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Stifterin mit Nazi-VergangenheitOldenburg zieht Schlussstrich unter den Fall Edith Ruß

Oldenburg will sein nach der NS-Propagandistin Edith Ruß benanntes Museum für Medienkunst umbenennen – wegen des „Image-Schadens“ durch die Debatte.

Bekommen bald einen neuen Schriftzug – aber absehbar nicht viel mehr: die Gebäude des Oldenburger Museums für Medienkunst Foto: Aljoscha Hoepfner

Oldenburg taz | Das Oldenburger Edith-Russ-Haus für Medienkunst wird umbenannt. Das wird der Rat der Stadt an diesem Montag auf Vorlage des Oberbürgermeisters Jürgen Krogmann (SPD) mit den Stimmen von SPD und Grünen beschließen. Der Grund dafür ist aber nicht, dass die Stifterin und Namensgeberin Edith Ruß NSDAP-Mitglied war und als Journalistin im Zweiten Weltkrieg Kriegspropaganda verbreitet hatte. Es geht der Stadt vielmehr um den „Imageschaden“, der durch die öffentliche Debatte entstanden sei. Die taz hatte im vergangenen Jahr auf die NS-Vergangenheit von Ruß aufmerksam gemacht.

„Wir müssen Schaden von der Stadt abwenden“, begründete Krogmann die Entscheidung im Kulturausschuss. Der Betrieb des Hauses sei wegen der negativen Wahrnehmung gefährdet und der Schritt deshalb „alternativlos“.

Die Versäumnisse der Stadt um die Aufklärung von Ruß’ NSDAP-Mitgliedschaft sind laut Krogmann „vergossene Milch“. Dass der Beleg für ihre Mitgliedschaft in Form ihres Schriftleiterausweises schon seit Jahren im Besitz der Stadt ist, hat die Verwaltung bis heute nicht öffentlich eingeräumt. Ruß sei ohnehin nur „Mitläuferin“ gewesen, nimmt Krogmann sie, wie der gesamte Ausschuss, in Schutz und beruft sich auf ein Gutachten, das die Stadt in Auftrag gegeben hatte.

Die Oldenburger Historikerin Mareike Witkowski, die zusammen mit Joachim Tautz das Gutachten verfasst hat, erklärt, es gebe „keine Belege“, dass Ruß überzeugte Nationalsozialistin war und sie habe sich nie rassistisch oder antisemitisch geäußert. Wirklich?

Gutachten auf schmaler Datenbasis

Schon die faktische Grundlage des Gutachtens – die Liste mit Ruß’ Artikeln in der Oldenburgischen Staatszeitung – ist falsch. Es fehlen fast die Hälfte der Artikel, die Ruß zuzuordnen sind, darunter knapp 30, die eindeutig mit ihrem Namen gekennzeichnet sind. Viele sind mit einer einfachen Suche nach „Ruß“ in der digitalen Sammlung der Landesbibliothek auffindbar und stehen zum Teil direkt neben Artikeln, die in dem Gutachten erwähnt werden. Dutzende Artikel, die mit „er“ gekennzeichnet sind, verbreiten bis Kriegsende hetzerische Propaganda zu vermeintlichen „jüdischen Haß- und Vernichtungsplänen“. Die Gut­ach­te­r:in­nen ignorieren diese Artikel pauschal, obwohl es sich laut ihrer eigenen Einschätzung um Ruß’ Kürzel handelt.

Die Stadt hält auf Nachfrage dennoch an der Behauptung fest, dass Ruß’ Artikel „vollständig erfasst, gesichtet und bewertet“ wurden und auch Witkowski sagt, sie habe „nach bestem Wissen und Gewissen“ gearbeitet.

Dass Ruß in der „Schriftleiterprüfung“, einem Gesinnungstest, der unter anderem das Wissen um die genauen Worte „des Führers“ abfragte, ihre Überzeugung vom Nationalsozialismus beweisen musste, um als „Schriftleiterin“ zugelassen zu werden, findet im Gutachten keine Erwähnung. Sie besteht mit „bestem Erfolg“ und ihr wird als einer der wenigen staatlich zertifizierten Nationalsozialistinnen die Indoktrination der „Volksgenossen“ anvertraut.

Zum Einmarsch der Wehrmacht in Paris schrieb Ruß: „Das deutsche Schwert schlug zu und traf mitten in Frankreichs Herz. […] Ueber Frankreichs Hauptstadt weht das Hakenkreuzbanner und die Reichskriegsflagge, Symbole von Deutschlands Macht und Größe.“ Deutsche Soldaten hätten „das Buch der Geschichte um ein neues unvergängliches Ruhmesblatt bereichert“. Und: „Ueberwältigend scheint uns die Größe dieser Stunde, die uns die Führung Adolf Hitlers bereitet hat.“ Es sei ein „Tag des unbändigen Stolzes und der stolzesten Freude“.

Ueberwältigend scheint uns die Größe dieser Stunde, die uns die Führung Adolf Hitlers bereitet hat

Edith Ruß in einem Zeitungsartikel

„Volk und Vaterland“ seien Ideen, die „in Fleisch und Blut“ eingesaugt werden müssten. Deutschland stehe in „einer großen Zeit“, erklärt Ruß in einem anderen Artikel: „Wir glauben an ein hohes Ideal, an unsere Zukunft, unser Volk und Reich.“

Ruß schreibt 1944, dass die Menschen in den besetzten Gebieten durch Erziehung für die deutschen Ziele gewonnen werden müssten, „soweit diese Menschen deutschen Ursprungs sind“. Was mit den anderen passieren soll, führt sie nicht weiter aus. Zu diesem Zeitpunkt ist der Massenmord an den europäischen Juden längst bekannt.

Kurz vor Kriegsende lobt Ruß den Einsatz und „Willen zum Unbedingten“ der Männer, die freiwillig „in den Reihen des Deutschen Volkssturms stehen“, zu dem „der Führer“ aufgerufen hat.

Auch was die nationalsozialistische „Rassenlehre“ angeht, ist Ruß voll auf Linie: „Immer noch steht oben im Nordseegau ein prächtiger Menschenschlag auf der Wacht, der in trotzigem Stolz sein germanisches Erbteil hütet.“ Das „germanische Erbteil“ schließe Juden aus, räumt Witkowski auf Nachfrage ein, sie sehe bei Ruß dennoch keinen Antisemitismus oder Rassismus. Nicht einmal indirekt. In anderen Artikeln schreibt Ruß von der „Negerrasse“ der Pygmäen, die sie in eine Reihe mit der „bunten Tierwelt“ des „dunklen Afrika“ nennt, und von dem den Deutschen „verwandten Blutschlag“ der Holländer.

Nachdem schon die von der Stadt herausgegebene Biographie wegen massiver Fehler zurückgezogen wurde, steht es um das Gutachten wenig besser. Das Edith-Russ-Haus wird umbenannt, aber eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus – oder gar ein Kurswechsel in der Erinnerungspolitik der Stadt – sind nicht in Sicht.

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6 Kommentare

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  • Das kommt mir als Rechercheur im Fall einer KZ-Außenstelle in einer bayerischen Kleinstadt sehr bekannt vor. Die KZ-Außenstelle ist das Wahrzeichen der Stadt, in der heute ebenfalls ein Museum und ein Nobelhotel untergebracht ist. Auch damals als ich das recherchierte, wollte der Bürgermeister nichts davon wissen, die Unterlagen waren im Archiv und ihr Inhalt bekannt, es gab sogar eine offizielle Anfrage der Grünen in Stadtrat. Aber auch die wurde trotz Protokoll hartnäckig verleugnet.

    Bis heute verschweigt die Stadt ihre Vergangenheit, bei der Zwangsarbeiter mit der Benzinspritze umgebracht wurden. Lediglich die Gedenkstätte des KZ Flossenbürg macht darauf aufmerksam.

    Die Mechanismen sind wie in Oldenburg die gleichen: Man stellt sich nicht der Vergangenheit, wird erst aktiv, wenn die Gegenwart bedroht ist.

    • @rakader:

      Nachtrag: Auch die Heimatzeitung negiert die Existenz des KZ-Außenlagers und beruft sich auf die unambitionierte Staatsanwaltschaft. Die hatte nur in Flossenbürg recherchiert. Sie negierte dabei Recherchen von Nachwuchsjournalisten der Uni Eichstätt und des Politikmagazins Panorama 15 Jahre zuvor, die Einsicht in die Holocaust-Akten in Washington nahmen und Interviews mit Überlebenden führten.

      Es handelt sich hierbei um die Burg von Eichstätt im Altmühltal, um die Staatsanwaltschaft Ingolstadt, die Zeitung Donau-Kurier und die Stadt Eichstätt selbst, die alle eint, das Ansehen der Stadt nicht zu beschädigen.

  • "eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus – oder gar ein Kurswechsel in der Erinnerungspolitik der Stadt – sind nicht in Sicht." Warum auch? Wie man am jüngsten Wahlergebnis schön sieht ist dieses "Gedankengut" in Deutschland weit verbreitet und scheut inzwischen auch nicht mehr die Öffentlichkeit.

  • Mir fehlt hier noch die Information, was Frau Russ nach dem Krieg gemacht hat. Hat Sie Ihre Tätigkeit dann aufgearbeitet und einen anderen Weg eingeschlagen?

    • @Dromedar:In:

      Sie hat nach 1945 zumindest nicht mehr als Journalistin gearbeitet, sondern als Lehrerin (da störte die NS Vergangenheit nicht so). Immerhin hat sie den Lehrerberuf aber wohl ernst genommen und sich in der Behindertenarbeit engagiert. 1940 ist sie in die NSDAP eingetreten, 1950 wurde sie als "entlastet" entnazifiziert (das war die geringstmögliche Schuldzuweisung). Inwieweit man einer 21 jährigen einen Vorwurf daraus machen kann, der politischen Linie der NS Presse gefolgt zu sein, sei mal dahingestellt (zur Erinnerung: die Hanns-Martin-Schleyer Halle in Stuttgart ist nach einem SS Untersturmführer, dessen Aufgabe die "Beschaffung" tschechischer Zwangsarbeiter war, benannt. Regt sich keine Sau drüber auf.).

  • Eine Umbenennung ist doch äußerst halbgar. Da die Stifterin die Namensgebung testamentarisch angeordnet hat (siehe www.edith-russ-hau...s/edith-russ-haus), sollte die Stadt Oldenburg etweder alles so lassen wie es ist oder die Schenkung/Stiftung vollständig ablehnen und das Museum ggf. einstellen.