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Stalking"Das ist ein Massenphänomen"

Die erste Beratungsstelle für Stalker hilft indirekt auch den Opfern, sagt Wolf Ortiz-Müller, Leiter von "Stop Stalking". "Der wirksamste Opferschutz ist, wenn man die Täter dazu bringt, aufzuhören".

Der Leiter von "Stop Stalking", Wolf Ortiz-Müller Bild: DPA

ERSTE STALKER-BERATUNGSSTELLE

In Berlin gab es im vergangenen Jahr insgesamt 1.048 Ermittlungsverfahren gegen Stalker, 110 Anklagen und 200 Verfahren, die noch offen sind. Bei Verurteilung drohen bis zu 3 Jahre Haft. In 80 Prozent der Fälle sind die Täter Männer. Zahlen über verurteilte Stalker liegen der Justizverwaltung nicht vor. Am Mittwoch wurde die bundesweit erste Beratungsstelle für Menschen, die stalken, in Berlin eröffnet. Das Projekt "Stop Stalking" will durch Hilfe für die Täter vor allem den Opferschutz verbessern. Die Beratung erfolgt per E-Mail, Telefon oder persönlich und ist anonym und kostenlos. Das Team von Stop Stalking besteht aus fünf Diplompsychologen und SozialarbeiterInnen mit langjähriger Erfahrung in psychosozialen Problemlagen und der Arbeit mit verurteilten Straftätern. Stop Stalking kooperiert mit der Berliner Polizei, mit Opferberatungsstellen und Rechtsanwälten.

Kontakt: Tel. (0 30) 39 79 08 98

taz: Herr Ortiz-Müller, was ist ein Stalker überhaupt?

Wolf Ortiz-Müller: Ein Stalker ist ein Mensch, der eine andere Person verfolgt und belästigt, obwohl sie keinen Kontakt mit ihm möchte. Das kann ein Fan sein, der einem Prominenten auflauert, aber auch genauso gut eine Studentin, die ihren Professor stalkt, weil er in ihren Augen eine Uniarbeit ungerecht bewertet hat. Die meisten Stalker sind Menschen, die eine Trennung nicht verkraften können, hauptsächlich Männer. Die sitzen zu Hause und sind vielleicht arbeitslos oder krankgeschrieben, brechen ihre sozialen Kontakte ab, und den ganzen Tag kreist ihr Denken und Fühlen um diese eine Person.

Das Anti-Stalking-Gesetz gibt es seit dem 31. März 2007. Warum öffnet erst jetzt eine Beratungsstelle für Stalker?

Auf die Idee kamen wir bereits vor zwei Jahren, da war von dem Gesetz zwar schon die Rede, aber es war auch klar, dass es sich noch hinziehen würde. Und ohne den Druck durch die Strafverfolgung würden die wenigsten Stalker einfach so zu einer Beratung vorbeikommen.

Gibt es Statistiken darüber, wie viele Menschen stalken?

Allein in Berlin gab es im vergangenen Jahr 1.048 Ermittlungsverfahren gegen Stalker, das ist schon viel. Aber das war auch zu erwarten, denn wenn der Gesetzgeber ein soziales Verhalten als Straftat definiert, dann muss es schon ein Massenphänomen sein. Der macht das ja nicht einfach so. Sondern dass er das macht, ist ein starker Indikator dafür, dass das Gesetz dringend nötig war.

Was war denn der Antrieb für Ihre Beratungsstelle?

Alle reden immer nur über die Opfer, aber in einem umfassenderen Sinn gehört zum Opferschutz auch die Täterarbeit. Der wirksamste Opferschutz ist, wenn man die Täter dazu bringt, aufzuhören.

Und wie machen Sie das?

Am Anfang sprechen wir mit dem Stalkenden darüber, ob er beispielsweise positive Ziele vor Augen hat, auf die er hinarbeiten kann. Es geht auch darum, dass der Täter Empathie für sein Opfer entwickelt und sich dem Gefühl aussetzt, das er bei der Person auslöst. Außerdem gibt es eine schriftliche Vereinbarung, in der festgelegt wird, dass der Stalker eventuelle Rückfälle offenlegen muss, damit man dann Rückfallprophylaxe betreiben kann. Wir müssen uns auch die Frage stellen: Was ist das eigentlich für ein Mensch? Darum sprechen wir auch von Menschen, die stalken, und nicht von Stalkern oder Stalkerinnen. Das Stalken ist eine Verhaltensweise, aber zu diesem Menschen gehört noch mehr.

Dann ist Stalking also keine psychische Krankheit?

Nein, Stalking wird häufig durch ein Ereignis ausgelöst, durch eine Kränkung, eine Trennung, eine Zurückweisung. Um dieses Ohnmachtsgefühl umzudrehen, versuchen die Täter dann, Macht über ihr Opfer zu erlangen, und diese Macht genießen sie. Wenn allerdings ein Stalker unter einer Psychose oder einem Liebeswahn leidet, braucht er psychiatrische Behandlung, oft auch Medikamente. In so einem Fall leiten wir den Stalker an einen Psychiater weiter.

Hat ein Stalker, der zu Ihnen kommt, denn Garantie für Anonymität?

Beim ersten Gespräch ja. Dann aber muss er sich offenbaren und Name und Adresse herausrücken. Wer Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen will, der muss auch etwas von sich preisgeben. Der Datenschutz ist natürlich trotzdem gewährleistet.

Ist das Fehlen von Anonymität nicht eine Hemmschwelle für Stalker, die Hilfe suchen?

Da müssen sie drüber. Wer nicht bereit ist, nach ein oder zwei Gesprächen seinen Namen zu offenbaren, ist auch noch nicht an dem Punkt, dass er wirklich aufhören will. Und dann erfüllt er leider nicht die Voraussetzungen für die Beratung.

Wie erfahren Stalker von Ihrer Einrichtung?

Die Polizei vermittelt sowohl Täter als auch Gefährder - also strafrechtlich noch nicht verurteilte Täter - an uns. Ein Stalker kann sich aber auch von sich aus bei uns melden, er kann vorbeikommen, anrufen oder eine Mail schreiben. Und Stalker sind ja bekanntermaßen sehr findige Menschen, bei denen man sich immer wundert, was sie so alles herausbekommen können. Da bin ich sehr optimistisch, dass wir relativ rasch einen hohen Bekanntheitsgrad erreichen.

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