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Stockhausens großes HarmonieorchesterSamstag ist Luzifer-Tag

Das „Now!“-Festival in Essen präsentiert die deutsche Uraufführung von Karlheinz Stockhausens Megazyklus „Licht“. Das Experiment ist gelungen.

„Luzifers Tanz“: Studierende der Musikhochschulen Essen, Köln, Münster, Detmold und Düsseldorf Foto: Sven Lorenz

Es geht um nicht weniger als das ambitionierteste Werk der Musikgeschichte. Gegen Karlheinz Stockhausens „Licht“ ist selbst Wagners Ring-Tetralogie ein Klacks. Fast 30 Jahre lang hat Stockhausen an seinem Opernzyklus gearbeitet. Er ist auf 30 Stunden angelegt und gliedert sich in sieben Teile, die nach den einzelnen Wochentagen benannt sind.

Im Mittelpunkt des hochspirituellen Multimediaspektakels stehen der Erzengel Michael, Eva und Luzifer. Mit diesen drei Prot­ago­nis­t*in­nen entwirft Stockhausen ein Glaubenspanorama, mit dem der Mensch durch die Musik den Weg zur göttlichen Erleuchtung finden soll.

Den drei Figuren sind nicht nur Sän­ger:in­nen, Instrumente und Tän­ze­r:in­nen zugeordnet, sondern auch jeweils die Hauptrolle in einer der sieben Opern. Der „Samstag“ ist Luzifer-Tag. Beim Auftaktkonzert des Festivals „Now!“ in Essen wurden nun zwei wichtige Teile dieser Oper in der Originalfassung aufgeführt – als deutsche Erstaufführung.

Für ein Harmonieorchester komponiert

Denn nach der Uraufführung 1984 in Mailand wurde das Teilstück „Luzifers Tanz“ hier nur in der von Stockhausen autorisierten Fassung mit Sinfonieorchester gespielt. Das Original ist aber für ein sogenanntes Harmonieorchester komponiert, bestehend aus rund 80 Blä­se­r:in­nen und Schlagzeuger:innen. In Essen haben dieses besondere Orchester Studierende aus allen Musikhochschulen in NRW gebildet. Für „Luzifers Tanz“ türmen sie sich in fünf Etagen in der rot erleuchteten Essener Philharmonie.

Laut Stockhausen soll das wie ein Menschengesicht aussehen – die einzelnen Gruppen symbolisieren Gesichtsteile, die sich bewegen. Zunächst sind es die Flöten ganz oben rechts – während sie spielen, schwenken sie mal nach links, mal nach rechts, den Tanz der linken Augenbraue versinnbildlichend. Denn Luzifer lässt vom Nasenflügel über die Backen bis hin zur Zungenspitze alle Gesichtsteile tanzen.

Die Musik speist sich aus einer „Superformel“. Aus ihr leitet Stockhausen sowohl die Mikro- als auch die Makrostruktur des ganzen Stückes, also einzelne Töne, Lautstärken und Rhythmen, als auch die Choreografien ab. Zwischen jeden der zehn Tänze sind kurze Tutti-Passagen eingeschoben, in denen sich die zuvor gespielten Instrumental- und Rhythmuskonstellationen überlagern.

Lebt, atmet und pulsiert

Beim „Oberlippentanz“ erscheint die Figur des Engels Michael, der mit einem Piccolotrompetensolo gegen Luzifers Gesichtsakrobatik protestiert. Nach ihm taucht eine Katze auf, verkörpert durch die ­Piccoloflöte, die sich über Luzifer lustig macht. Kecke Einwürfe und schnurrende Tongirlanden umschleichen die lang ausgehaltenen Grimassenakkorde.

Das Harmonieorchester wirkt wie ein Organismus. Es lebt, atmet und pulsiert. Trotzdem wirkt das Stück durch die vielen repetitiven Elemente streckenweise zäh und langwierig. Aber Stockhausen wollte auch keinen Schlager komponieren.

Der andere Teil aus „Licht“ an diesem Abend war „Luzifers Traum“, die erste Szene aus „Samstag“. Im Zentrum steht das „Klavierstück XIII“, das sich wieder aus der „Superformel“ speist. Mit endgültiger Gebärde lässt Alphonse Cemin seine Finger auf die Tasten fallen. Er spielt nicht nur Tongirlanden, Cluster und Melodiefragmente, sondern flüstert auch – sehr eindrucksvoll – Zahlen.

Ab und zu begleitet ihn dabei Damien Pass. Dämonisch, fratzenhaft, irre, entrückt wirkt dieser Traum. Ab und zu gesellt sich zu den klirrenden Klavierfetzen ein dünnes Pfeifen und verströmt Schauderstimmung. Die Musik ist labyrinthisch, ein verschlungenes Dickicht von Klangflächen. Nach vielen taumelnden Tönen endet der Traum dann mit Ausrufezeichen: Es knallt mehrmals, im Hintergrund werden Gewitterblitze projiziert und aus Konfettikanonen regnet es rote Schnipsel.

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