: Stolpe als Ost-Maskottchen
Für Gerhard Schröder ist der Rücktritt des brandenburgischen Ministerpräsidenten ein gelungener Coup im Bundestagswahlkampf – weil er hilft, aber zu nichts verpflichtet
BERLIN taz ■ Politik ist zuweilen schon ein tragisches Geschäft. Da tritt ein großer Ministerpräsident zurück, einer, der sein Bundesland wie kaum ein Zweiter geprägt hat – und in der eigenen Partei sind sie alle glücklich damit. Natürlich sagt das keiner so offen. Man kann es aber an dem Lächeln der Parteifreunde erkennen, das sie in dem Moment auflegen, wenn sie so große Worte wie „Respekt“ und „Anerkennung“ in den Mund nehmen. Dabei sind gerade diese beiden Worte in der Politik oft nur Synonyme für „Erleichterung“ – Erleichterung darüber, dass ein Politiker, der von gestern scheint, seinen eigenen Abgang ohne Ärger über die Bühne kriegt.
Respekt und Anerkennung für seinen Rücktritt – das hat sich Manfred Stolpe natürlich auch gestern von seinen Genossen im SPD-Präsidium anhören müssen. Aber der 66-Jährige ist zu lange im Geschäft, um nicht zu wissen, was das Lächeln in den Gesichtern seiner Parteifreunde zu bedeuten hat. Nun war der Parteivorsitzende am Montag bereits auf dem Weg zum G-8-Gipfel, aber Gerhard Schröder wird sich im Flugzeug nach Kanada noch einmal kräftig ins Fäustchen gelacht haben. Der Rücktritt von Stolpe bringt ihm nur Vorteile – und kostet nichts.
Mit Stolpes Nachfolger Matthias Platzeck rückt einer der begabtesten SPD-Politiker in Ostdeutschland in die ersten Reihe. Das könnte mit Blick auf die Zukunft der Partei nach Gerhard Schröder einmal von großer Bedeutung sein. Dieses Aufbruchssignal dürfte der SPD im Wahlkampf kaum schaden. Mit Stolpe selbst gewinnt Schröder einen prominenten Wahlkämpfer für den Osten. Der Kanzler kann den Ministerpräsidenten a.D. außerdem ganz nebenbei als Antwort auf Lothar Späth verkaufen, den Spitzenmann aus Stoibers Kompetenzteam, der gerade in Ostdeutschland hohes Ansehen genießt. Und Stolpes Abgang reicht sogar noch für einen Seitenhieb Richtung CDU. „Wir machen das anders als Kurt Biedenkopf in Sachsen“, sagte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering gestern, ganz so, als seien die Sozialdemokraten die Dauergewinner der Verdienstmedaille für den ethisch einwandfreien Rücktritt.
Bei so viel Genossen-Freude spielt es kaum eine Rolle, dass Stolpe mitnichten eine ernsthafte Antwort auf Lothar Späth ist. Stolpes Rolle in Schröders Ostwahlkampf wird eher die eines populären Maskottchens sein: Er bekommt in der Kampa einen eigenen Schreibtisch, und er wird Schröder bei dessen Auftritt in Ostdeutschland begleiten. „Stolpe wird als Zeuge für Schröder auftreten“, sagt Müntefering. Keiner in der SPD glaubt ernsthaft daran, dass der Kanzler nach erfolgreicher Wahl Stolpe in sein Kabinett holen wird. Ein Ministerpräsident, der aus Altersgründen zurückgetreten ist, in einer Bundesregierung, die mehr Schwung bringen soll – das wäre ein Zeichen von eigenartiger Symbolkraft. Also darf Stolpe, den mit Schröder nie ein inniges Verhältnis verband, Wahlkampf machen. Wenn alles gut geht, bietet ihm die Partei vielleicht den Vorsitz der Friedrich-Ebert-Stiftung an. Auch eine Form des Dankes. JENS KÖNIG
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