Status-Streit um Museums-Schiff: Bildungssegler in Not
Weil eine Berufsgenossenschaft strenger geworden ist, droht etlichen historischen Schiffen das Aus. Dachverband hofft auf das Bundesverkehrsministerium
Authentizität ist Auslegungssache – was dem Bildungsschiff „Lovis“, zuhause im Museumshafen Greifswald, zum Verhängnis werden könnte. Ihrem 100 Jahre alten Rumpf zum Trotz: Erbaut wurde die „Lovis“ von ihrem Trägerverein selbst, wenn auch nach dem Vorbild des Frachtlogger „Wilhelm Lühring“. 13 Jahre ist das her, seitdem segelt die „Lovis“ mit Schulklassen und Jugendgruppen über Nord- und Ostsee. Zum 30. Juni droht ihr nun die Stilllegung: Die Berufsgenossenschaft (BG) Verkehr verwehrt der „Lovis“ die Einstufung als „historisches Wasserfahrzeug“. Denn das Schiff habe es ja so nie gegeben.
Auf ihre missliche Lage machte die „Lovis“ jüngst auch im Kieler Hafen aufmerksam. So wie sie kämpfen fast 30 weitere Schiffe um die Anerkennung ihres historischen Werts durch die BG. Für die alten Koggen, Segler oder Fischkutter geht es dabei nicht nur um die Ehre: Der Status „historisches Wasserfahrzeug“ ist Voraussetzung für die Anerkennung als Traditionsschiff.
Für Traditionsschiffe wiederum gelten seit 1998 angepasste Kriterien, damit auch Vereine, die einen großen Anteil der alten Schiffe in deutschen Museumshäfen ausmachen, sich ihre schwimmenden Schätze überhaupt leisten können: Solange das Schiff als historisch gilt und gemeinnützig geführt wird, sind Sportführerschein, Hobby-Crew und angepasste Sicherheitsauflagen ausreichend. Und das spart den Eignern Geld.
Die Zulassung als „historisch“ müssen sie alle fünf Jahre erneuern lassen – durch die BG Verkehr. Was genau unter einem historischen Wasserfahrzeug aber zu verstehen ist, hat das Bundesverkehrsministerium 1998 nicht mit festgelegt.
Und da liegt das Problem: Vielen Eignern von Schiffen wie der „Lovis“ werde „zunehmend die Zulassung als Traditionsschiff versagt“, sagt Volker Pesch, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Museumshäfen. Sie vertritt als Dachverband die Interessen vieler Traditionsschiffeigner.
Der Justiziar der BG Verkehr, Kai Krüger, verweist auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg: Demnach müssten Traditionsschiffe „dem historischen Originalzustand entsprechen“, sagt er. „Das kann die ’Lovis‘ nicht belegen – nur eine Schiffsgattung zu repräsentieren, ist zu wenig.“ Aus Sicht der BG bestätigt das Gericht damit ihre Handhabe. Geklagt hatte 2009 ein Schiffseigner, der die Anerkennung als Traditionsschiff vom Gericht erzwingen lassen wollte.
„Es gibt aber kein Urteil darüber, ob eine Behörde, die Schiffssicherheit beurteilt, überhaupt berechtigt ist, zu entscheiden, welche Schiffe historisch sind“, sagt Volker Pesch vom Museumshafen-Verband. Überhaupt, bemängelt er, habe die Abteilung für Schiffssicherheit der BG die Definition für historische Schiffe ja selbst aufgestellt. Der Verband dagegen fordert, die Definition müsse vom Gesetzgeber spezifiziert werden. Deshalb hat er sich an das Bundesverkehrsministerium gewandt, um eine passende Interpretation des Begriffs „historisch“ auszuarbeiten (taz berichtete).
Ein Treffen im März, an dem neben dem Ministerium auch die BG Verkehr teilnahm, verlief Pesch zufolge allerdings frustrierend: Man habe diskutiert, das Ministerium habe zugehört und schließlich einen Erlass ausgearbeitet, der an den Wünschen der Traditionsschiffer vorbeigehe. Veröffentlicht wurde er allerdings bisher auch nicht. Ein gutes Zeichen für den Verbandsvorsitzenden: „Unsere Argumente“, sagt Pesch, „sind dann wohl nicht völlig verkehrt.“
Das Papier befinde sich noch in der Abstimmung, ließ die Bundesregierung zu Wochenbeginn verlauten: Am Montag legte sie einen Bericht zur „Zukunft der Traditionsschifffahrt“ vor, am Mittwoch wurde über das Thema im Verkehrsausschuss beraten. Was am Ende herauskommt, wird sich zeigen.
Leser*innenkommentare
J. Trebeis
Gast
Die Geschichte ist wirklich haarsträubend: Die Berufsgenossenschaft streitet nicht ab, dass die Schiffe noch genauso sicher sind wie bei der letzten Prüfung. Und auch die Richtlinien haben sich nicht geändert.
Jeder Journalist, der die BG fragt was der Lovis fehlt, kriegt eine andere Antwort: Mal passt ihr das Betreiberkonzept nicht (was geht das überhaupt die BG an??), mal fehlen ihr 120 Jahre alte Dokumente einer abgebrannten Werft, mal wird an der Brandsicherheit gezweifelt.
Ich denke man sollte nicht der Lovis, sondern der BG-Verkehr die Betriebserlaubnis entziehen!!
Hastalavista
Gast
Im August ist wieder die Hansesail in Rostock. Die Schiffseigner sollten sich in eineer solidarischen Aktion alle von diesem Event fernhalten.
Dann wäre die Hansesail ohne diese traditionelle Schiffskulisse nicht mehr als eine popelige Kirmes mit Fress- und Saufbuden.
Gleiches für Events wie Rumregatta, Kieler Woche und alle Veranstaltungen, die mit historischem Ambiente werben.
Joachim
Gast
Bei der ganzen Geschichte scheint es eher darum zu gehen, die ganzen TradiSchiffe vom Wasser wegzubekommen. Wenn die Historizität belegt ist, sucht sich die BGV andere Gründe, das Sicherheitszeugnis zu verweigern. Sie stellt die Freistellungsbescheide von Finanzämtern für die Gemeinnützigkeit der Vereine in Frage ohne jedoch die Rechtsgrundlage dieses Handelns offenzulegen. Sie verweigert die Kommunikation und beharrt auch auf unerfüllbaren Forderungen weiter. Welche Interessen können dahinter stecken? Die Hinhaltetaktik treibt die Vereine, deren Kosten zum Erhalt der Schiffe weiter laufen, über kurz oder lang in den Ruin. Hier wird die idealistische Arbeit von vielen Menschen, hier wird das Ehrenamt, auf das doch soviel gegeben wird, schlicht herabgewürdigt. Was macht eigentlich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das die Aufsicht über die BGV und deren Geschäftsgebaren hat?
Silke
Gast
Wie soll ein Verwaltungsangestellter einer BG feststellen was einen historisch schützenswürdigen Wert hat und was nicht? Zum Reifenwechseln geht man ja auch nicht zum Bäcker. Da wurden Kompetenzen an Institutionen verteilt, die von der Materie gar keine Ahnung haben. Wenn man erstmal dieses Problem lösen würde, hätten die Traditionsschiffe wahrscheinlich gar keine Probleme mehr.
Sailing Dreams
Gast
Die wenigsten Traditionsschiffe lassen sich mit dem einfachen Sportbootführerschein führen.
Auch wenn die Ausbildung zum Traditionsschiffer der Sportschiffahrt beigeordnet ist, ist sie durchaus avanciert und hat letztendlich denselben hohen Standard wie bei professionellen Charteryachten - nämlich Sportseeschifferschein / Sporthochseeschifferschein plus Praxisnachweis für Traditionsschiffe:
http://www.traditionsschiffer.de/index-ausbildung.html
elf der Fische
Gast
Die Lovis ist ein soziales Projekt. Sie fährt Bildungsreisen zu ökologischen, kulturellen und politischen Themen und es finden Aktionstörns auf ihr statt. Die aktuelle Törnsaison steht unter dem Thema Flucht und Migration z.B. Außerdem ist sie ein ehrenamtliches Projekt, in dem jede_r Mitsegelnd_er sehr viel über Gruppendynamik und damit auch über sich selbst lernt. Die Lovis ist ein Schiff, auf dem noch jed_er mitsegeln kann, auch ohne großes Portemonnaie. Darum geht es doch. Und: Ich bin nicht aus dem Verein. Nur eine Sympathisantin. Und ich möchte gerne noch mal mitsegeln. Und mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich daran denke, dass so ein Projekt so bürokratisch kaputt gemacht werden soll. Darum bitte ich Euch: Unterschreibt die Petition für klare Regeln für Traditionsschiffe auf www.lovis.de
Rebecca
Gast
Wer Schiffe wie die LOVIS unterstützen möchte, kann folgende Petition zeichnen und verbreiten: https://www.openpetition.de/petition/online/bildung-auf-see-braucht-schiffe-in-fahrt-fuer-den-erhalt-von-traditionsschiffen-wie-der-lovis
Krähennest
Gast
Hier kann man die Lovis und alle Traditionsschiffe gegen die Behördenwillkür unterstützen - Bildungsarbeit und Traditionspflege darf nicht einfach versenkt werden:
https://www.openpetition.de/petition/online/bildung-auf-see-braucht-schiffe-in-fahrt-fuer-den-erhalt-von-traditionsschiffen-wie-der-lovis
vergessene Liebe
Gast
ArrgH! Ist zu hoffen dass die BG in die Puschen kommt! Denn sonst gibt es bald keine historischen Holz und Eisen genietete Segelschiffe mehr ! Das Problem liegt primär darin, dass die Erhaltung historischer HolzSchiffe verhältnismässig sehr teuer und aufwendig ist, im Kontrast zu modernen Schiffen aus Glasfiber und geschweisstem Stahl... Aber? Es ist auch historisches `Kunst´ Handwerk (erhaltenswert !) was da bisher noch als historisches Schiff rumsegelt...