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StadtgesprächJürgen Vogt aus Buenos AiresDie Wahlen sind im Oktober, doch die Probleme drücken heute

Gerade als sich die drei Protestzüge am Donnerstagmittag zu formieren beginnen, jagen Windböen mit Geschwindigkeiten bis zu 80 Kilometer über Buenos Aires. Nahezu alle großen Gewerkschaften Argentiniens und soziale Organisatio­nen aus dem informellen Sektor hatten zu einem Protesttag gegen die Regierungspolitik von Präsident Mauricio Macri aufgerufen. Gegen die seit Monaten andauernde Rezession und die Entlassungen, gegen Inflation und Kaufkraftverlust, gegen Hunger und Verelendung. Marschiert wird jedoch getrennt. Und während der sintflutartige Regen auf alle gleichermaßen niederprasselt, wird in den drei Protestzügen penibel darauf geachtet, dass sich keine Schnittmengen bilden.

„Heute bleibt es friedlich“, sagt Ricardo Garcia, der auf der Avenida 9 de Julio das Treiben beobachtet. „Hier will niemand die Regierung stürzen“, meint der 60-Jährige von der trotzkistischen Partido Socialista de los Trabajadores Unificado. Kritik an der Regierung ja, aber Streik und Mobilisierung nur, um ein wenig Druck abzulassen. Gewerkschaften und Oppositionsparteien hätten sich darauf geeinigt, die Wahlen abzuwarten. „Aber die Präsidentschaftswahl ist im Oktober und die Probleme drücken heute“, meint Garcia.

Noch vor Wochen schien Mauricio Macris Wiederwahl kaum gefährdet. Doch die wirtschaftliche Talfahrt zieht auch Macris Sympathiewerte mit in die Tiefe. Die Unzufriedenheit beginnt in Ablehnung umzuschlagen. Nur die Zersplitterung der Opposition und ihrer Bewegungen garantierte noch den Wahlsieg. Doch seit der frühere Wirtschaftsminister Roberto Lavagna eine mögliche Kandidatur angedeutet hat, sehen auch konservative WählerInnen eine seriöse Alternative.

Über dem Präsidentenpalast hängen noch dunkle Wolken. Vor Macris Amtssitz wehen die Fahnen des Polo Obero. Rund 8.000 Mitglieder hat die Organisation, die Arbeithabende und Arbeitslose organisiert. Die 49-jährige Viviana Figueroa aus der Provinzstadt Luján ist eine Veteranin der Bewegung. „2001 waren wir zehn Frauen und unsere Kinder hatte nichts zu essen. Dann haben wir die Straßen blockiert und so entstand die Piqueterobewegung.“ Heute erinnere sie vieles an die tiefe Krise von damals. „Teile der Mittelklasse rutschen wieder in die Armut ab, und die Armen rutschen in die Verelendung“, sagt sie.

Figueroas Einschätzung deckt sich mit den gerade veröffentlichten Zahlen der staatlichen Statistikbehörde Indec. Demnach lebten im vergangenen Jahr 32 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Die absolute Zahl lag bei 14,3 Millionen und damit rund 3 Millionen höher als 2017. Die Zahl der in extremer Armut lebenden ArgentinierInnen erhöhte sich um870.000 auf gut 3 Millionen.

„Die Menschen haben Hunger“, sagt Nilda Cerna vom Movimiento Evita. Mit 25 Mitstreiterinnen ist sie aus Loma Hermosa aus dem Provinzbezirk 3 de Febrero gekommen. Dort hat sie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in einer Recyclingkooperative. Dafür bekommt sie von Staat 6.000 Peso im Monat, etwa 120 Euro. In einem normalen Supermarkt kann die 53-Jährige schon lange nicht mehr einkaufen. „Lebensmittel kaufe ich nur noch auf dem Großmarkt“, sagt sie und erzählt, wie sie sich im Viertel zusammentun, um bei den großen Supermarkt­ketten um Lebensmittel nachzufragen, deren Haltbarkeits­datum vorm Ablaufen ist.

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