Star des American Football: Der wertvollste Tierquäler
Ausgerechnet der verurteilte Kriminelle Michael Vick ist momentan der spektakulärste Spieler in der NFL. Mit seinen verwegenen Sturmläufen überrascht er selbst die Trainer.
Man stelle sich vor, der FC Bayern München hätte am Sonntag beim Stande von 5:1 gegen den VfB Stuttgart nicht nur zwei Gegentore bekommen, sondern das Spiel in letzter Sekunde noch 5:6 verloren. Louis van Gaal wäre wohl noch röter angelaufen ob der unfassbaren Wendung des Schicksals. Tatsächlich geschah drei Stunden später im 6.500 Kilometer entfernten East Rutherford, New Jersey, exakt solch Unfassbares - nur nicht im Fußball, sondern im Football, dem amerikanischen.
Die New York Giants führten im heimischen Meadowlands-Stadion acht Minuten vor dem Ende eines bis dahin überraschend einseitig verlaufenen NFL-Spitzenspiels 31:10 gegen die Eagles aus Philadelphia. Die Offensive der Giants marschierte nach Belieben übers Spielfeld, und die Defensivabteilung hatte den sonst so explosiven Angriff der Eagles um deren Spielmacher Michael Vick sicher im Griff.
Doch dann geschah eigentlich Unmögliches: Innerhalb weniger Minuten erzielten die Eagles drei Touchdowns und schafften den Ausgleich. 13 Sekunden vor Schluss schließlich, alle Beteiligten hatten sich schon auf eine Verlängerung und die Fortsetzung des Spektakels eingestellt, da fing DeSean Jackson, der ligaweit gefürchtete Punt-Returner der Eagles, einen Befreiungsschlag, ließ ihn zuerst fallen, rappelte sich wieder auf, schlug Haken wie ein Hase auf Ecstasy und trug den Ball bis in die gegnerische Endzone.
Game over, 38:31 für Philadelphia, 81.000 mucksmäuschenstille New Yorker im Stadion, und Giants-Trainer Tom Coughlin lief noch röter an, als es selbst Louis van Gaal jemals gelingen dürfte.
Der finale Held des Spiels war zwar DeSean Jackson, aber seinen sagenhaften Schlusspunkt hatte erst Michael Vick möglich gemacht. Der Quarterback hatte in den letzten Spielminuten - nach einer bis dahin eher enttäuschenden Leistung - Sensationelles abgeliefert: Er warf nicht nur Bälle mit höchster Präzision, sondern trug das Spielgerät auch gleich noch selbst durch die zusehends hilflosen Reihen der Giants-Verteidiger.
Der 30-Jährige ist momentan zweifellos der spektakulärste Spieler, den die NFL in Amerikas Fernsehstuben sendet. Das anzuerkennen kamen selbst die blamierten New Yorker Defensivkünstler nicht umhin. Vick, so Defensive End Justin Tuck, solle doch gefälligst zum MVP, zum wertvollsten Spieler der Liga, gewählt werden.
Aktueller Favorit für die prestigeträchtige Auszeichnung ist aber noch Tom Brady, Quarterback der New England Patriots und Ehemann von Supermodel Gisele Bündchen, der eine statistisch gesehen herausragende Saison spielt. Aber der Vorzeigeprofi Brady ist ein reiner Passgeber, ein klassischer NFL-Ballverteiler. Seine Spielweise ist lange nicht so aufregend wie die von Vick, der mit seinen verwegenen Sturmläufen und wilden Improvisationen nicht nur die Gegner, sondern oft auch die eigenen Coaches überrascht.
Aber mit jedem aufsehenerregendem Auftritt werden die Stimmen lauter, Vick die MVP-Trophäe zu überreichen. Eine solche Wahl könnte allerdings zum Publicity-GAU für die NFL werden. Schließlich ist Vick ein verurteilter Krimineller, der erst seit anderthalb Jahren wieder auf freiem Fuß ist. Weil er illegal Hundekämpfe veranstaltet hatte, saß er 21 Monate im Gefängnis. Dass die NFL ihn überhaupt wieder aufs Spielfeld ließ, wurde nicht nur von Tierrechtsaktivisten mit Protesten begleitet.
Einen überführten Tierquäler als herausragenden Akteur auszuzeichnen, das kann sich die zwar finanziell extrem erfolgreiche, aber in den letzten Jahren immer wieder von Skandalen erschütterte NFL eigentlich nicht leisten. Vick als MVP - das wäre, so sieht es mancher Amerikaner, ungefähr so, als würde Alice Schwarzer ausgerechnet Franck Ribéry zum Chefredakteur der Emma ernennen.
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