Stahlindustrie im Saarland: Der bange Blick nach vorn
Für den klimafreundlichen Umbau der Produktion setzt die saarländische Stahlbranche auf Milliarden vom Bund. Die stehen nun auf der Kippe.
Rauber kämpft um die bereits zugesagten, allerdings noch nicht bezifferten Milliardenhilfen für den Umbau der saarländischen Stahlindustrie hin zur Produktion mit grünem Strom und Wasserstoff. Die stehen seit zwei Wochen auf der Kippe.
Das Geld sollte aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen, den das Bundesverfassungsgericht gekippt hat. Weder die Wirtschaftsministerkonferenz vergangene Woche noch die Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag im Bundestag haben Klarheit gebracht.
14.000 Arbeitsplätze hängen im Saarland direkt und weitere 6.000 indirekt von der Zukunft der Stahlindustrie ab. Verantwortliche aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften warnen vor dem drohenden Verlust des Industriestandorts.
„Die Deadline ist jetzt“
„Man könnte noch ein paar Jahre mit Kokskohle weitermachen und dann müsste man die Stahlproduktion einstellen“, sagt dazu der IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Köhlinger, der zugleich Vizechef des SHS-Aufsichtsrats ist. Köhlinger verlangt, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zügig einen neuen Finanzierungsweg findet: „Die Deadline ist jetzt!“
Das Saarland steht vor großen Herausforderungen. Die Automobilproduktion von Ford am Standort Saarlouis läuft 2025 aus. In der Transformation hin zur Elektromobilität müssen die zahlreichen kleinen und großen saarländischen Zulieferbetriebe der Automobilindustrie neue Geschäftsmodelle entwickeln. Viele von ihnen kämpfen um ihre Existenz.
Die Stahlproduktion gilt dabei als Schlüsselindustrie. „Unser Saarland hat ein Herz aus Stahl“ stand auf dem Banner der IG Metall, mit dem Tausende Beschäftigte im September bei einer Mahnwache für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstrierten.
Ende November gingen in Völklingen 20.000 Menschen auf die Straße – mehr als in der saarländischen Stahlindustrie beschäftigt sind. „Es gibt eine große Solidarität im Saarland, alle ziehen an einem Strang!“, sagt dazu IG-Metall-Bezirksleiter Köhlinger.
In Frankreich entstehen CO2-arme Eisenbahnschienen
Im weit verzweigten Saarstahl-Konzern hat der Umbau der Produktion mit dem Ziel der CO2-Vermeidung längst begonnen. Seit 2020 wird in Hochöfen am Standort Dillingen erstmals in Deutschland Wasserstoff in industriellem Maßstab eingesetzt.
Im französischen Hayange produziert das Schienenwerk Saarstahl Rail Eisenbahnschienen mit reduzierten CO2-Emissionen. 700 Millionen Euro hat das Management in den vergangenen 15 Jahren nach eigenen Angaben in die Modernisierung der Anlagen investiert.
Auch für die traditionsreichen Standorte setzt das Unternehmen auf die grüne Transformation. Elektrische Lichtbogenöfen sollen in Dillingen und Völklingen ab 2027 jährlich 3,5 Millionen Tonnen grünen Stahl produzieren, ab 2030 sollen dabei die CO2-Emissionen um jährlich 4,9 Millionen Tonnen reduziert werden.
Bereits vor einem Jahr hatte der Aufsichtsrat das Konzept beschlossen, das den Förderanträgen zugrunde liegt. 3,5 Milliarden Euro will das Unternehmen investieren, doch damit der CO2-arme Stahl trotz höherer Produktionskosten auf den Märkten konkurrenzfähig bleibt, muss der Bund liefern: „Wir gehen fest davon aus, dass die Bundesregierung die Fördergelder für die saarländische Stahlindustrie bewilligen möchte“, erklärte Stahlmanager Stefan Rauber gegenüber der taz und fügte hinzu: „Kürzungen jeglicher Art würden das Projekt unwirtschaftlich und damit nicht durchführbar machen.“
Auch der landeseigene Transformationsfonds wackelt
Die Transformation der Stahlindustrie hängt dabei auch vom Erfolg der Wasserstoffstrategie ab, die Unternehmen den Zugang zu Wasserstoff sichern soll. „Grüner Wasserstoff und grüner Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen sind die Basis des Erfolgs“, so Rauber. Er betont: „Wir als saarländische Stahlindustrie haben unsere Aufgaben erfüllt. Nun muss die Bundesregierung schnellstmöglich die Finanzierung realisieren.“
Die saarländische Landesregierung will ihren Anteil an den Fördermitteln aus dem landeseigenen Transformationsfonds finanzieren. Der müsse im Lichte des Verfassungsgerichtsurteils nachgebessert werden, räumte Landeswirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) ein: „Die jährliche Feststellung einer Notlage ist eine notwendige Änderung“, so Barke, der an den Gesprächen in Berlin teilnahm.
Ob es weiteren Änderungsbedarf gibt, soll Anfang Dezember bei einer Expertenanhörung im Saarbrücker Landtag ermittelt werden. Die oppositionelle CDU-Fraktion hat allerdings noch nicht entschieden, ob sie gegen den schuldenfinanzierten Transformationsfonds des Landes klagt.
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