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Staatsschutz ermittelt wegen GraffitisMit Kanonen auf Sprüh­dosen

In Göttingen sind großformatige Graffitis aufgetaucht, die Flucht und Seenotrettung thematisieren. Nun ermittelt der Staatsschutz.

Aus Sicht der Polizei eine Straftat mit politischem Hintergrund: eines der neuen Göttinger Graffitis Foto: Katrin Raabe

Göttingen taz | Zwei Schiffe im tosenden Meer. Zwei Wesen – halb Mensch, halb Fisch, halb über, halb unter Wasser – kämpfen gegen das Ertrinken. Oben Schrift: „Fascism. Sicherer Hafen. Seebrücke. Lager abschaffen.“ Auf einem anderen Bild treibt ein Rettungsring im Ozean. Zwei Tiere sitzen darin, Igel oder Schuppentiere, es ist nicht genau zu erkennen. Ein Stück weiter: Ein Zaun aus scharfkantigem Stacheldraht, eine Zange, die den Draht durchtrennt, eine Ratte auf dem Sprung über diesen Zaun. Das Bild daneben, in Blautönen, zeigt eine Frau und die Worte „My Body“.

Wohl nie zuvor sind in Göttingen so aufwendige, eindrucksvolle und künstlerisch ansprechende Graffiti aufgetaucht wie Mitte Dezember: Auf einer Mauer und einer Wand am Rand der Innenstadt hinterließen unbekannte Sprayer:innen und Maler:innen mehr als ein Dutzend großformatige bunte Bilder. Mehrere Motive thematisieren die elende Situation von Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen und die Seenotrettung, andere die Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen.

Am 17. Dezember informierte die Göttinger Polizei in einer Pressemitteilung über den Vorgang. Sie gehe „aufgrund der Inhalte von einer politisch motivierten Protestaktion aus“, hieß es darin: „Das Staatsschutzkommissariat hat Ermittlungen wegen Sachbeschädigung aufgenommen.“ In der Mitteilung und via Facebook rief die Polizei Zeugen auf, sich zu melden. Weil die Erstellung der Graffiti „vermutlich mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden gewesen“ sei, hofften die Ermittler:innen auf Personen, die das Vorhaben beobachtet hätten.

Das ganz dicke Staatsschutz-Geschütz gegen Wand- und Graffiti-Maler:innen? In vielen Kommentaren unter dem Facebook-Post wird Unverständnis geäußert. „Das ist die schönste Sach­beschädigung, die ich jemals gesehen habe. Trotzdem bleibt es Sach­beschädigung. Leider“, heißt es zum Beispiel. Oder: „Das ist eher künstlerisch wertvoll, als dass es Sach­beschädigung ist.“ Ein User schrieb: „Echt jetzt?? Sach­beschädigung? Die Bilder sind der absolute Hammer!!!“

Das „Stellwerk“, ein Netz Göttinger Kreativwirtschaft mit derzeit 85 Mitgliedern, hinterfragt ebenfalls das Vorgehen der Polizei. Hier werde „mit Kanonen auf Spatzen geschossen“. Gleichzeitig wird die künstlerische Qualität der Graffiti betont: „Muss angesichts solcher Arbeiten heute noch ernsthaft darüber diskutiert werden, ob Graffiti Kunst sein können? Oder ob Kunst politisch sein darf?“

Die Polizei habe gar keine andere Wahl gehabt, als den Staatsschutz einzuschalten, rechtfertigte Sprecherin Jasmin Kaatz am Mittwoch gegenüber der taz die polizeilichen Abläufe. Wenn ein politischer Hintergrund einer Straftat angenommen werde, komme automatisch der Staatsschutz ins Spiel. Das gelte gleichermaßen für Taten „von links, von rechts oder von wem auch immer“.

Unterdessen finden die Wandmalereien immer mehr Verbreitung. Die Fotografin, Web-Designerin und Bloggerin Katrin Raabe hat Bilder der Graffiti auf ihrer Homepage veröffentlicht. Nicht nur bei Raabe weckt das Werk an den Göttinger Mauern Assoziationen an den britischen Street-Art-Künstler Banksy.

Der schrieb unter anderem: „Graffiti ist nicht die niedrigste Form der Kunst. Obwohl man nachts herumschleichen und seine Mutter anlügen muss, ist es eigentlich die ehrlichste Kunstform, die es gibt. (…) Eine Wand war schon immer der beste Ort, um seine Arbeit zu veröffentlichen.“

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