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Stolpersteine im RegierungsviertelZwangsgeräumt und ermordet

Für Albert Speers Pläne mussten Menschen 1941 aus der Mitte Berlins weichen. Jetzt erinnern Denkmäler an die später ermordeten Juden.

Vor dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus wird an die ehemaligen jüdischen Bewohner eines Wohnhauses an dieser Stelle erinnert. Foto: dpa

Berlin taz | Im Regierungsviertel wird seit Dienstag an ehemalige jüdische Bewohner mit Stolpersteinen erinnert. Im Februar 1941 waren sie aus ihren Wohnungen am Schiffbauerdamm 29 gegenüber vom Reichstag geräumt worden. Das Mehrfamilienhaus sollte Platz machen für die Pläne des NS-Architekten Albert Speer für den Bau der „Reichshauptstadt Germania“.

Zu den Opfern der Verfolgungspolitik gehörten etwa Willy und Rosalie Hirsch sowie ihre Tochter Ruth. Nach ihrer Zwangsräumung wurden sie in einem Zimmer bei einer anderen jüdischen Familie in der friedrichstraße einquartiert. Losgelöst von ihrem sozialen Umfeld folgte alsbald ihre Deportation und im Juni 1942 die Ermordung im Vernichtungslager Sobibor.

Anders als die Hirschs und eine weitere jüdische Familie des Hauses hatten die übrigen Bewohner Anrecht auf Ersatzwohnungen allerdings nur solche, die bis dato ebenfalls von Juden bewohnt wurden. Allein durch diese Verkettung verloren insgesamt etwa 100 Juden ihr Zuhause. Auch sie mussten mit anderen zusammenrücken. Im Jahr 1942 teilten sich in Berlin im Durchschnitt etwa 15 Juden eine Wohnung.

Die zehn betroffenen Juden des Hauses am Schiffbauerdamm haben nun ihre eigenen zwölf mal zwölf Zentimeter großen Denkmäler. Zu verdanken ist dies der Historikerin und Autorin Susanne Willems, die deren Schicksal recherchiert und Unterstützer in allen Bundestagsfraktionen gewinnen konnte. Eine Patenschaft für das Denkmal haben u.a. Thomas Oppermann (SPD), Volker Beck (Grüne) und Petra Pau (Linke) übernommen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) würdigte diese Form des Gedenkens in einer kurzen Ansprache mit dem Thomas Mann-Zitat „Der Name ist ein Stück des Seins und der Seele“. Er dankte dem Kölner Künstler und Initiator des Projektes Gunter Deming, der die Steine zuvor persönlich eingesetzt hatte.

Europaweit erinnern bereits mehr als 53.000 Stolpersteine an den ehemaligen Wohnorten an die Verfolgten des Nationalsozialismus, über 6.300 davon in Berlin. Deming betonte, dass sich bei ihm dennoch noch längst keine Routine eingestellt habe und jede Verlegung besondern sei. Der Nezugang am Dienstag erfolgte exakt 131 Jahre nach der Grundsteinlegung für das gegenüberliegende Reichstagsgebäude durch Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1884.

Die Pläne Speers für ein neues Berlin wurden an dieser Stelle nie umgesetzt. Nach der Teilung Deutschlands wurde das Grundstück zur Grenzanlage. Das im Jahr 2001 an diesem Ort fertiggestellte Marie-Elisabeth-Lüders-Haus bildet mit dem gegenüberliegenden Paul-Löbe-Haus eine Ost-West-Achse – ein Gegenpool zu Speers Vision einer durch eine Nord-Süd-Achse geprägten „Welthauptstadt“.

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2 Kommentare

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  • Sensibel wie Männer, die Kontaktanzeigen aufgeben, unsere Bundesregierungen! (Die taz berichtet parallel in der bzw. die Wahrheit.)

     

    Nun ja, so sind sie halt. Sie können nichts dafür, die Mächtigen. Und beinah wären sie damit auch durchgekommen. Wäre da nicht die Historikerin und Autorin Susanne Willems (Susanne wer?) gewesen. Die hat, investigativ wie Journalisten manchmal sind, herausgefunden und sichtbar gemacht, was tatsächlich steckt hinter der Fassade des Kanzleramtes. Eine Elite, nämlich, die keine Skrupel hat, das Erbe eines Albert Speer und seiner Gönner anzutreten, sofern dessen Opfer nur schon tot genug sind und also mit 12 x 12 cm² Erinnerung abgespeist werden können. Vor allem deshalb, weil auch der "Souverän", der aus dem Kanzleramt heraus regiert wird, mehrheitlich sehr einverstanden ist mit jeder Art von Symbolpolitik. Vor allem dann, wenn sie nicht viel kostet.

     

    Apropos Kosten: Immerhin passt ja die Architektur des Axel Schulte zur Geschichte des Ortes. (Hübscher Zufall, übrigens, diese Initialen-Gleichheit.) Brachialgewaltig wie die Kohl-Schröder-Ära selbst, sein "Band des Bundes". Nur der Name Marie-Elisabeth-Lüders stört die Haronie ein ganz klein wenig. Aber das ging wohl nicht anders. Ein Hitler-Pensionär Paul Löbe allein macht halt noch keine heile deutsche Kleinstfamilie.

  • Deutschlands Nazi-Gedenkkultur ist Weltspitze in ihrer unendlichen Arroganz:

    Zur Erinnerung an die vergasten Juden werden christliche(!) Kreuze aufgestellt.

     

    Ich vermute mal die vergasten Juden waren im Grunde ihres Herzens allesamt verhinderte Teilnehmer eines Kirchentags. Oder sie hätten sich nachträglich (sozusagen post Holocaust) taufen lassen wenn sie gewußt hätten wie großartig und erkenntnisreich eine evangelische Akademiesitzung abläuft. Zum Schluß gibts Schnittchen für alle. (Wer Ironie findet darf sie behalten. Zynismus auch).