Stadtumbau in Berlin-Kreuzberg: Schritt für Schritt ins Paradies
Fast ein Jahrzehnt wurde diskutiert, nun steht der Entwurf für eine autofreie Bergmannstraße. Sie soll Vorbild für weitere Berliner Kieze sein.
Unter einem – oder dem – Paradies versteht jede und jeder ein bisschen was anderes. Aber dieser im Kreuzberger Rathaus ausgestellte Entwurf der Bergmannstraße kommt einem innerstädtischen Wohlfühlort ziemlich nahe. Statt fahrender und parkender Autos dominieren RadfahrerInnen und FußgängerInnen, die nicht länger an den Rand gedrängt werden, das Bild. Zwischen beiden, als natürliche Trennung quasi, soll ein Wasserlauf gebaut werden, was stark an die „Bächle“ im südwestdeutschen Freiburg erinnert, der ursprünglichen Heimat vieler BewohnerInnen dieses Kreuzberger Viertels. Motorisierte Fahrzeuge hingegen sind mit Ausnahme von Lieferfahrzeugen ganz verschwunden.
„Der Bergmannkiez wird unser Modellprojekt für den Kiez der Zukunft“, sagt Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann am Mittwoch bei der Vorbesichtigung der Ausstellung. Nach dem Willen des Bezirksamts soll die Bergmannstraße zwischen Nostitz- und Schleiermacherstraße für den motorisierten Individiualverkehr gesperrt und zur Fußgängerzone werden, die RadlerInnen bekommen baulich separiert davon einen zweispurigen, mindestens vier Meter breiten eigenen Weg, die Baumscheiben werden vergrößert. Überall gilt Tempo 20. Und der umliegende Kiez wird durch ein umfassendes System von Sperrungen und Einbahnstraßen in das Verkehrskonzept eingebunden. Grüner soll das Viertel werden, weniger mit Schadstoffen belastet, leiser und auch sicherer für die Menschen.
Beschlossen wurde das Konzept vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg am Dienstag. Nun muss das Bezirksparlament der Planung in mehreren Sitzungen bis Ende November noch zustimmen. Passiert das – wovon Bezirksbürgermeisterin Herrmann offenbar ausgeht –, soll es nächstes Jahr einen städtebaulichen Wettbewerb geben, bei dem genau geklärt wird, wie die Umsetzung aussehen soll. Dabei gilt, wie Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamts, betont: „In Details kann es noch Änderungen geben, bei den wesentlichen Vorgaben nicht.“
Wer den Entwurf genauer betrachtet, fragt sich, warum eine solche Umgestaltung nicht schon früher möglich war. Schließlich ist der Bergmannkiez politisch eine grüne Oase, umgeben von großen Straßen, die den Durchgangsverkehr aufnehmen können. Die Antwort liefert die noch bis 2. Oktober zu sehende Ausstellung im Rathaus: Neun Jahre sind vergangen, seit der Senat mit seiner Fußverkehrsstrategie die Grundlage für die Umgestaltung schuf. Dazwischen liegen viele Beteiligungsformate mit AnwohnerInnen und Gewerbetreibenden, repräsenative Umfragen, verpatze Versuche wie mit den überwiegend als problematisch beurteilten Parklets oder unverständlichen Straßenmarkierungen sowie aus dem Ruder gelaufene Diskussionsveranstaltungen.
Monika Herrmann, Bürgermeisterin
Von einer insgesamt „sehr dynamischen Debatte“ spricht Monika Herrmann, betont dabei aber die Vorteile dieses langen Vorlaufs: „Jeder und jede, die sich einbringen wollte, hatte dafür die Chance.“ Nun werde der Bürgerwille umgesetzt.
Natürlich erwartet Herrmann weitere Diskussionen, schließlich fallen zwischen 90 und 190 Parkplätze weg. Aber eher in Richtung Zukunft: „Viele Initiativen in Berlin erwarten eine solche Umgestaltung auch für ihren Kiez.“ Sie geht davon aus, dass die Umsetzung „selbst in Berlin durchaus schneller vorangehen könne“. Aber auch im Bergmannkiez wird es noch eine Weile dauern bis zum Paradies: Erst 2023 oder 24 werde der Umbau fertig sein, sagt Amtsleiter Weisbrich.
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