Stadtentwicklungssenator über Berlin: „Ein Volksbegehren ist keine Drohung“
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel über die Auseinandersetzung mit Mieteraktivisten, die Probleme einer wachsenden Stadt und fehlende Radwege.
taz: Herr Geisel, Sie wohnen in Karlshorst. Wie hat sich Ihre Nachbarschaft in den letzten Jahren verändert?
Andreas Geisel: Aus einem verschlafenen Vorort wurde ein kinder- und familienfreundliches Wohngebiet. Durch den Zuzug entstanden aber auch neue Notwendigkeiten: Es mussten zum Beispiel viele Kitas gebaut werden.
Hat das geklappt?
Ja. Aber nun kommt die Kehrseite: Mehr Bewohner erzeugen mehr Verkehr und mehr Trubel. Die Debatte, wie die Stadt wächst, wird nun auch in Karlshorst geführt. Manche Anwohner, die lange gesagt haben, hier sei es zu verschlafen, sagen nun: Puh, hier ist es aber voll geworden.
Wie sieht ihre Vision von der Stadt aus?
Mich bewegt als Senator, dass Menschen mit den unterschiedlichsten Einkommen überall in der Stadt wohnen können. Auch in der Innenstadt. Wenn wir diese Mischung halten wollen, dann müssen wir auch in der Mitte der Stadt Sozialwohnungen bauen. Das ist eine heftige Debatte, denn dort ist nicht mehr viel Platz.
Geht es überhaupt noch um den Erhalt der Mischung? Wenn man sich von Kreuzberg ihrem Amtssitz direkt neben dem Bärenzwinger am Köllnischen Park nähert, reiht sich ein teures Projekt mit Eigentumswohnungen an das nächste. Hier ist kein Platz mehr für Sozialwohnungen.
Das gehört zur Mischung dazu. In der Mitte der Stadt sollen ja auch Menschen mit höherem Einkommen wohnen können. Mich stört nicht, dass es diese Projekte gibt. Mich stört, dass zu wenig preiswerter Wohnraum vorhanden ist. Da müssen wir was tun.
49, ist seit Dezember 2014 Senator für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr. Der langjährige Bezirksbürgermeister von Lichtenberg ist damit Nachfolger von Michael Müller.
Bisher ist wenig passiert.
Als wir 2011 den Wohnungsneubau anschieben wollten, mussten wir feststellen, dass die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften ihre Bauabteilungen abgeschafft hatten, weil sie seit 15 Jahren nicht mehr gebaut haben. Wir stellen deswegen erst in diesem Jahr die ersten 1.300 Wohnungen durch kommunale Baugesellschaften fertig. Alles davor war privater Wohnungsbau. Diese Verzögerung auf dem Immobilienmarkt ist ganz erheblich - das gebe ich zu.
Ist sie noch aufzuholen?
Mit Tempo: ja. Ich weiche deshalb auch keinem Konflikt aus, weil ich weiß, dass wir dieses Tempo halten müssen. Auf Veranstaltungen, die ich besuche, kritisieren viele Berliner, dass die Brachen bebaut werden, die Busse voller sind, die Straßen auch und sie keine Parkplätze mehr finden würden. Und dann wird gefragt: Muss das sein? Das ist nicht mehr die Frage. Die Menschen kommen einfach nach Berlin, sie fragen nicht nach einer Erlaubnis. Diesen Prozess muss man steuern. Und das gibt Konflikte. Aber wir sind die gewählte Regierung, von der Entscheidungen erwartet werden. Wir können uns nicht wegducken.
Der Tempelhof-Entscheid hat auch gezeigt: Viele Berliner haben kein Vertrauen mehr in den Senat.
Ich gebe Ihnen Recht, dass Vertrauen verloren gegangen ist. Weil sich die Politik nicht immer intensiv genug mit dem Thema und den Konflikten beschäftigt hat. Das gehört zur Wahrheit dazu. Aber können Sie Vertrauen zurückgewinnen, indem Sie jedem sagen, was er gern hören möchte? Meine Antwort ist ganz klar: Nein.
Sie haben vergangene Woche gemeinsam mit der CDU die kooperative Baulandentwicklung beschlossen: Ein Viertel aller Wohnungen bei großen Projekten muss Mietwohnungen zum Preis von 6,50 Euro pro Quadratmeter sein. Wer kann sich denn diese 6,50 Euro leisten? Das sind ja deutlich mehr als der Mietspiegel-Schnitt.
6,50 Euro sind für einen Neubau sehr günstig. Die Baukosten liegen bei zehn Euro netto kalt pro Quadratmeter. Und es gibt in Berlin nicht nur arme Menschen: Drei Viertel aller neu gebauten Wohnungen werden von Berlinern bezogen.
Aber es geht doch um Mischung.
Deswegen machen wir ja Druck auf die Investoren. Und: Wir fördern derzeit 1.000 Wohnungen pro Jahr. Das ist viel zu wenig. Wir würden gerne 3.000 Wohnungen fördern. Und selbst das wäre noch nicht wirklich viel. Doch das kostet viel Geld, für die 3.000 Wohnungen wären es rund 200 Millionen Euro.
Hat der Finanzsenator Entgegenkommen signalisiert?
Die Haushaltsgespräche laufen gerade. Und sie laufen meiner Meinung nach sehr gut und vertrauensvoll mit Matthias Kollatz-Ahnen.
Sie sagen, Sie wollen keinem Konflikt aus dem Weg gehen. Das ginge auch nur schwer: Bei jedem neuen Bauprojekt bilden sich Initiativen dagegen. Kaum erwähnen Sie den geplanten Bau von bis zu 5.000 Wohnungen in der Elisabeth-Aue in Nordpankow, schon ist Blankenfelde zugepflastert mit Protestplakaten. Dummerweise sind das Konflikte, die man nicht lösen kann.
Die müssen wir aber lösen. Überall in der Stadt gibt es das theoretische Verständnis, dass neu gebaut werden muss. Doch dieselben Menschen, die beklagen, dass die Mieten steigen und Abhilfe fordern, sind auch diejenigen, die sagen: Nicht bei uns! Es kann doch nicht sein, dass die die eine Wohnung haben, einen Kampf führen gegen die, die eine Wohnung suchen. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass die Anwohner der Elisabeth-Aue, die einen weiten Blick ins Grüne haben, es nicht gut finden, wenn dort bald gebaut wird. Aber das Areal ist seit vielen Jahren als Baugebiet ausgewiesen, es ist zu 100 Prozent in Landeseigentum, und wenn wir solche Grundstücke nicht nutzen, dann bewältigen wir den Zuzug nicht.
Der Bürgermeister von Pankow unterstützt Sie nicht.
Doch, er unterstützt mich und befürwortet die Planungen für die Elisabeth-Aue. Aber er hat von seiner Bezirksverordnetenversammlung verboten bekommen, eine entsprechende Absichtserklärung zu unterzeichnen. Gleichzeitig will die BVV bestimmte Bedingungen erfüllt haben, wenn doch gebaut würde: ein ordentliche Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr zum Beispiel; genau das planen wir ja.
Sie haben von einem Besuch in Wien die Erkenntnis mitgebracht, dass es klug sein kann, zuerst die Nahverkehrsanbindung zu schaffen, und dann zu bauen. Für die Elisabeth-Aue gibt es noch kein Verkehrskonzept.
Es gibt noch nicht mal ein Bebauungskonzept. Wir wollen gemeinsam mit der Bevölkerung ein integriertes Stadtentwicklungskonzept erstellen: Wie soll gebaut werden, in welcher Dichte, 3.000 Wohnungen oder bis zu 5.000 etc. Das wird etwa ein Jahr dauern. Dann wird es auch ein Verkehrskonzept geben. Wir wollen einen möglichst bunten Mix an Bauformen und Bauherren: Howoge und Gesobau sollen die Hälfte übernehmen, hinzu kommen Genossenschaft, Baugruppen, Private.
Wie soll sich das Areal vom Baugebiet Karow Nord aus den 90ern unterscheiden, wo viele Planungsfehler gemacht worden?
Die Siedlung in Karow hat ihre Probleme, das stimmt. Die Elisabeth-Aue hingegen wird die Gartenstadt des 21. Jahrhunderts. Man kann aus Gebieten, die in der Vergangenheit nicht ganz gelungen sind, nicht den Schluss ziehen: Dann lassen wir es in Zukunft halt ganz bleiben. Aber aus gemachten Fehlern kann man lernen.
Ab wann wird in der Elisabeth-Aue gebaut?
Ich rechne mit 2019.
Neubau ist das eine, der Bestand das andere. Die Initiative Mietenvolksbegehren hat für ihre weitreichenden Forderungen für die Unterstützung der Berliner Mieter 40.000 gültige Unterschriften gesammelt. Wie gehen Sie damit um?
Wir führen Gespräche mit den Initiatoren. Und ich sehe auf deren Seite durchaus Reaktionen auf unsere Kostenschätzung. Allerdings müssen auch wir uns bewegen und auf die Initiative zugehen. Nur dann machen ja solche Gespräche Sinn.
Hoffen Sie auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf?
Das kann ich noch nicht sagen. Ich kann die Kritik an der Wohnungsbaupolitik des Senats, was die letzten drei Jahre betrifft, nicht nachvollziehen. Die rechtlichen Instrumente zur Dämpfung der Mietenentwicklung haben wir inzwischen alle ausgeschöpft. Wir sind das erste und bisher einzige Bundesland, das die Mietpreisbremse voll umgesetzt hat. Es braucht kein Volksbegehren, damit wir uns für Mietendämpfung und preiswerten Wohnraum einsetzen. Das ist seit drei Jahren aktive Politik des Senats, und ich setze das fort.
Es gibt noch keine Lösungen für jene 28.000 Wohnungen, die aus der Anschlussförderung herausgefallen sind.
Das stimmt. Aber wir werden eine Lösung finden.
Wie lautet Ihr Vorschlag?
Wir führen eine individuelle Härtefallklausel ein: Wir kappen die Miete, wenn 30 Prozent des Haushaltseinkommens überschritten werden - also anders als die Initiative, die eine grundsätzliche Kappung fordert. Das wäre falsch, weil wir dann Mieten von Menschen bezuschussen würden, die dies gar nicht nötig haben. Generell muss man wissen: Wird der Entwurf der Initiative vollständig umgesetzt, würde er sämtliche zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel binden. Dann sind andere wichtige Ziele - etwa die Sanierung von Schulen oder Ausbau von öffentlichen Nahverkehr und Radverkehrsnetz - nicht mehr finanzierbar.
Ist das Volksbegehren verfassungskonform?
Das prüft jetzt der Innensenator. Bei dieser finanziellen Dimension ist das auch völlig normal.
Wann rechnen Sie mit dem Abschluss der Prüfung?
Das müssen Sie den Innensenator fragen. Das Abstimmungsgesetz schreibt keine Frist für eine solche Prüfung vor. Aber er wird das nicht verzögern.
Es geht hier um den Zeitpunkt eines eventuellen Volksentscheids: Befürworten Sie einen Termin parallel mit der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2016?
Wenn das möglich ist: ja. Es geht nicht darum, die Debatte und die Entscheidung darüber wegzudrücken. Ich war gerade in der Schweiz, dort sind Volksbegehren etwas völlig Normales, und die Politik kommt dort damit auch klar. Für mich ist ein Volksbegehren keine Drohung.
Das ist auch eine klare Akzeptanz der direktdemokratischen Verfahren, die man so aus dem Senat bisher nicht gehört hat.
Also bitte: Die SPD hat die direkte Demokratie in Berlin in dieser Form erst möglich gemacht.
Ja schon. Aber der Regierende Bürgermeister Michael Müller kritisiert immer wieder, dass es nicht sein könne, dass eine gut vernetzte Minderheit es schafft, dank Volksbegehren die Politik vor sich herzutreiben.
Da hat er Recht.
Sie sagen hingegen, mit Volksbegehren kann die Politik problemlos umgehen.
Richtig. Aber es gibt zwei Probleme bei Volksbegehren: Sie werden initiiert von gut vernetzten Interessengruppen, die eloquent genug sind, ihre Interessen zu formulieren und zu verdeutlichen. Weniger eloquente Menschen in sozial schwierigen Situationen sind dazu nicht in der Lage. Das zweite Problem liegt darin, dass der Interessenausgleich, den die repräsentative Demokratie gewährleistet, durch die direkte Demokratie nicht gewährleistet werden kann. Aber trotz dieser beiden Probleme sind wir nicht gegen direkte Demokratie.
Wollen Sie an das Abstimmungsgesetz noch mal ran?
Nein, das reicht aus. Die Quoren sind richtig gesetzt. Ich denke darüber nach, wie man damit umgehen muss, wenn im Zuge von Volksbegehren Milliarden Euro verschoben werden, ohne das gesagt werden muss, woher das Geld kommen soll. Gute Ideen, die viel Geld kosten, können alle entwickeln. Die schwierige Entscheidung ist, welche Projekte man in der Konsequenz nicht mehr fördert, weil das Geld dann fehlt. Als Bezirksbürgermeister von Lichtenberg habe ich diese Erfahrung gemacht, nachdem wir dort den Bürgerhaushalt eingeführt haben.
Was generell gelobt wird!
Das ist auch total super. Dahinter steckt die Idee, dass die Menschen öffentlich über öffentliche Gelder diskutieren sollen. Es kamen immer ganz viele Vorschläge, wofür Geld ausgegeben werden soll; die Vorschläge, was sich der Bezirk nicht mehr leisten sollte, kamen dagegen sehr sehr spärlich. Die dazu gehörige Haushaltdebatte wird dort nicht geführt.
Nachvollziehbar, oder?
Ja, das ist auch unangenehm. Es gehört aber zur Demokratie dazu, unangenehme Entscheidung mitzudiskutieren. Und das müssen wir auch bei direkter Demokratie noch stärker beachten. Die öffentliche Diskussion muss qualifizierter werden.
Sollte es dafür Geld vom Land geben?
Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung sind teuer. Wenn wir solche Elemente stärken, dann muss es dafür auch Geld geben.
Als Michael Müller im Dezember sie gefragt hat, ob Sie Stadtentwicklungssenator werden wollen, haben Sie da kurz gezögert.
Als Michael Müller mich gefragt hat, habe ich sofort zugesagt. Ich betreibe Politik wirklich mit Leidenschaft. Eine solche Herausforderung, eine solche Chance, Berlin zu gestalten, die kriegt man einmal im Leben.
Sie sind erst 49 Jahre alt.
Ja.
Keine weiteren Pläne?
Doch. Viele.
Michael Müllers Vermächtnis ist, ein Thema wiederentdeckt zu haben, das seine Vorgängerin nicht ernst genommen hat. Mit welchen Thema wollen Sie sich verewigen: als Neubausenator?
Die Bandbreite des Stadtentwicklungssenators ist ja viel größer. Da gehören Verkehr und Umwelt dazu. Ich kämpfe für eine kinder- und familiengerechte Stadt, das ist mein politisches Leitmotiv. Im Moment ist das sehr auf Neubau fokussiert, weil da die Notwendigkeiten und auch die Konflikte liegen. In zwei bis drei Jahren werden wir an den Ergebnissen gemessen. Wenn wir es dann nicht geschafft haben, den Wohnungsbau anzukurbeln und bezahlbare Wohnungen zu schaffen, werden wir dafür verantwortlich gemacht.
Eigentlich werden Sie schon in einem Jahr daran gemessen: Dann ist Wahl.
Nein, ein Jahr ist zu kurz dafür. Wir wollen innerhalb von zehn Jahren die Zahl der Wohnungen in Landeshand von 300.000 auf 400.000 steigern.
Sie gehen also davon aus, dass Sie im Herbst 2016 wiedergewählt werden.
Ja natürlich. Wir machen gute Politik und selbstverständlich werden wir dafür wiedergewählt. Ich sehe auch niemanden, der das Thema wachsende Stadt so klar angeht und die für sozialen Ausgleich sorgt wie die SPD. Andere Parteien sagen das zwar, scheuen aber den Konflikt: Die Grünen und auch die Linke.
Können Sie sich trotzdem vorstellen, nach 2016 mit einer der Parteien oder beiden zusammenzuarbeiten?
Ich bin ein konsensorientierter Mensch, ich arbeite sachorientiert. Ich verstehe mich mit den Grünen wirklich gut, mit den Linken aber auch. Und ich glaube, wir könnten mit beiden einen Konsens finden.
Mit der CDU klappt es nicht so gut?
Man kann auch mit der CDU einen Konsens finden. Wir haben ja viel geleistet in dieser Legislatur. Und bei der vergangenen Woche beschlossenen Regelung zur kooperativen Baulandentwicklung, die bei Neubauprojekten eine 25-prozentige Quote für sozial geförderte Wohnungen vorschreibt, war die Union mit dabei. Wenn auch nicht als Spitze der Bewegung.
Ihr Vorgänger Michael Müller war kein Fahrradsenator. Wenn Sie sagen, Sie wollen kinder- und familienfreundliche Politik machen, gehört dazu natürlich die Fahrradpolitik. Derzeit gibt der Senat nur einen Euro pro Bewohner in diesem Bereich aus.
Es sind vier Euro pro Bewohner.
Das ist eine Frage, wie man rechnet.
Laut Haushalt sind es insgesamt 14 Millionen Euro, die wir pro Jahr ausgeben. Das heißt aber nicht, dass ich die Probleme ignoriere. An einigen Stellen bauen wir zu langsam, manchmal können wir das Geld nicht ausgeben, weil uns und den Bezirken das Personal fehlt, um alles umzusetzen. Aber schauen Sie sich an, was in der Stadt alles passiert ist: In den letzten fünf Jahren haben wir 100 Kilometer neue Radwege gebaut; in diesem Jahr kommen weitere 20 Kilometer dazu. Neben den bereits existierenden 27.000 Abstellanlagen für Fahrräder bauen wir alleine dieses Jahr 1000 neue. Die üblichen Vergleiche von Radlobbyisten mit Münster oder Kopenhagen sind absurd, weil diese Städte einfach viel kleiner sind.
Aber man könnte doch mehr machen!
Man kann immer mehr machen. Und wir müssen auch mehr machen. Aber wir müssen nicht nur den Fahrradverkehr fördern, sondern auch den ÖPNV. Wir müssen uns genauso für die Fußgänger einsetzen und ab und an auch noch eine Straße bauen.
Warum setzten Sie keine Prioritäten? Vielleicht wäre es an der Zeit, dies einfach mal symbolträchtig an einer Stelle zu tun. Warum nicht wie London, die mit ihrer Maut sagen, wir wollen Auto-Verkehr aus der Innenstadt raushalten.
Als sich London dafür entschieden hat, war die Lage dort dramatisch schlechter als in Berlin. Wir sind auf einer ganz anderen Situation.
In den vergangenen sechs Wochen sind fünf Radler im Straßenverkehr umgekommen!
Das sind definitiv fünf zu viel. Ihnen und ihren Angehörigen hilft auch nicht die Statistik. Dennoch: Der Autoverkehr macht nur noch 30 Prozent am Verkehrsaufkommen aus. Von autogerechter Stadt kann in Berlin keine Rede mehr sein. Das Verkehrsverhalten ändert sich; das ist auch das Ergebnis unserer Politik.
Stimmt: Inzwischen sind die Radspuren voll, aber so schmal, dass man da nicht überholen kann. Warum bauen Sie keine breiteren Radwege?
Wo denn?
Etwa auf der Schönhauser Allee, laut einer Umfrage ihrer Senatsverwaltung eine der von Radlern am häufigsten beklagten Radwege.
Die Schönhauser Allee ist zweispurig, auf der einen fährt auch noch die Straßenbahn. Und die Randspur ist Parkspur für die Geschäfte. Das sind die Konflikte.
Es ist also doch eine Frage der Prioritäten!
Ja. Sie können natürlich die Straßenbahnspur mit Autos belegen und so den Öffentlichen Nahverkehr dort verlangsamen. Sie können auch die Parkspur wegnehmen, dann hat es der Einzelhandel schwer; der lebt von den Parkplätzen. Aber eine Freigabe einer ganzen Spur für Radler schafft nur neue Probleme, und löst keine. Wir wollen nicht ein Verkehrsmittel bevorteilen zuungunsten eines oder mehrerer anderer.
So ändert sich nichts.
Aber wir versuchen es immerhin. Nehmen Sie das Beispiel Treskowallee in Karlshorst: Schöne alte Bebauung auf beiden Seiten, zwei Spuren, plus die Straßenbahn. Von Norden und Süden werden Radwege herangeführt, aber den mittleren, alten Teil haben wir noch nicht mit Radwegen ausstatten können. Das ist eine wirklich gefährliche Situation, und ich gebe zu: Ich selber fahre dort mit dem Rad auf dem Bürgersteig. Ab und an werde ich vom Ordnungsamt erwischt. Aber ich will mein Leben nicht auf der Straße gefährden.
Sehr verständlich, das geht vielen so in Berlin.
Wir brauchen also Platz. Deshalb wollten wir die Vorgärten der Anwohner kaufen und dort Radwege bauen. Das wollten die Eigentümer aber nicht, weil dann die Straße näher an ihre Häuser heranrücken würde. So gab es an dieser Stelle keine Lösung.
Es bleibt beim Status Quo.
An dieser Stelle. An anderen nicht: An der Warschauer Straße gab es Platz, und so haben wir allen Verkehrsteilnehmern Raum geben können. Das hat lange gedauert, weil wir mit allen Gewerbetreibenden dort und mit den Bürgern gesprochen haben. Dort haben wir eine sehr gute Lösung gefunden. (seufzt) Aber es ist schwierig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien