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Stilmittel des islamistischen TerrorsPopkultur gegen Popkultur

Islamisten bekämpfen, wofür Popkultur steht: Individualität und Freiheit. Dabei kommt auch der IS nicht ohne popkulturelle Ästhetik aus.

Der erste Anschlag, dem anscheinend gezielt Teenies zum Opfer fielen Foto: dpa

Am Montagabend sprengte sich ein Selbstmordattentäter im Eingangsbereich der Manchester-Arena in die Luft – nach dem Konzert des amerikanischen Teenie-Starts Ariana Grande. Unter den 22 Menschen, die getötet, und den 59, die verletzt wurden, sind viele Kinder und Jugendliche. Der IS hat sich zu dem Anschlag bekannt.

Es ist der erste Anschlag, dem anscheinend gezielt Teenies zum Opfer fielen. Und es ist bereits der zweite Anschlag bei einem Konzert. Er offenbart nicht nur die Grausamkeit der islamistischen Attentäter, sondern zeugt von ihrem Kampf gegen die westlichen Freiheiten, deren Sinnbild Pop ist. Gerade zum Pop hat der Islamismus ein ambivalentes Verhältnis.

Aber einen Schritt zurück: Was ist eigentlich Pop? Der Begriff umfasst vieles – Musik, Kunst, Literatur. Assoziationen schießen bei dem Begriff in den Kopf, irgendwas Schrilles, Buntes, Lautes, Auffallendes. In dem nebulösen Wort schwingt vieles mit, von Andy Warhols knalligen Marilyn-Kunstdrucken über die perfektionierten Choreographien des „King Of Pop“ Michael Jackson – bis hin zu Tennie-Stars wie Ariana Grande und Miley Cyrus, bekannt aus TV-Serien für Kids.

Dekadenz und Konsum

Populär sind all diese Pop-Sachen meistens, daher kommt das Wort auch. Und oft dient es der Unterhaltung, wenn Pop auch bisweilen politisch sein kann.

Popkultur steht für Individualität, Emanzipation, sexuelle Freiheit, das Austesten von Grenzen und Tabus, Oberflächlichkeit, Dekadenz und Konsum. Sie ist also Inbegriff dessen, gegen was Islamisten kämpfen. Ihr Ziel ist eine radikale islamische Ordnung (wieder-)herzustellen. Alles soll so sein, wie es im Koran steht. Und da steht vermutlich nichts von Teenies, die sich wie Miley Cyrus auf einer Abrissbirne räkeln oder Männern, die wie Justin Timberlake ihrer Tanzpartnerin (Janet Jackson) bei einem Auftritt versehentlich die Brust entblößen.

Die Anschläge in Manchester sind einer islamistischen Logik folgend nachvollziehbar, zeugen von ideologischem Kalkül. Aber: So feindlich der Islamismus Pop gegenüber zu stehen scheint, bedient er sich doch gleichzeitig auch ganz bewusst seiner Ästhetik.

Die Propagandavideos des IS, die mit ein paar Klicks leicht im Internet zu finden sind, muten an wie eine Mischung aus Netflix-Serie und Blockbuster. Die Bilder sind von guter Qualität, in schnellen Schnitten aneinander montiert, mit Stilmitteln wie hohen Kontrasten, Verlagerungen der Tiefenschärfe und Slow-Motion.

In manchen Filmen tauchen Hologramme auf, zum Beispiel von einer Schutzweste – als würde man in einem Computerspiel seinen Avatar ausrüsten. Spricht jemand, erscheint eine Bauchbinde wie in einem TV-Beitrag. Und selbst Bekenner-Videos, in denen sich ein IS-Anhänger vor eine Webcam setzt, erinnern an ein populäres Phänomen: Youtube-Videos der sogenannten Influencer.

Influencer und Youtube-Helden

Und im Prinzip sind die IS-Kämpfer genau das: Influencer, die durch Marketing über die Social-Media-Kanäle ihr Produkt verkaufen wollen – den heiligen Krieg. Fotos von ihnen wirken wie Album-Cover eines Gangster-Rappers oder einer Hip Hop-Combo, fotografiert aus der Froschperspektive, mit Muskeln und entschlossenem Blick. Sie inszenieren sich wie Popstars.

Der IS bedient sich also ästhetischer Mittel, die Ausdruck einer Welt und Wertegemeinschaft sind, welche er verabscheut und bekämpft. Und das ist geschickt. Immerhin will er genau diejenigen, die mit dieser Ästhetik aufgewachsen sind, die Jungen, Starken, Formbaren, für seinen Krieg gewinnen.

Diese perfide Kombination des Nutzens und Angreifens westlicher Momente und Lebensformen macht den islamistischen Terror und gerade den Anschlag in Manchester noch zynischer – vor allem, wenn man bedenkt, dass der IS ohne seine popkulturellen, westlichen Referenzen vielleicht deutlich weniger Anhänger für sich gewinnen würde.

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