Stockende Impfkampagne: Deutschland ist ein Teenager
Deutschland wirkt oft wie Halbwüchsiger, der mit dem Fuß aufstampft. Weil es lieber chillt, keinen Spinat will oder kein AstraZeneca.
I n den Medien häufen sich Berichte über zu riskant oder anderweitig dilettantisch ausgeführte Überfälle auf Banken und Geldtransporter. Natürlich denkt man als Erstes, das müssen Künstler sein oder verzweifelte Kleinunternehmer, die noch immer auf die versprochenen Dezemberhilfen warten. Laut Radio handelt es sich um ganz normale Spitzbuben.
Die Spitzbuben sind in Not, denn wegen der Pandemie liegen viele ihrer klassischen Erwerbsfelder brach. Da die Clubs geschlossen sind und die Touristen ausbleiben, läuft das Drogengeschäft nur noch auf zwei Zylindern. Das ruckelt ordentlich. Auch die heimischen Koksrüssel sitzen zu Hause auf dem Sofa: Tatort statt Berlinale – da ist der Jieper auf Kartoffelchips naturgemäß größer als der auf Nasivin forte.
Die guten alten Gewerke Schutzgelderpressung und Zuhälterei fallen gleich völlig flach, denn Gastronomie und Prostitution befinden sich im Lockdown. Wie soll man Leute an ihrer Arbeitsstelle ausbeuten, einschüchtern und erniedrigen, wenn sie dort nicht anzutreffen sind? Es ist ein Teufelskreis.
Man leidet richtiggehend mit. Die Vorstellung, wie Papa Spitzbube und Mama Spitzmädchen in ihrer Räuberhöhle hohlwangig zusehen, wie ihre Spitzkinder am letzten Brotkanten mümmeln, schmerzt fast körperlich. Da die Huren und Barbesitzer nun eine Superausrede haben, nicht den fälligen Zins für gar nichts abzudrücken, bleiben im Grunde nur noch Überfälle. Lauterbach, Drosten und Co zwingen unsere kleinen Bösewichter ja geradezu in die schlecht organisierte Kriminalität.
Ständig fallen Teile von den Flugzeugen ab
Und es gibt noch mehr schlechte Nachrichten. Jetzt, da kaum noch geflogen wird, macht sich das lange Herumstehen der Flugzeuge nachteilig bemerkbar. Denn bei den wenigen Flügen fallen nun offenbar ständig Teile ab. Meine freiwillige Infektionsgruppe hat deshalb beschlossen, erst mal längere Zeit aus der sicheren Deckung zu beobachten, wie andere mit den Rostbeulen fliegen, bevor wir uns selbst in eine setzen.
Des Weiteren ist zu hören, dass die deutschen Wirtschaftsverbände weiterhin eindeutige Wiedereröffnungsperspektiven verlangen. Oho. Zwar droht die Pandemie nicht zuletzt dank des unermüdlichen Einsatzes der Wirtschaft gerade zur dritten Welle durchzustarten, aber sie „verlangen“ was. Die Pandemie soll einfach nicht da sein, die ist blöd. Wirtschaftsverbände sind wie kleine Kinder.
Aber nicht nur die Wirtschaftsverbände – ganz Deutschland wirkt oft wie ein kleines Kind, das mit dem Fuß aufstampft, weil es keinen Spinat will oder kein AstraZeneca. Nur, dass Deutschland nicht fünf ist, sondern hundertfünfzig. Oder fünfzehn? Denn manchmal ist Deutschland auch mehr so ein Teenager, der noch nicht richtig weiß, wohin er will. Ein Unfertiger, ein Suchender.
Vielleicht sollte es weniger kiffen, mal ein bisschen Struktur in sein Leben bringen: einen richtigen Lockdown zum Beispiel, knackig, kurz und effektiv. Aber was die Erwachsenen vorschlagen, wird ja grundsätzlich abgelehnt, zum Beispiel so: „Wollen wir nicht mal die Impfungen vernünftig organisieren? Impfen ist total gesund!“ Und Deutschland dann so: „Oh nö, Alter, gesund ist doch voll scheiße, uuääh…“ Es muss immer provozieren.
Dabei aber von nichts eine Ahnung. Wenn beispielsweise Taiwan Deutschland anbietet, vor der Stunde noch schnell von ihm abzuschreiben, weil es seine Hausaufgaben mal wieder nicht auf die Reihe gekriegt hat, lehnt Deutschland dankend ab: „Ich weiß nicht, du bist ja eine Insel.“ Deutschland ist schlicht zu verpeilt und chillt lieber. Das hat ja auch seinen Charme, ist bloß doof, dass da dann irgendwie voll die Leute sterben und so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin