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Stiftungsinterner Streit um VorlesetagDie AfD, eine gruselige Vorstellung

Beim bundesweiten Vorlesetag sollen auch AfD-Politiker mitmachen. Nun gibt es bei der „Stiftung Lesen“ Protest – und Rücktrittsdrohungen.

Wenn die AfD kommt: Warum nicht mal wegdösen? Foto: dpa

Das „größte Vorlesefest zwischen Nordseeküste und den Alpen“ soll es werden. Diesmal auch mit Beteiligung von AfD-VorleserInnen. Dagegen formiert sich nun im Kuratorium der Stiftung Lesen, die das Fest organisiert, vehementer Protest.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu droht mit seinem Rückzug aus dem Kuratorium, sollte der Vorstand die Einladung von AfD-Abgeordneten zum Vorlesetag am 17. November nicht zurücknehmen. „Die AfD hetzt offen gegen Geflüchtete, Migranten und den Islam. Sie missachtet auch die Religionsfreiheit, die in unserem Grundgesetz verankert ist“, sagte Mutlu der taz. Sollte der Vorstand die Einladungen nicht wieder zurücknehmen, sehe er für eine Mitarbeit keine Grundlage mehr.

Die taz hatte als Erstes über die Einladungen an die AfD-PolitikerInnen berichtet. In persönlich adressierten Schreiben wurden zum Vorlesen in Kitas oder Schulen selbst Parteivertreter eingeladen, die in den eigenen Reihen umstritten sind. „Helfen Sie uns, damit auch der Vorlesetag 2017 ein Erfolg wird“, so die Einladungen. 2016 nahmen an dem Aktionstag 135.000 VorleserInnen teil, auch mehr als 1.000 PolitikerInnen.

Auch andere Kuratoriumsmitglieder gehen auf Distanz zum Vorstand. Die Vizepräsidentin des Bundestags, Edelgard Bulmahn, und der Abgeordnete Oliver Kaczmarek, beide SPD, erklärten: „Wir teilen die Ansicht, dass die AfD bis heute ein ungeklärtes Verhältnis zu antisemitischen, rassistischen und menschenfeindlichen Positionen hat. Dies disqualifiziert sie für eine Teilnahme am bundesweiten Vorlesetag.“

Kitas und Schulen entscheiden

Die linke Bundestagsabgeordnete Petra Sitte, ebenfalls Kuratoriumsmitglied, sagte der taz: „Ich finde die Vorstellung gruselig, dass die Herren Poggenburg und Gedeon vor Kindern auftreten. Das Vorgehen der Stiftung widerspricht ihren eigenen Grundsätzen.“ André Poggenburg, AfD-Chef in Sachsen-Anhalt, forderte, „Wucherungen am deutschen Volkskörper endgültig loszuwerden“. Der Stuttgarter AfD-Abgeordnete Wolfgang Gedeon erklärte, das Judentum sei der „innere“ und der Islam der „äußere Feind des christlichen Abendlandes“. Beide wurden zum Vorlesetag eingeladen.

In den Leitlinien der Stiftung Lesen heißt es, man schließe die Zusammenarbeit mit Parteien und Gruppen aus, „die antidemokratisches, rassistisches, fremdenfeindliches oder diskriminierendes Gedankengut vertreten“. Die Schreiben an die AfD-PolitikerInnen verteidigt die Stiftung dennoch: Nicht sie selbst, sondern die Kitas und Schulen würden entscheiden, wen sie zum Vorlesetag einladen. Nur NPD-Abgeordnete würden nicht angeschrieben, „da deren Parteiprogramm klar unseren Leitlinien widerspricht und die Sicherheitsbehörden an der Verfassungstreue der Partei zweifeln“, so ein Stiftungssprecher. Solche Bedenken bestehen gegenüber den AfD-PolitikerInnen offenbar nicht.

Der Schriftstellerverband PEN hat sie schon. Die AfD richte sich „gegen den Kernbestand demokratischer und toleranter Grundordnungen und gefährde Pluralität und Meinungsfreiheit“, erklärte er. Auch die Arbeitsgemeinschaft der Jugendbuchverlage forderte, die Einladungen an die AfD zurückzunehmen und künftig kritischere Maßstäbe anzulegen.

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8 Kommentare

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  • An einem Vorlesetag für alle Kinder - udn das schließt eben auch Flcühtlingskinder ein - hat die AfD wahrlich nichts zu suchen. So blind kann sich die Stiftung Lesen doch nicht geben. Und sie wird es auch büßen: Wahrscheinlich werden viele Eltern ihre Kidner nicht mehr zu dieser nach rechts offenen Stiftung schicken.

     

    Die Stiftung Lesen unter ihrer derzeitigen Leitung stelle ich grundsätzlich in Frage. Das Toleranzgequäke von denjenigen, die gegenüber anderen null Toleranz zeigen, muss mensch auch mal offensiv ablehnen können.

  • Die AfD-Kämpfer sind schon wirklich Opfer. Niemand versteht, dass sie eine neue Blut- und Bodenkultur in der BRD errichten wollen. Vielleicht würden ja der Herr Poggenburg oder Herr Gedeon gern aus der Braunschweiger Schulfibel "Ich will dir was erzählen" aus dem Jahr 1943 etwas über die HJ und den BDM vorlesen. Daran wollen Extremisten sie nun hindern.

     

    Aber, ich erinnere mich durchaus an die Forderung im Schulgesetz, dass politische Aktivitäten an Bildungseinrichtungen nichts verloren haben, wenn sie nicht gezielt zum Unterricht in Geschichte und Politik dienen.

     

    Davon kann ja wohl bei dem Vorlesetag keine Rede sein. Anstatt eine Politikershow zu veranstalten, wäre es viel sinnvoller ausgezeichnete Sprecher zum Vorlesen einzuladen. Das bisherige Vorgehen soll wohl nur die Eltern ködern, damit sie mit ihren Blagen auch für Publikum sorgen.

     

    Die wirklich wichtige Intention das Textverständnis zu fördern wäre ja äußerst gefährlich. Nicht auszudenken, es entstünde eine junge Generation, die die hohle Politpropaganda, die AfD-Hetze sofort erkennen und durchauen könnte.

  • Jetzt muss unbedingt ein Gesinnungstest her - bis hin zu Berufsverboten für AfD-Mitglieder und Wähler! Das hatten wir schon mal...

  • Ich als AfD-Wähler finde Aussagen, wie die im Artikel von Gedeon erwähnten gruselig und lehne sie ab und werde trotzdem AfD wählen, weil die Art und Weise der Gender- und PC-Apologeten noch gruseliger ist und in meinen Augen ein Gegengewicht nötiger denn je ist. Ich muss auch nicht überzeugt, belehrt oder richtig beredet werden. Könnte ich auf Bundesebene die CSU wählen, würde ich es tun.

  • „Nicht sie selbst, sondern die Kitas und Schulen würden entscheiden, wen sie zum Vorlesetag einladen...“

     

    Für Eltern ist der Rechtsweg offen, und zwar – bis zum Bundesverfassungsgericht. Strafzahlungen und Entlassungen bei betreffenden Schulen und Kitas wären durchaus denkbar.

     

    Wissen die Verantwortlichen bei den betroffenen Kitas und Schulen, dass mehrere Politiker der AfD den Waffeneinsatz gegen Flüchtlingskinder und deren Eltern öffentlich vorgeschlagen haben?

  • Also ich sehe hier das Problem nicht.

    Diese Person halten dort ja keine politische Rede, sie sollen nicht mal mit anderen Personen diskutieren, sie sollen lediglich etwas vorlesen. Wurden etwa die 134.000 Personen vom vergangenen Jahr auf ihre politische Gesinnung geprüft und für richtig befunden? Den inwiefern soll das Kinder negativ beeinflussen? Ob da jetzt ein AFD-Politiker steht oder jemand anderes ist diesen doch egal.

  • Immer wieder auf die Religionsfreiheit hingewiesen. War das im Ursprung nicht nur so das es bedeutete , dass eine Person nur juristisch nicht verfolgt wurde. Mehr nicht.Weis jemand genaues?

    • @Voilodion:

      Der Staat hat die religiöse Freiheit nicht nur zu achten, sondern auch aktiv bei allen Religionen und Weltanschauungen zu schützen. Den staatlichen Organenn hat es egal zu sein, ob sie einen Christen, einen Juden, einen Moslem oder einen Atheisten schützen.

       

      Wiederholte Angriffe auf die Religionsfreiheit machen die AfD noch nicht verfassungsfeindlich. Der Maßstab wurde recht hoch gesetzt. Eingeladen werden muss die AfD nach solchen Äußerungen gegen die Religionsfreiheit aber keinesfalls. Im Gegentei ist es vorbildlich, genau so Einladungen nicht auszusprechen.