Staatsanwaltschaft muss doch ermitteln: Kein Freibrief für Volksverhetzer
„Judenpresse“ riefen im November in Braunschweig Rechtsextreme Journalist*innen zu. Die Generalstaatsanwaltschaft fordert nun Ermittlungen.
Am Dienstag nun ordnete die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig weitere Ermittlungen gegen das Mitglied der rechtsextremen Kleinstpartei an. Die Staatsanwaltschaft muss nun „wegen Verdachts der Volksverhetzung und Beleidigung“ wieder ermitteln. Die Generalstaatsanwaltschaft hat damit die erste Entscheidung aufgehoben und „mehreren Beschwerden stattgegeben“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Am 15. November vergangenen Jahres hatte Kiese bei einer Veranstaltung von „Die Rechte“ zum Volkstrauertag die Drohung ausgesprochen und auch gleich noch von „Judenpack“ gesprochen. Ein kurzes Video des Journalisten Moritz Siman dokumentiert die Aktion. Keine 20 Sekunden lang ist der Clip mit dem 51-jährigen „Urgestein“ der regionalen Szene, der schon bei der verbotenen „Freiheitlichen Partei Deutschlands“ (FAP) aktiv war. Mit einem Stock in der Hand läuft er über eine Wiese, die Worte sind deutlich zu hören. Bei Twitter hatte Siman den Auftritt beim „Heldengedenken“ noch am selben Tag veröffentlicht. Die Polizei nahm die Ermittlungen auf.
Knapp drei Monate später fasst der Journalist David Janzen aus Braunschweig bei der Staatsanwaltschaft nach und erfuhr, dass die Ermittlungen eingestellt wurden. „Die Worte ‚Jude‘ und ‚Judenpresse‘ sind insoweit schon objektiv keine Beleidigungen – ebenso wenig wie ‚Christ‘ oder ‚Moslem‘„, erklärte ein Pressesprecher der Staatsanwaltschaft in einer Stellungnahme. Die „Bezeichnung ‚Pack‘“ wäre durchaus eine Beleidigung, doch die Geschädigten hätten hierzu keinen Strafantrag gestellt, führte der Pressesprecher aus.
Schwelle der Strafbarkeit
Zudem habe sich die „Aussage 'Feuer und Benzin für euch“ nicht auf „einen abgrenzbaren Teil der Bevölkerung“ bezogen, „wie dies für eine Volksverhetzung erforderlich gewesen wäre. Pressevertreter, auf die diese Aussage möglicherweise bezogen gewesen sei, würden keinen solchen abgrenzbaren Bevölkerungsteil darstellen. Der Aussage fehle zudem der erforderliche Appellcharakter, sagt der Pressesprecher und fasst zusammen, dass „die Aussage ‚Feuer und Benzin für euch‘ (…) sicherlich grenzwertig“ sei, „die Schwelle zur Strafbarkeit“ sei „aber noch nicht überschritten“.
Die Einstellung des Verfahrens blieb nicht ohne Folgen. In den vergangenen Monaten erfolgten immer wieder antisemitische Äußerungen bei rechten Aktionen, sagt Janzen, der seit Jahren massiv aus der rechtsextremen Szene bedroht wird. Erst am 2. Mai riefen ihm bei einer „Querdenker“-Demonstration in Braunschweig Anhänger der „Rechten“, die sich mit eingereiht hatten, die Worte „Juden-Janzen“ und „Geh nach Israel“ zu und verbreiten seine Wohnadresse.
Auch „Die Rechte“ hatte am 16. Februar die Einstellung öffentlich gemacht. „Hier mal etwas positives (sic!) von der Staatsanwaltschaft“, schrieben sie bei Twitter, darunter die Hashtags „#Judenpresse“, „#FeuerundBenzin“ und „#Meinungsfreiheit“. Im März veröffentlichte die Partei zudem eine angeblich „ironische“ Umfrage zu einer ihrer Kundgebungen, in der sie fragte, ob man komme. Eine der möglichen Antwort zum Ankreuzen: „Ja, aber ich bin von der Presse aus Israel“.
Auf das fatale Signal, das von der Einstellung des Verfahrens ausgegangen sei, wies auch die Antisemitismusbeauftragte des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen, Rebecca Seidler, hin. Es sei nicht „hinnehmbar, dass Rechtsextreme antisemitische Äußerungen tätigen können ohne Konsequenz“, sagte sie.
Staatsanwaltschaft stellte Freibrief aus
Helge Regner von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Niedersachsen (Rias) ist überzeugt, dass die Kontextualisierung der Aussagen die Botschaft deutlich macht. Es sei nicht überraschend, dass Mitglieder von „Die Rechte“ bei einem Aufmarsch Gegendemonstrant*innen Sätze wie diese zuriefen: „Das deutsche Volk will Euch in die Gaskammer packen.“ Regelmäßig werde „Nie wieder Israel“ skandiert. Kiese habe zudem gerufen: „Auf zur Synagoge“.
„De facto stellte die Staatsanwaltschaft Martin Kiese mit ihrer Einstellung des Verfahrens einen Freibrief aus, weiterzuhetzen“, resümiert Rias. Auch der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst, legte gegen die Entscheidung Einspruch ein.
Dieser „Freibrief“ könnte nun entzogen werden. Die Generalstaatsanwaltschaft erklärte jetzt, dass die „mutmaßlichen Äußerungen des Beschuldigten“ einen Anfangsverdacht für den Tatbestand der Volksverhetzung und Beleidigung darstellten, so dass weitere Ermittlungen geboten seien. Ob aber auch eine Anklageerhebung folgte, könnten jedoch erst die Ermittlungen ergeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil