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Sprengung des Uni-Turms in Frankfurt30 Jahre Ausnahmezustand

Im AfE-Turm wurden Politikformen, Drogen, Piratensender, Zeitschriften und Liebesbeziehungen ausprobiert. Nun wird zurücknormalisiert. Mit Sprengstoff.

Gesammelte Werke: Aufzug im AfE-Hochhaus. Bild: dpa

An einem Samstag in den neunziger Jahren verfolgten mich Polizisten, CDUler und Streifenwagen quer durch die Frankfurter Innenstadt. Ich hatte während einer Unterschriftenaktion der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft Unterschriftenlisten gestohlen. Am darauffolgenden Montag betrat ich unter Applaus den AfE-Turm der Frankfurter Uni, jenes Gebäude, in dem die Gesellschaftswissenschaften untergebracht waren, und wusste, das war der Ort, an dem wir uns und den Rest der Welt neu erfinden konnten.

Ein Gefühl von grenzenloser Machbarkeit war uns gegeben. Die Grenzen dessen und die Widersprüche, in die auch wir verstrickt waren, erkannten wir erst viel später. Dass wir nur die letzte Generation in einem 30 Jahre währenden historischen Ausnahmezustand waren, die Idee war uns nicht gekommen.

Am Turm hatte der hegemoniale Teil der Studierenden und Professoren zwischen 1973, dem Jahr, in dem er in Betrieb genommen wurde, und 2001, dem Jahr, in dem die Selbstverwaltung der Fachbereiche zugunsten einer autoritären Präsidialuni abgeschafft wurde, einen gemeinsamen Fluchtpunkt. Das war, grob gesagt: die Marx’sche Theorie.

„Was soll ich mich engagieren in Russland, ändern kann ich sowieso nichts“, sagt Olympia-Teilnehmer Maximilian Arndt. Viele Sportler sehen das wie er und schweigen zu Putins Politik. Welche Gründe sie haben und wer den Mund aufmacht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Februar 2014 . Außerdem: Die EU-Staaten überlegen, wie sie in der Zentralafrikanischen Republik intervenieren können. Eine schnelle Eingreiftruppe hätten sie: die EU Battle Group trainiert seit fast zehn Jahren, eingesetzt wurde sie noch nie. Ein Besuch bei Europas vergessener Armee. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Nichts konnte die Dominanz der Kritischen Theorie besser verkörpern als der 116 Meter hohe Turm. Dort waren wir nicht einfach Studenten, wir waren die Turmis. Eine solidarische Gang. Leute, die das ärgerte, bezeichneten den Turm als Schandfleck, gerade so als sei der Rest dieser Stadt mit schöner Architektur gesegnet.

„Im Kommunismus können Hunde fliegen“

Der Turm ist sperrig, ästhetisch nah an der Moderne. Er war in seinem maßlosen Funktionalismus aber auch Ausdruck der bald endenden Ära des Fordismus und der Massenuniversität.

Auf orangefarbenem Linoleumboden vergaß man unter niedrigen Decken hoch über Frankfurt, worauf die Institution Uni von ihrer Struktur her eigentlich ausgerichtet ist: auf die Erzeugung von Einzelkämpfern. „The tower is ours“, „Randale, Bambule, Frankfurter Schule“, „Im Kommunismus können Hunde fliegen“ – zwischen unzähligen Graffitis (Ende des Jahres soll eine Auswahl in Buchform erscheinen, hrsg. v. Albert Schmude) und Heldengeschichten hat man unzählige Politikformen, Lesegruppen, Drogen, Piratensender, Zeitschriften und Liebesbeziehungen ausprobiert. Alles gehörte uns, die Professoren gaben Tipps für Besetzungen. Im Philosophicum schräg gegenüber deutete man hingegen gerne mal mit dem Hinweis, Politik sei nicht die Aufgabe der Philosophie, in Richtung Turm.

Der Anteil der Arbeiterkinder an der Uni hatte sich trotz 68 und trotz Bildungsoffensive nicht wesentlich erhöht. Vielleicht hatte man nur die Inhalte ausgetauscht, an einen emanzipativen Bildungsbegriff geglaubt, aber vergessen, dass, trotz selbstverwalteter Strukturen, die Uni eine höchst bürokratische Institution geblieben war. Immerhin war sie noch kein akademisches Reisebüro wie die Konkurrenzuni nach Bologna.

Am Turm hat man mir beigebracht, dass es nicht um Meinungen geht, sondern darum, die Widersprüche zu suchen. Soziologie heißt, sagte mir mein Professor Heinz Steinert noch 2007 nach seiner Emeritierung in Wien, nicht davonzulaufen, sondern dort hinzugehen, wo es mich ängstigt, wo es wehtut. Wir wussten zu dem Zeitpunkt schon, dass das die Universität selbst war. Gegenaufklärung war der Begriff, mit dem er die Zentralisierung und die Entmachtungen an der Frankfurter Uni zusammenfasste.

Die Uni ist zwischenzeitlich umgezogen in das IG-Farben-Haus, das man so nicht nennt, weil das an die NS-Verstrickungen erinnert. Auf dem neuen Campus regeln private Dienstleistungsfirmen den Aufenthalt an ausgewiesenen Orten, Josef Ackermann ist Ehrenprofessor und die Hörsäle tragen die Namen globaler Finanzinstitutionen. In der sogenannten Wissensgesellschaft sucht man offenbar die Koalition mit der herrschenden Klasse. So gesehen wird zurücknormalisiert, was im Ausnahmezustand war.

Der Turm wird am Sonntag gesprengt. Das ist konsequent. Oder wie mir ein Freund mit den Worten Johnny Thunders schrieb: „You Can’t Put Your Arms Around a Memory.“

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6 Kommentare

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  • F
    Ferdi

    Schöner „Nachruf“, der statt reiner Nostalgie an die eigene Studienzeit auch die politische Dimension aufzeigt, die sich symbolisch mit dem Turm verbindet. (Kleine Anmerkung: Kramer ist nicht der Architekts des AfE-Turms.)

  • O
    o.swoman

    Wir sind die letzten Opfer, dass wir das mit uns machen lassen.

  • I
    iCHristoffel

    Der Turm stürzt ein.

    Der Turm stürzt ein.

    Halleluja, der Turm stürzt ein.

  • D
    Daniel

    Ein bisschen Wehmut kommt schon auf, wenn ich diesen wunderschönen Artikel lese, der mich vollständig in die siebzehn Semester meines dortigen Studiums zurück katapultiert. Damals war es noch akzeptiert, wenn man statt einer Ausbildung echte Bildung genießen wollte, und hat sie mit ein bisschen Mühe auch bekommen. Den Turm haben alle gehasst. Aber in diesem Hass steckte auch viel Hoffnung, dass es genau hier vielleicht doch ein "richtiges Leben im Falschen" gäbe.

     

    Drei Unistreiks mit den Kernforderungen "Äppler für alle" und "Neue Beine für Dr. Dressler" später ist dann wieder Erwarten doch kein einsam revoltierender Taxifahrer aus mir geworden, sondern ein kapitalistisch verwertbarer und verwerteter Familienvater. Mit einem kleinen Turm im Herzen, der ab und zu in Streik geht, wenn Menschen zu Human Ressource oder Konsumenten degradiert werden.

     

    Und dann kommt mir meine Lieblingsschmiererei aus der Cafeteria wieder in der Sinn: Peng, du lebst!

  • H
    Holger

    In Erinnerung an den AfE-Turm:

     

    http://afeturm.tumblr.com/

  • D
    DasMitDemPhallusIstImmerWiederErstaunlich

    Der Turm ist im Unterschied zu vielen Gebäuden auf dem Campus Bockenheim kein Bau von Ferdinand Kramer