Stadtentwicklung: Planung außer Rand und Band

Aus dem Masterplan für das Bahnhofsviertel wird wohl nichts mehr. Jetzt sollen die fehlenden Investoren mit mehr Profitaussichten geködert werden. Am Rande glaubt man noch an die Quartiersentwicklung.

Der Bahnhof ist schon da, nur die Stadt drum herum fehlt noch. Bild: reuters

Die unscheinbare Stadtmission in der Lehrter Straße 68 in Sichtweite des Hauptbahnhof war schon des öfteren Schauplatz, wenn es um die städtebauliche Entwicklung des Quartiers ging. In den Räumen gingen die Anwohner zuletzt gegen Pläne auf die Stühle, das Bahnhofsquartier mit Hotels "zu verschandeln". Die Stadtmission ist im Kiez das Widerstandsnest.

Am Dienstagabend, als der SPD-Baustadtrat von Mitte, Ephraim Gothe, mit den Architekten und Investoren die Pläne zur Neugestaltung des "Wohngebiets Lehrter Straße" vorstellte, erlebte die Stadtmission ihre Verwandlung. Die Entwürfe für unterschiedliche Wohn- und Reihenhäuser als kleine Siedlung entlang der Eisenbahntrasse erhielten - von ein paar kritischen Ausnahmen begleitet - lautstarken Beifall. Dass sich einst Bezirk und Anwohner um den Erhalt der Kleingärten und der Freiräume an der Lehrter Straße keilten und 500 geplante Wohneinheiten abgelehnt wurden, war am Dienstag vergessen. Die Anwohnerinitiativen, der Bezirk und die Architekten Carpaneto Schöningh sowie FAT Koehl (Berlin) hatten in einem zeitaufwendigen Abstimmungsprozess Kompromisse erzielt. Der 17 Hektar lange unbebaute "Wüstenstreifen" soll möglichst offen bebaut werden. Die 500 Wohneinheiten wurden auf 300 gekappt.

Auch Stefan Wagner von der CA-Immo-Tochter Vivico Real Estate, der das große Grundstück gehört, war ganz locker. Ihm gefällt der Plan aus Zeilen, Blöcken und Einzelbauten. Ab 2011, wenn Baurecht besteht, werde man die Fläche vermarkten, sagte er. 2012 soll die Bebauung "losgehen". Die Parzellen würden aber nicht an große Entwicklungsträger verkauft, "sondern an kleinere Bauherren und Baugruppen". Es soll auf eine "sozial verträgliche Entwicklung" geachtet werden. Und die Vorgaben der Planung würden respektiert.

Es bleibt abzuwarten, ob dies in zwei Jahren an dieser Stelle und im Riesenquartier Heidestraße, für das es gleiche Aussagen der Vivico gibt, noch gilt. Denn einen Steinwurf weiter, rund um den Hauptbahnhof und die Invalidenstraße, wo die Vivico, die Bahn AG, der Ölkonzern Total, Hotelinvestoren und das Land Berlin hektargroße Flächen besitzen, steuert der städtebauliche Masterplan seiner Auflösung und die Flächennutzung allein dem Prinzip höchster Rendite entgegen. Wann es dort "losgeht", weiß niemand.

Bislang wenigstens ist südlich und nördlich des Bahnhofs und rund um den Humboldthafen wo 40.000 Quadratmeter Land mit Wohnungen, Büros und Kultureinrichtungen realisiert werden sollen, nur wenig gebaut. Auf dem Washingtonplatz erhebt sich das plumpe Meiniger-Hostel. Kritiker monieren, es versperre den Blick auf das Bahnhof-Glasdach. Für vier geplante Büroblöcke gegenüber dem Kanzleramt wiederum finden sich keine Projektentwickler. Den kunstvollen Ungers-Kubus, ein 40 Meter hohes Bürocenter, hat die Vivico mangels Investoren auf Eis legen müssen.

Am nördlichen Europaplatz, einer gleichen Einöde aus altem und neuem Straßenraster sowie staubigen Brachen, sieht es nicht besser aus. Ein paar Kräne drehen sich um die erste Rohbau-Etage des Motel One, eine von Anwohnern der Lehrter- Ecke Invalidenstraße stark kritisierte Bettenburg mit 500 Zimmern. Alle restlichen Projekte - zumeist Hotels - sind in der Schublade liegen geblieben: Das Meermann-Chamartin Hotel- und Kongresscenter am Tunnelausgang gibt es bis heute nur auf dem dortigen Plakat. Das einmal vorgesehene 100 Meter hohe Bahn-Hotelhaus am Nordeingang des Bahnhofs ist abgesetzt. Der Mineralölriese Total will ein zweites Turmhaus jetzt bauen. Die Flächen rund um den Humboldthafen für Berlins kleine "Hafencity" samt Kunsthalle hat der Liegenschaftsfonds nicht losbekommen. Darum ist mittlerweile fast jeder Investor willkommen.

Was ist los am Hauptbahnhof? Auf Fragen, warum das so ist, antworten die Grundstückseigner recht einsilbig. Beim Liegenschaftsfonds verweist man auf die Finanzkrise und den Kunsthallen-Flop, die Halle sollte ein "Motor" für das Gelände sein. Die Vivico spricht von einem "langem Atem", den man dort zur Stadtentwicklung brauche. "15 Jahre" und mehr gibt SPD-Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer der Fertigstellung des Bahnhofsquartiers. Gut gerechnet.

15 bis 20 Jahre: Dass dabei der Masterplan von 1994 von Oswald Mathias Ungers, der eine kompakte Bebauung rund um das Bahnhofsareal vorsieht, zusehends zerrieben wird, ist evident. Doch nicht nur die Fraktur von Raum und Zeit, sondern auch die der Auslastung und Nutzung des Areals hat Konsequenzen, befürchtet Franziska Eichstädt-Bohlig, grüne Bauexpertin: "Das Planwerk dort ist nicht mehr viel wert, wenn jedem Investor zugestanden wird, dass er machen kann, was er will."

Es sei "ärgerlich", wenn mit jeder isolierten Hotelplanung der homogene Gesamtplan noch mehr aufgegeben werde. Auch Harald Bodenschatz, Stadtplaner an der TU, moniert die Entwicklungsmethode. Es sei deutlich geworden, dass die Bahnhofsvorplätze und der Humboldthafen nicht mehr als Stadträume gestaltet würden, "sondern sich durch die neu geplanten Bauten eher zufällig ergeben werden". "Keine überzeugende Lösung", findet Bodenschatz und fordert eine "öffentliche Debatte" über die Zukunft des Bahnhofsviertels. Zu Recht.

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