Standortpflege: Die Euphorieermöglicher
Um die Kreativwirtschaft nach vorne zu bringen, haben Wirtschaftspolitiker diverse Berater und eine neue GmbH in die Spur geschickt. Wie sieht deren Arbeit vor Ort aus?
Als der Designer Philip Gaedke seinen Beratungstermin bei dem Herrn von der Bundesregierung vereinbarte, ahnte er schon, dass er für das Treffen weder Anzug noch Krawatte brauchen würde. Immerhin hatte der Herr von der Bundesregierung über eine Mailingliste auf sich aufmerksam gemacht, in der ansonsten die Hamburger Szene kulturpolitische Entwicklungen kritisch diskutiert. Als Treffpunkt schlug der Herr von der Bundesregierung Gaedke ein Café im Hamburger Schanzenviertel vor. Dort erschien er dann unrasiert, stellte sich als Frank Lemloh vor und war mit 38 Jahren gerade mal ein Jahr älter als Gaedke selbst. Die beiden konnten sofort etwas miteinander anfangen.
Lemloh ist gelernter Kaufmann, hat Kulturwissenschaften studiert und selbst zwei Unternehmen im Kreativbereich gegründet. Seit Februar diesen Jahres ist er regionaler Ansprechpartner der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Beim Kaffee riet Lemloh Gaedke, es zu wagen. Und Gaedke wagte es - er kündigte seinen Job bei einem Barkassenunternehmen, um endlich mehr Zeit zu haben für sein eigenes Geschäft.
Der Designer entwirft und produziert Tapeten nach Wunsch. Wenn jemand eine Wand voller Quietscheentchen vor der Kulisse des Hamburger Hafens haben möchte, bekommt er die entsprechende Tapete bei Philip Gaedke. Genauso wie Ornamente, Muster oder Grafiken jeder Art.
Nicht nur für das eigene Geschäft entschied sich Gaedke nach der Beratung, er bewarb sich zudem beim Wettbewerb "Kultur- und Kreativpiloten Deutschland". Ende Oktober wurde er dort als einer von 32 Siegern ausgezeichnet. Seit Anfang Oktober ist Gaedke selbständig, darf als Kreativpilot an Coaching-Maßnahmen teilnehmen und wird von der Presse befragt. Wies nun weitergeht? "Ich bin zuversichtlich", sagt Gaedke. "Also euphorisch."
Mit seinen Tapeten ist Gaedke ein typischer Akteur der Kreativwirtschaft. Qua Definition gehören zur Kreativwirtschaft elf Teilmärkte (siehe Kasten). 2009 waren in Deutschland in der Kreativwirtschaft knapp über eine Million Menschen beschäftigt, ihr Umsatz lag bei 131 Milliarden Euro. Insgesamt sind in der Branche 237.000 Unternehmen tätig, wobei die Branche geprägt ist durch viele Selbständige und Kleinstunternehmen.
Auf Symposien und Tagungen wird die Kreativwirtschaft seit Jahren als zukunftsweisende Branche diskutiert. In Norddeutschland hat sich 2010 etwas Konkretes getan: Fast zeitgleich haben zwei Institutionen die Arbeit aufgenommen. Beide sind dazu da, die Akteure der Kreativwirtschaft zu unterstützen.
In Hamburg hat die Stadt die "Kreativgesellschaft" gegründet, eine GmbH, bei der sechs Mitarbeiter auf 5,5 Stellen eine Idee verwirklichen sollen, die auf das Leitbild "Kreative Stadt" der mitregierenden Grünen zurück geht. Geschäftsführer der Kreativgesellschaft ist der 51-jährige Egbert Rühl, der zuvor das städtische Kulturzentrum Alte Feuerwache in Mannheim leitete.
Auf Bundesebene hat das Bundesministerium für Wirtschaft acht Regionalbüros eingerichtet, die jeweils aus einer Person bestehen. Für Bremen und Niedersachsen ist die Kulturmanagerin und Schauspielerin Tania Breyer zuständig. Frank Lemlohs Zuständigkeit sind Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein.
Einen großen Teil ihrer Arbeitszeit verbringen die Regionalbeauftragten des Bundes damit, Orientierungsberatungen für Kreativwirtschaftler vor Ort durchzuführen. Auch Lemloh ist viel unterwegs: Er bietet regelmäßige Sprechtage an in Kiel, Lübeck, Husum, Rendsburg, Wismar, Rostock, Greifswald und Hamburg. Zu den Leuten, die er berät, gehört der 50-jährige Lehrer, der auf Popmusik umsatteln will, genauso wie die Handtaschendesignerin, die Lyrikerin von der Küste, der frisch gekündigte NDR-Journalist - oder die Frau, die Rituale anbietet.
Entscheidend ist: Frank Lemloh ist kein Kritiker. Er wird dem Lehrer nicht sagen, wie er dessen Musik findet, und der Lyrikerin keine Einschätzung zur künstlerischen Qualität ihrer Texte geben. Lemloh ist im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums unterwegs und das heißt: Ihm geht es um die betriebswirtschaftliche Seite der jeweiligen Unternehmung. Er kann Tipps geben, wie man Netzwerke aufbaut, Marketing betreibt oder einen Business-Plan aufstellt.
Gleichzeitig ist klar, dass kreativ tätige Menschen anders ticken als etwa Maschinenbauer. "Ich kann den Job nicht ohne Betrachtung der persönlichen Situation machen", sagt Lemloh. "Das unterscheidet den Job von der allgemeinem Existenzgründerberatung der Handelskammer."
Lemlohs Klienten in Hamburg kann passieren, dass er sie weiterverweist zur Kreativgesellschaft, die in der Hamburger Hafencity zu Hause ist und derzeit durch die Stadt tourt, um sich an elf Abenden den elf Teilbranchen vorzustellen. Neben diversen Beratungsangeboten ist eine zentrale Aufgabe der Kreativgesellschaft, Räume aufzuspüren, in denen Kreative arbeiten können. "Wir haben einen Fokus auf nicht-gewinn-orientierte Akteure", sagt Kreativgesellschafts-Chef Rühl. Aber auch bei den Hamburgern gilt: "Wir sind ein Instrument der Wirtschaftsförderung für eine sehr spezielle Klientel."
Leser*innenkommentare
RalfLippold
Gast
... ein erster Schritt ist getan. Und es ist noch mehr mit weniger finanziellem Aufwand möglich, wenn sich intelligent "across boundaries" in und außerhalb von Städten und Regionen vernetzt wird.
Die Social Networks von Facebook, Twitter, XING und anderen bieten da erste Möglichkeiten.
Doch wie ist das Vertrauen aufzubauen, das wir bislang nur aus dem realen Leben erlernen durften? Wie kann ich mit einer virtuellen Bekanntschaft oder Projektpartnerschaft ein nachhaltiges Business aufbauen?
Dresden und andere Städte sind da schon etwas weiter, http://coworking.pbworks.com/Germany. Wie kann das hier erfahrene Wissen in die breite Öffentlichkeit gelangen und welche offenen Kanäle gibt es bereits? #OpenData #OpenGov #OpenEnterprise