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StadtgesprächGetötet, weil Frau

Südkoreas „Gangnam Style“ steht nicht mehr nur für coole Musik, sondern auch für sexistische Gewalt

Fabian Kretschmer aus Seoul

Natürlich ist es kein Zufall, dass diese Geschichte in Gangnam ihren Anfang nimmt, jenem Seouler Nobelbezirk, dem 2012 in der weltweiten K-Pop-Hymne ein musikalisches Denkmal gesetzt wurde. „Gangnam-Style“, das ist die Welt von weißhemdigen Büromännern und tätowierten Rich Kids in grellen Cabrios. Frauen sind hier Abziehbilder patriarchaler Fantasien: Sie schleppen morgens Kaffeebecher in die Büros, huschen tagsüber mit überdimensionalen Sonnenbrillen aus den Schönheitskliniken und bieten sich nachts in Massagesalons an.

Seit letztem Dienstag jedoch muss die Ikonografie des Gangnam-Viertels um ein Kapitel erweitert werden: Der Bezirk ist zum Symbol dafür geworden, wie Südkoreas Frauenwelt die lang verschwiegene Misogynie ihrer Gesellschaft öffentlich anklagt.

In den Nachtstunden des 17. Mai schleicht sich in Gangnam ein 34-jähriger psychisch kranker Mann auf die Unisex-Toilette eines Karaokesalons ein, wo er zunächst regungslos ausharrt. Kameraaufnahmen zeigen, wie mehrere Männer den Ort aufsuchen, ohne dass etwas Ungewöhnliches passiert. Dann jedoch betritt eine 23-jährige Studentin den Raum. Ohne erkennbares Motiv sticht der ehemalige Theologiestudent die ihm unbekannte Frau zu Tode. „Weil Frauen mich mein ganzes Leben lang nur ignoriert haben“, wird der Täter später bei der Polizeivernehmung sagen.

Es ist nur schwer zu erklären, warum ausgerechnet diese ­Gewalttat für viele Südkorea­nerinnen das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Um die Antworten zu finden, muss man sich nach Gangnam begeben, zum U-Bahn-Ausgang Nummer 10, nur einen Steinwurf vom ­Tatort ­entfernt. Bereits am Morgen nach dem Mord errichteten hier tausende Trauernde einen öffentlichen Altar. Sie legten gelbe Chrysanthemen nieder und pflasterten die Glasfassade des U-Bahn-Ausgangs mit kleinen Klebezetteln zu. „Ein grundloser Tod – auch ich hätte sterben können“, steht auf einem der Zettel geschrieben.

Auf einem weiteren heißt es: „Wenn sie nur deswegen getötet wurde, weil sie eine Frau ist, dann bin auch ich nur eine weitere Frau, die Glück gehabt hat, am Leben zu sein.“

Die 22-jährige Kim Se ­Jeong kommt noch immer jeden Mittag an den Ort der Trauer. Während die Angestellten in die Restaurants hetzen, hält sie demonstrativ ein Schild vor ihre Brust. „Wir Frauen müssen nun gemeinsam handeln“, steht darauf geschrieben. „Endlich ist die Zeit gekommen, in der es darum geht, öffentlich für unsere Rechte einzustehen“, sagt Kim.

Lange wurde in Südkorea verschwiegen, was in Statistiken längst erfasst ist: Frauen werden mehr als achtmal so häufig Opfer von schwerwiegenden Gewaltdelikten wie Männer. Südkorea zählt – trotz vergleichsweise niedriger Kriminalitätsraten – zu einer Handvoll Ländern, in denen mehr Frauen als Männer durch Mord und Totschlag umkommen.

Laut einer Umfrage des Frauenministeriums von 2013 gaben vier von fünf befragten Südkoreanerinnen an, sich bei nächtlichen Taxifahrten unsicher zu fühlen. „Fast jede junge Frau, die ich kenne, wurde in ihrem Leben bereits Opfer von Gewalt – nur weil sie eine Frau ist“, schrieb eine bekannte Kolumnistin in der linksgerichteten Tageszeitung Hankyeoreh.

Viele Feministinnen fühlen sich durch die Seouler Polizeibehörde bestätigt. Nur wenige Tage nach dem Mord erklärte sie, dass es sich nicht um ein sexistisch motiviertes Hassverbrechen handele, sondern dass die Tat lediglich von einer psychischen Krankheit ausgelöst würde, ohne die Trennlinien genauer zu erklären.

„Bei manchen Feministen hat man den Eindruck, dass sie nur darauf gewartet haben, dass so etwas Schreckliches passiert“, sagt aber Moon Hoon Jin, der jeden Nachmittag nach Gangnam zur Englisch-Nachhilfe geht. Der 25-Jährige spricht aus, was viele Koreaner in seinem Alter denken: „Als Mann steht man mittlerweile unter Generalverdacht, ein Gewalttäter zu sein. Die Diskussion ist längst übers Ziel hinausgeschossen.“

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