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Staatsaufträge nur bei TarifbindungZoff um Regierungspläne

Nach Plänen der Ampelkoalition sollen Unternehmen ohne Tarifbindung künftig bei öffentlichen Aufträgen leer ausgehen. Das finden die Arbeitgeber doof.

Kanzler Scholz, Arbeitgeberpräsident Dulger und DGB-Vorsitzende Fahimi nach einem Treffen im Oktober Foto: Bernd Elmenthaler/imago

Berlin dpa/taz | In der Debatte über staatliche Vorgaben für die Wirtschaft hat Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger vor Plänen der Bundesregierung für mehr Tarifbindung gewarnt. „Man kann eine höhere Tarifbindung nicht erzwingen“, sagte Dulger der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. DGB-Chefin Yasmin Fahimi dagegen hält die Ampelpläne für unzureichend. Angesichts milliardenschwerer staatlicher Unterstützung wegen hoher Energiepreise forderte Fahimi: „Keine Staatsknete mehr für Unternehmen, die sich der Sozialpartnerschaft in Form von Mitbestimmung und Tarifbindung entziehen.“

Seit Jahren sinkt die Zahl der Arbeitnehmer:innen, die in einem tarifgebundenen Unternehmen arbeiten, denn immer mehr Firmen entziehen sich der Pflicht zu Tariflöhnen, indem sie aus dem Arbeitgeberverband ihrer Branche aussteigen oder eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung wählen. Die Beschäftigten dieser Betriebe verdienen oft deutlich weniger als die Kol­le­g:in­nen in Unternehmen mit Tarifbindung und haben schlechtere Bedingungen, etwa weniger Urlaub oder Weihnachts- und Urlaubsgeld.

Nach den Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung sind mittlerweile 74 Prozent der Betriebe in Deutschland weder an einen Flächen- noch einen Haustarifvertrag gebunden. Bundesweit arbeiten gerade noch 51 Prozent der Beschäftigten auf einer tarifvertraglichen Grundlage – in den ostdeutschen Ländern sind es sogar nur 43 Prozent. Vor zwei Jahrzehnten verfügten demgegenüber noch fast 74 Prozent der Beschäftigten bundesweit über einen Tarifvertrag.

In ihrem Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP die Stärkung der Tarifbindung versprochen. So soll eine Tariftreueregelung auf Bundesebene eingeführt werden. Wörtlich heißt es in der rot-grün-gelben Vereinbarung: „Zur Stärkung der Tarifbindung wird die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden, wobei die Vergabe auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung beruht.“

Öffentliche Aufträge nur noch bei Einhaltung von Tarifverträgen?

Der Bund soll demnach künftig nur noch Aufträge an Unternehmen vergeben dürfen, die sich an Tarifverträge halten. Auf der Arbeitgeberseite stößt das auf keine Begeisterung. Dulger wandte sich denn auch entschieden gegen eine Verknüpfung von öffentlichen Ausschreibungen und Tarifgeltung. „Davon halte ich wenig“, sagte der baden-württembergische Unternehmer.

Mit diesen Regeln werde Deutschland nur noch komplizierter und schwieriger. „Sie werden gerade bei der Ausschreibung der öffentlichen Hand erleben, dass immer weniger Handwerksbetriebe Lust haben, Angebote zu machen, weil einfach die Fallstricke zu groß sind“, so Dulger.

Fahimi dagegen sagte der dpa: „Laut einer EU-Richtlinie muss zukünftig jedes EU-Mitgliedsland eine Tarifbindung von mindestens 80 Prozent erreichen, andernfalls muss ein nationaler Aktionsplan durch die Regierung erstellt werden.“ In Deutschland sei das mittlerweile dringend notwendig.

Nach ihrer Überzeugung werde die beabsichtigte verpflichtende Tarifbindung im Vergaberecht allein nicht reichen. „Auch die Versorgungsaufträge des Bundes und die Wirtschaftshilfen etwa zur Bremsung der Energiepreise müssen zwingend daran gebunden sein, dass sich Unternehmen dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen“, forderte Fahimi.

Streitpunkt „modulare Tarifanwendung“

Dulger mahnte hingegen, Tarifbindung sei Sache der Tarifpartner, der Staat dürfe lediglich unterstützend eingreifen. „Aber mit Zwängen und mit Verboten kommt man nicht weit“, sagte der Arbeitgeberpräsident. „Bei den Betrieben ist die Tarifbindung tatsächlich zurückgegangen“, räumte Dulger ein. Um gleich hinzuzufügen: „Der Rückgang bei den Mitgliedern in den Gewerkschaften wird in der Diskussion immer vergessen.“

Seines Erachtens müsse zwischen tariflich Beschäftigten und tarifgebundenen Betrieben unterschieden werden. Schließlich könnten auch Arbeitgeber, die nicht Mitglied im Arbeitgeberverband sind, oder Arbeitnehmer:innen, die nicht in der Gewerkschaft seien, Tarifverträge für ihre Arbeitsbedingungen nutzen. Außerdem gebe es gute Arbeit auch ohne Tarifverträge. „Oftmals auch dadurch, dass man die zentralen, aber nicht alle Regeln daraus auswählt“, sagte Dulger.

Diese modulare Tarifanwendung sei ein Beitrag für mehr Tarifbindung und das Gegenteil von Tarifzwang. „Und wenn wir zu Recht alle Beschäftigten hinzuzählen, die eine solche Geltung von Tarifverträgen vereinbaren, aber nicht tarifgebunden sind, weil sie es nicht sein wollen, dann ist die Bindung viel höher“, betonte Dulger.

Fahimi wandte sich strikt gegen modulare Tarifverträge. „Tarifverhandlungen sind kein Bonbonladen, in dem man sich das Reizvollste aussucht“, stellte die DGB-Chefin fest. Tarifverträge seien das Ergebnis von Verteilungskämpfen. „Und Tarifverträge sind Gesamtpakete, in denen es auch um Arbeitszeit, Urlaubsansprüche, Pflege, Gesundheitsvorsorge, Altersvorsorge und Weiterbildungsansprüche gehen kann.“

Nur Teile dieser Gesamtverabredung einzuhalten wäre so, „als zögen sie den Beschäftigten hintenrum das Geld wieder aus der Tasche“. Fahimi forderte, dass die Arbeitgeber die Möglichkeit beenden, dass Unternehmen ohne Beteiligung an Tarifverträgen im Arbeitgeberverband Mitglied sind.

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1 Kommentar

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  • Es ist erwiesen, dass die Institution Gewerkschaft zum sozialen Frieden bzw. zur Befriedung sozialer Klassenunruhen in Deutschland -historisch betrachtet- beiträgt.



    Wenn hier aus reinem Profitstreben und weiterem Ausbau des Niedriglohnsektors dieser soziale Frieden und das Auseinaderdivergieren der sozialen Schere unbegründet forciert wird, ist dies doch in Bezug auf die heutigen Spaltungen innerhalb der Gesellschaft und der Rentenfragen unverantwortlich.



    Zudem bin ich auch der Meinung, dass ein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell so aufgestellt ist, dass es keine auskömmlichen Löhne auf Basis deutscher Lebenshaltungskosten zahlen kann, oder im Zuge von überhöhten Gewinnabschöpfungen zahlen will, mit Recht vom Markt (Marktwirtschaft) verdrängt werden kann und muss.



    Insofern ist es m.E. unkritisch, wenn der Staat normale und stabile marktwirtschftliche Vergabekriterien ansetzt. Als Auftraggeber darf er dies auch.