Spurensuche in der Ukraine: In der Steppe der Erinnerung
Familie, Italien und die Ukraine im Krieg: Nina Kunzendorf liest „Kalte Füße“ der italienischen Bestseller-Autorin Francesca Melandri.
Francesca Melandri ist eine Schriftstellerin, die ihr Land hartnäckig nach seiner Vergangenheit befragt. In bisher drei Romanen – zur Südtirolproblematik („Eva schläft“), zu den Jahren des Terrorismus („Über Meereshöhen“) und zum italienischen Kolonialismus („Alle, außer mir) – hat sie diese Introspektionen aber nie zur pompös-sterilen Geschichtsstunde genutzt, sondern immer auf die Zumutungen der Gegenwart gezielt.
Zumutungen: Denn wozu brauchen wir Intellektuelle, wenn sie nicht den Mut haben, sich zu den großen Fragen der Zeit zu positionieren, analysierend, erzählend, zweifelnd?
Der russische Überfall auf die Ukraine war Anlass, die eigene Familiengeschichte – die immer ein Wust von Anekdoten und Mythen ist – zu lichten. Melandris Vater Franco kämpfte als Soldat der italienischen Armee in eben jenen Gegenden, die heute wieder in den Nachrichten auftauchen als Schauplätze des ukrainischen Abwehrkampfs.
18 Folgen, in der ARD-Mediathek.
Wie hängt das zusammen? Damals, der Vater, Faschist und Offizier, Teil des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion; und heute, die russischen Gräuel gegen die souveräne ukrainische Nation, die – daran erinnert Melandri immer wieder – eben auch ihren eigenen, sehr großen Anteil an der Niederlage des Faschismus hat.
Gewiefte Erzählerin
„Kalte Füße“ hat sie diese auf Deutsch gerade bei Wagenbach erschienene Spurensuche genannt; und so, als Suche, ist sie, eingelesen von Nina Kunzendorf, als Produktion von NDR und BR zu hören.
Zum Vorbeiplätschernlassen eignet sich die Produktion nicht. Melandri ist eine gewiefte Erzählerin – sie hat lange als Drehbuchautorin gearbeitet –, aber „Kalte Füße“ ist eine Recherche in der erbarmungslosen Eissteppe der Erinnerung ebenso wie in den grausamen Youtube-Videos der Gegenwart.
Meldandri schält Erkenntnis heraus und fordert ihr Publikum dabei auch heraus. Nina Kunzendorf bringt das brechtisch im Gestus, liest mal fast kühl prüfend, mal den Text mit ihrem Timbre zum Glühen bringend.
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