Staatsleistungen an Kirchen: Eine Idee der Weimarer Verfassung
Jährlich zahlt der Staat eine halbe Milliarde Euro an die Kirchen. Die Ampel-Koalition will das stoppen. Die Forderung danach ist 100 Jahre alt.
Grund dafür ist etwa die Säkularisierung kirchlicher Gebiete Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals wurden Besitztümer der Kirche wie Ländereien und Immobilien enteignet und den weltlichen Landesherren übertragen. Um weiterhin laufende Kosten begleichen zu können, übernahm der Staat die Finanzierung der Bischöfe und Kardinäle und anderer notwendiger Ausgaben.
Schon vor mehr als 100 Jahren hieß es in Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung, dass diese Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften durch die Landesgesetzgebung abgelöst werden sollten. Die Grundsätze hierfür hätte die Weimarer Republik aufstellen sollen. Dazu kam es nicht. Auch in das Grundgesetz der BRD wurde dieses Ablösegebot übernommen. Weiter ist seitdem nichts geschehen.
Gesetzentwurf schon 2021 vorgestellt
Laut Koalitionsvertrag soll das jetzt geändert werden. „Wir schaffen in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen“, heißt es dort. Doch was bedeutet das? Was braucht es, um das jahrhundertealte Vorhaben der Weimarer Republik endlich umzusetzen?
Der FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser erklärt: „Der Bund ist dafür zuständig, den Rahmen festzulegen, in welchem die Verhandlungen zwischen Ländern und Kirchen über die Ablösung der Staatsleistungen stattfinden. Der Grundgedanke der Weimarer Verfassungsväter und -mütter war, dass der Bund bei der Ablösung keine eigenen Interessen hat und so als unabhängiger Makler zwischen den Interessen agieren kann.“
Zu vereinbaren sind dabei drei Dinge: der Spielraum für die Höhe der Entschädigungssumme, die Verhandlungszeit, die Kirche und Länder dafür bekommen, und die Zeit, in der die Summe dann abbezahlt sein muss.
Strassers Partei stellte schon im Mai 2021 zusammen mit der Linken und den Grünen im Bundestag einen Gesetzesentwurf vor. Dieser wurde damals von der Großen Koalition abgelehnt. Der Entwurf sah eine fünfjährige Frist für den Erlass von Gesetzen zur Ablösung der Staatsleistungen für die Länder vor. Die Ablösung sollte dann binnen 20 Jahren abgeschlossen sein und hätte auch in Raten erfolgen können. Als Ablösefaktor wurde das 18,6-Fache der aktuellen jährlichen Leistungen vorgeschlagen. Das entspräche um die 11 Milliarden Euro, die die Länder insgesamt innerhalb von 20 Jahren an die Kirchen hätten zahlen sollen. Danach wären sie von den Staatsleistungen befreit.
Unter anderem stimmte damals die SPD-Fraktion dem Entwurf nicht zu. Auch der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci sprach sich gegen den Entwurf aus. Das heißt nicht, dass seine Partei dem Auftrag des Grundgesetzes, die Staatsleistung abzuschaffen, nicht endlich nachkommen möchte. „Bisher wurden in die Diskussion die Bundesländer nicht mit einbezogen, obwohl sie die Kosten der Ablösung zu tragen haben, deshalb sind bisherige Vorschläge auch nicht zustimmungsfähig gewesen“, sagt er. Eine finanzielle Entflechtung von Staat und Kirche liege aber in beiderseitigem Interesse.
Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz, der den Gesetzesentwurf von 2021 mit ausarbeitete, ist überzeugt davon, dass auch die Kirchen ein Interesse an der Abschaffung der Staatsleistungen haben. Für sie bedeute das Emanzipation vom Staat und mehr Autarkie. Überzeugt werden muss also niemand mehr. Vielmehr geht es jetzt darum, die angemessene Höhe der Ablösesumme zu verhandeln – aufwendige Verhandlungen, die bisher immer wieder aufgeschoben wurden, über ein Jahrhundert lang.
Konstantin von Notz, Grüne
Es sei positiv, „dass die Koalition die Ablösung der Staatsleistungen angehen will und dazu Gespräche mit Gebern und Empfängern der Staatsleistungen sucht, also den Ländern, Landeskirchen und Diözesen“, so ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland. Doch man solle die Ablösesumme anhand des Äquivalenzprinzips ermitteln. Das heißt, für eine wertgleiche Entschädigung sorgen, also einen Ersatz bieten für entgangene Erträge, die zum Beispiel Ländereien erbracht hätten. Dabei könnten beispielsweise auch enteignete Immobilien an die Kirchen zurückgegeben werden. Bei der Berechnung der Höhe der Entschädigung würden die bisherigen Zahlungen nicht mit einfließen. Den Ländern werde dann ermöglicht, nach oben und unten moderat davon abzuweichen.
Auch Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, betont: „Die Kirche wird sich einer weitergehenden Lösung nicht verschließen, wenn und soweit diese ausgewogen ist.“ Die Entscheidung liege bei den einzelnen Bistümern. Allerdings habe es bislang, nicht zuletzt wegen der damit verbundenen sehr erheblichen Kostenverpflichtungen, keine diesbezügliche Initiative des Bundes gegeben. Auf weitere Details wie konkrete geforderte Ablösesummen wolle er derzeit nicht eingehen. In einer Stellungnahme zum im vergangenen Jahr vorgelegten Gesetzentwurf hieß es, dass die katholische Kirche es für sinnvoll halte, „die Bundesländer und Kirchen frühzeitig in die Beratungen über ein Grundsätzegesetz einzubeziehen“.
Wenn es nach Rechtswissenschaftler Johann-Albrecht Haupt von der Humanistischen Union ginge, haben Kirchen bereits mehr als genug bekommen. Er ist Sprecher des „Bündnisses altrechtliche Staatsleistungen abschaffen“, kurz BAStA, und setzt sich schon länger für die Ablösung der Staatsleistungen ein. „Die 20-jährige Übergangspflicht, wie sie FDP, Grüne und Linke vorgeschlagen hatten, sollte aber verkürzt werden. Denn diese würde bedeuten, dass die Kirchen 24 Milliarden Euro zusätzlich bekämen“, sagt er. Eine Ablösesumme sollte es ihm nach überhaupt nicht geben.
„Diese Forderung, die Staatsleistungen ohne jegliche Ablösesumme einzustellen, ist schlicht nicht verfassungskonform“, erklärt der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz. „Es mag sein, dass Menschen diesbezüglich ein Störgefühl empfinden. Jedoch muss eine faire Ablösesumme ausgehandelt werden. Als Vergleich: Wenn man jahrelang zur Miete lebt, hat man ja auch nicht Anspruch auf die Wohnung, auch wenn sie längst abgezahlt wäre.“ Wenn es nach seiner Partei gehe, kann das kommende Gesetz so aussehen wie der vorangehende Entwurf. Doch wahrscheinlich werden neue Verhandlungen nötig sein. „Das Ganze ist kein trivialer Prozess. Es gibt 22 Landeskirchen und 27 Bistümer“, erklärt von Notz.
Das Gesetz wird noch diese Legislaturperiode kommen, da ist sich Strasser sicher. Bundesjustizministerium und Innenministerium müssen nur noch einen Termin finden, um dieses zu entwerfen. Er plädiert dafür, das Gesetz als Grundlage „möglichst schlank“ zu halten, das heißt, mit möglichst wenigen Vorgaben, um den einzelnen Kirchen und Ländern möglichst viel Spielraum für freie Verhandlungen untereinander zu lassen. Es sei nicht auszuschließen, dass es bezüglich der 18,6-fachen Ablösesumme Korrekturen geben werde.
„Wir können jedenfalls keine weiteren 100 Jahre warten“, sagt von Notz. Es werde zwar kurzfristig teuer werden, doch sei der Zeitpunkt erreicht, eine Abhängigkeit aufzuheben, von der lange Zeit Länder und Kirchen profitiert hatten. Das sei ein guter Gedanke der Väter und Mütter des Grundgesetzes gewesen.
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