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Staatsanwalt über übereifrige Kollegen„Nur fünf Prozent Freisprüche“

Christoph Frank vom Deutschen Richterbund verteidigt Staatsanwälte gegen den Vorwurf, sie zerstörten mit nicht gerechtfertigten Ermittlungen fahrlässig Existenzen.

Die Verteter der Anklage im Wulff-Prozess: Staatsanwältin Anna Tafelski und ihr Kollege Clemens Eimterbäumer. Bild: dpa
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Herr Frank, die Staatsanwaltschaft ist ins Gerede gekommen. Haben die Ankläger manchmal zu viel Jagdfieber?

Christoph Frank: Nein, überhaupt nicht. Die Annahme, dass wildgewordene Staatsanwälte bei bestimmten Ermittlungen ihre Profilsucht austoben, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

Es könnte doch passieren, dass sich ein Staatsanwalt zu sehr in einen Fall verbeißt und Erfolg um jeden Preis sucht?

Es ergibt für einen Staatsanwalt gar keinen Sinn, um jeden Preis eine Anklage zu erheben. Damit würde er nur auf die Nase fallen. Schließlich muss er zunächst das unabhängige Gericht überzeugen, dass es die Anklage überhaupt zulässt. Und in der Hauptverhandlung müssen die von der Staatsanwaltschaft präsentierten Zeugen und Beweismittel die Richter so überzeugen, dass es keinen vernünftigen Zweifel an Täterschaft und Schuld des Angeklagten mehr gibt.

Die Staatsanwälte müssen also stets andere überzeugen?

Genau. Der deutsche Strafprozess ist von vielen Kontrollen und Gegenkontrollen geprägt. Auch Beschuldigte und Geschädigte haben Rechtsmittel und können ihre Interessen einbringen. Dieses System ist auf höchstmögliche Wahrheitsermittlung angelegt. Es ist so ausgewogen und differenziert wie keine andere Rechtsordnung auf der Welt.

Bild: privat
Im Interview: Christoph Frank

61, ist seit 2007 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, in dem auch Staatsanwälte organisiert sind. Frank arbeitet als Oberstaatsanwalt in Freiburg.

Dann dürfte es ja so gut wie nie Freisprüche geben, wenn die Staatsanwaltschaften nur perfekt abgezirkelte Anklagen vorlegen?

Auch wenn es Sie überraschen mag, die Zahl der Freisprüche liegt deutlich unter fünf Prozent.

Im Fall Wulff wurde der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, sie habe übermäßigen Aufwand betrieben, wegen eines angeblichen Vorteils von 700 Euro …

Die Staatsanwaltschaft musste ermitteln, weil ein Anfangsverdacht der Bestechlichkeit vorlag. Das bestreitet niemand. Und weil zuvor die Medien jeden Stein im Leben von Christian Wulff umgedreht hatten, lagen ziemlich viele Vorwürfe auf dem Tisch, die alle überprüft werden mussten. Die meisten Punkte wurden dann eingestellt – was schon zeigt, dass nicht einseitig ermittelt wurde.

Aber war ein Prozess um zuletzt 700 Euro wirklich nötig?

Das Gericht, das Wulff jetzt freigesprochen hat, hatte die Anklage zunächst zugelassen, das heißt, es hielt eine Verurteilung für hinreichend wahrscheinlich. Im übrigen sind Bestechlichkeit und Vorteilsannahme immer strafbar, egal ob der mutmaßliche Vorteil nun 700 oder 700.000 Euro beträgt.

Im ebenso umstrittenen Fall Edathy erstaunt es, dass seine Räume nach Kinderpornographie durchsucht wurden, obwohl Edathy laut BKA in Kanada nur strafrechtlich irrelevante Bilder und Filme bestellt hatte. Ist das korrekt?

Im Prinzip ist so etwas möglich, wenn die kriminalistische Erfahrung sagt, dass in solchen Fällen häufig auch strafbare Kinderpornographie zu finden ist. Dann kann auf diesen Erfahrungssatz ein Anfangsverdacht gestützt werden. Es geht ja nur um den Beginn von Ermittlungen, nicht um eine Verurteilung. Eine Durchsuchung ist auch nur dann möglich, wenn ein unabhängiges Gericht ebenfalls von diesem Erfahrungssatz überzeugt ist.

Heißt das, auch ein Pädophiler, der sich an die Gesetze hält, muss damit rechnen, dass ihm aus „kriminalistischer Erfahrung“ strafbares Verhalten unterstellt wird?

Es darf keinen Automatismus geben. Es muss in jedem Einzelfall umfassend geprüft werden, ob auch wirklich ein Anfangsverdacht vorliegt.

Die Hannoveraner Staatsanwaltschaft hat im Fall Edathy ihren Anfangsverdacht in einer Pressekonferenz begründet. Wurde Edathy da nicht vorschnell bloßgestellt?

Grundsätzlich ist das Ermittlungsverfahren nicht öffentlich – auch zum Schutz des Beschuldigten. Wenn der Staatsanwaltschaft allerdings die Verfolgung Unschuldiger vorgeworfen wird, muss sie ihr Vorgehen erläutern können. Ob es dabei notwendig war, den Inhalt der bestellten Filme genau zu beschreiben, lasse ich jetzt mal offen.

Hat die Staatsanwaltschaft überhaupt genug Personal, um die Ermittlungen wirksam zu steuern?

Die Staatsanwaltschaften sind leider unterbesetzt. Das macht es schwer, das beschriebene hervorragende System des deutschen Strafverfahrens stets umzusetzen. Bundesweit fehlen einige hundert Staatsanwälte.

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18 Kommentare

 / 
  • B
    Bürger

    95% Verurteilungen sind eines Rechtsstaates nicht würdig.

     

    75% schon eher.

     

    Wird dringend Zeit, dass es wieder Geschworene gibt und damit Volksjustiz.

  • F
    Frühling

    Herr Frank gibt die Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft völlig falsch wieder. Leider werden renommierte Juristen und Journalisten, die in ihren Büchern und Artikeln schreiben, wie die Justiz wirklich funktioniert, seit Jahren mit horrenden Geldstrafen belegt. An den Schulen sollten die Bücher der Justizkritiker Pflichtlektüre sein. Eine gute Deutschland-Chronik öffnet auch die Augen.

  • T
    thogo

    JaJa, die "neutralste Behörde der Welt". Braucht man sich nur mal den Spaß machen und 1..2 Tage beim örtlichen Gericht den Zuschauer spielen.

    Es ist sehr ernüchternd...

  • Das es nur 5% Freisprüche gibt, liegt an der großen Zahl der Einstellungen von denen ein Großteil eigentlich Freisprüche sein müssten. Diese werden in der Mehrzahl der Fälle ausgehandelt ("gedealt") nach dem Motto Prozessrisiko des Angeklagten gegen Statistikfälschung (und Arbeitserleichterung) für das Gericht. Und das wissen Sie auch ganz genau, Herr Rath. So etwas dann nicht anzusprechen ist wirklich keine journalistische Glanzleistung.

     

    Im Übrigen wäre es gut gewesen noch deutlicher herauszustellen, dass hier ein Staatsanwalt interviewt wird. Das haben ganz offenbar viele überlesen.

    • 7G
      774 (Profil gelöscht)
      @Markus:

      Ein Staatsanwalt als Vorsitzender des deutschen Richterbundes. Die stecken alle unter einer Decke. Und dann reden sie auch noch von der besten Rechtsordnung der Welt. Die beste Rechtsordnung zugunsten der Staatsanwaltschaft vielleicht.

  • G
    Geschädigter

    Und warum nur 5%

    Ganz einfach. Weil man als unschuldiger Angeklagter keine Chance hat und aus Kostengründen (anders als z. B. Wulff) darauf verzichtet, sein Recht zu bekommen und lieber einem faulem Kompromiss zustimmt.

    Man ist dann zwar vorbestraft, aber wenigstens nicht pleite und das Leben kann weiter gehen ...

    • 7G
      774 (Profil gelöscht)
      @Geschädigter:

      Richtig. Es ist günstiger, eine Haftstrafe abzusitzen, als für sein Recht zu kämpfen. Bei Schwurgerichtsprozessen sowieso.

  • A
    Anfangsverdacht

    Noch ein Wort zur

    "...kriminalistischen Erfahrung".

    Wie wir alle wissen, werden mit Küchenmessern Hunderte von Straftaten begangen, ebenso mit Autos. D.h. im Grund besteht bei jedem, der ein Küchenmesser kauft oder es benutzt oder ein Auto kauft oder es benutzt, der Anfangsverdacht für eine Straftat.

  • W
    Wodoo

    Nie vergessen, zu den 95% der Verurteilten zählen auch Leute wie Gustl Mollath und Harry Wörz. Die Quote der falschen Verurteilungen geben Insider mit mindestens 25% an.

    • 7G
      774 (Profil gelöscht)
      @Wodoo:

      25% Fehlurteile. Darüber berichten die obrigkeitshörigen Medien natürlich nichts.

      • W
        Wodoo
        @774 (Profil gelöscht):

        Doch eigentlich schon...im Mollath Prozess tauchten recht viele kleine Meldungen mit zum Teil bitter böser Justizkritik auf. Zugegeben, man muss Tante Google gezielt täglich das Netz durch wühlen lassen, um solche Meldungen zu bekommen. Die großen Blätter schweigen das mehr oder weniger tot, aber die kleinen Lokallätter bringen hin und wieder mal echte Systemkritik.

  • O
    Olli

    "Schließlich muss er zunächst das unabhängige Gericht überzeugen, dass es die Anklage überhaupt zulässt."

     

    Mich würde ja mal interessieren, wie oft ein Gericht eine Anklage nicht zulässt.

    Gefühlt sind das 0,1 %, aus dem einfachen Grund heraus, dass man sonst die Beschwerde der StA an der Backe hat.

  • R
    runzbart

    es gibt zwei sachen, die bring ich nicht so recht zusammen:

    "Im Prinzip ist so etwas möglich, wenn die kriminalistische Erfahrung sagt, dass in solchen Fällen häufig auch strafbare Kinderpornographie zu finden ist. Dann kann auf diesen Erfahrungssatz ein Anfangsverdacht gestützt werden."

     

    und

     

    "Es darf keinen Automatismus geben. Es muss in jedem Einzelfall umfassend geprüft werden, ob auch wirklich ein Anfangsverdacht vorliegt."

     

    im ersten zitat wird eingeräumt, dass ein anfangsverdacht auch durch die kriminalistische erfahrung abgedeckt bestehen kann, also gerade keine einzelfallprüfung, da ja vom allgemeinen auf das spezielle geschlossen wird. ja wie denn nun?

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Der Richter nimmt die Staatsanwaltschaft in Schutz. Das beweist, auf wessen Seite er steht und zieht seine Unparteilichkeit in Frage.

     

    "Der Staatsanwalt muß in der Verhandlung überzeugen." Eine glatte Lüge. Wenn es zur Verhandlung kommt, ist das Gericht bereits von der Schuld überzeugt, sonst gäbe es schließlich überhaupt keine Verhandlung. Die gesamte Last über Wohl und Wehe trägt der Verteidiger, der häufig selbst mit der Staatsanwaltschaft verklüngelt ist.

     

    Gerechtigkeit in Deutschland ist eine reine Geldfrage. Verurteilt werden nur Angeklagte, die sich keinen guten Verteidiger leisten können.

    • @774 (Profil gelöscht):

      Dann warten wir mal das Urteil bei Hoeness ab.

      Bei Freiheitsstrafe: War dann die Justiz zu hart

      Bei Freispruch: War dann die Regel mit der Geldfrage richtig?

      Sehr komplex

      • 7G
        774 (Profil gelöscht)
        @Demokrat:

        Ohne Geld kann man sich jedenfalls gleich schuldig bekennen.

    • @774 (Profil gelöscht):

      Ist das jetzt Rechts-oder Linkspopulistisch?

      • WI
        Was ist ein Anfangsverdacht?
        @Frank Mustermann:

        Viel wichtiger ist eigentlich, daß wir (wieder) in einer Gesellschaft leben, in der Grunde

        willkürlich oder auch nach bloßem Ermessen von ermittelnden Behörden ein Anfangsverdacht (->"kriminalistische Erfahrung") festgestellt werden darf.Das wiederum ermöglicht ein Ermittlungsverfahren, welches den Betreffenden erheblich in seinen Grundrechten einschränkt.

        Im Fall Edathy kann man möglicherweise froh sein, daß es solche Regelungen gibt, aber wieviele Menschen aufgrund der kriminalistischen Erfahrung unschuldig unter Verdacht gestellt werden, weiß niemand.