig erfolgreich wurde sie erst jetzt. Trainer hätten ihr immer auszureden versucht, ihre geliebten Stopps zu spielen, hat sie jüngst berichtet. Irgendwann habe sie dann damit begonnen, stärker sich selbst zu vertrauen und den Stopp wieder in ihr Spiel zu integrieren. Inzwischen ist sie auf Platz 3 der Weltrangliste. So hoch wie noch nie zuvor in ihrer Karriere.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW