Sportlegende Poststadion: Als die Post noch richtig abging

Vor 80 Jahren wurde das Poststadion in Moabit eingeweiht. Das Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft fand hier statt, Max Schmeling boxte in der Arena. In den 70ern verfiel sie, auf der Tribüne wuchsen Bäume. Jetzt ist das Gelände fast fertig renoviert. Es fehlt nur ein Team, das das Stadion füllt.

Das Poststadion an der Lehrter Straße in Moabit wurde zwischen 1926 und 1929 errichtet. Für den Eröffnungstermin gibt es unterschiedliche Angaben. Laut der Stiftung Denkmalschutz Berlin wurde am 28. und 29. Mai 1929 die Platzweihe gefeiert.

Das Stadion befindet sich auf einer Großsportanlage, die von der deutschen Reichspost gepachtet wurde - man hatte erkannt, dass sportlicher Ausgleich Arbeitsausfälle minderte und die Effektivität der Betriebsabläufe steigerte.

In den Achtziger- und Neunzigerjahren scheiterten mehrere Anläufe, das Poststadion zu sanie- ren. Erst im Jahr 2003 wurde mit der Renovierung des maroden Stadions begonnen. Es wird derzeit überwiegend von Schulklassen und Breitensportlern genutzt.

Im vergangenen Jahr lehnte der Bezirk Mitte die Pläne von Tennis Borussia Berlin ab, das Stadion für 16 Millionen Euro vom Architekten Albert Speer umbauen zu lassen. Das Finanzkonzept wurde als unzureichend bewertet. Zudem befürchtete man, dass der breitensportliche Ansatz darunter leiden würde.

Auch die Politik kennt das Stilmittel der Satire. Im Jahr 2000 stellte ein SPD-Bezirksabgeordneter in Tiergarten den Antrag, das Endspiel der Fußball-WM 2006 im Poststadion austragen zu lassen. Ein eigenwilliges Zeichen des Protests, nachdem über Jahrzehnte nichts passiert war an der geschichtsträchtigen Sportanlage nahe der Lehrter Straße. Zwar wurden Architekturbüros regelmäßig damit beschäftigt, kostspielige Planungsentwürfe zu erstellen, doch umgesetzt wurden sie nie und die Natur verleibte sich Stück für Stück das Stadion ein. Stattliche Bäume und Sträucher wuchsen auf den Rängen. Der angrenzende Fritz-Schloß-Park rückte immer näher an das Spielfeld heran.

Das muss man wissen, um zu begreifen, welche Glücksgefühle Rainer Liedtke an diesem Ort übermannen, der vor 80 Jahren eingeweiht wurde. "Das ist ja wieder ein Traumstadion", schwärmt der 58-jährige Liedtke. Bestimmt zehn Jahre sei er nicht mehr hier gewesen, an dieser Stätte, an der er in den 70er-Jahren mit Wacker 04 Berlin die glücklichsten Momente seiner Fußballkarriere erlebte. Damals spielte er mit seinem Club in der Aufstiegsrunde zur 1. Bundesliga.

Dass das Stadion kein Wildpark mehr ist, verdankt es unter anderem der Stiftung Denkmalschutz Berlin, die sich für den Erhalt des kulturellen Erbes der Stadt einsetzt. Angestoßen durch die Zusammenarbeit mit dem Bezirk Mitte begannen Ende 2003 die Sanierungsarbeiten. Und obwohl die Stiftung durch die Vermietung von öffentlichen Werbeflächen längst nicht so viel Geld einspielte wie erhofft und später aus dem Projekt ausstieg, verwandelte sich die Naturnische langsam, aber stetig wieder in einen Sportplatz.

Der gepflegte Rasen sei jetzt "wie ein Teppich", schwärmt Liedtke. Die Gegengerade ist komplett mit Sitzschalen ausgestattet worden. Hinter der Laufbahn des einen Tores wuchert zwar noch der Wald. Hinter dem anderen aber sind die Stehränge nach neuestem Sicherheitsstandard mit Zäunen und Wellenbrechern erneuert worden.

Anfang kommenden Jahres soll auch noch das unter Denkmalschutz stehende bröckelnde Haupttribünengebäude saniert und mit Sitzen versehen werden. Dann wäre das Stadion nahezu regionalligatauglich, sagt Ulrich Schmidt, der Leiter des Sportamts Mitte. Mehr als zwei Millionen Euro werden Senat und Bezirk dann in das 10.000 Zuschauer fassende Rund investiert haben. Dennoch fehlt das Wichtigste: ein regionalligataugliches Team. "Jammerschade" sei das, findet das Liedtke. Nur der Oberligist Berlin Ankaraspor Kulübü spielt hier regelmäßig - vor etwa 40 Zuschauern.

Früher war das ganz anders. 1934 etwa verfolgten 45.000 Menschen das Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft zwischen Schalke 04 und dem 1. FC Nürnberg; ein Jahr später herrschte noch größerer Andrang, als Max Schmeling gegen Paolino Uzcudun boxte. Adolf Hitler hat hier während der Olympischen Spiele 1936 sein erstes und einziges Fußballspiel gesehen, das er vorzeitig erzürnt verlassen haben soll: Die Deutschen verloren gegen Norwegen glatt mit 0:2.

Rainer Liedtke ist nach Moabit gekommen, um sich an seine schönsten 14 Tage in dieser Arena zu erinnern - es waren zugleich die letzten großen Tage, die das Poststadion erlebt hat. Und wenn man Liedtke beobachtet, wie er beglückt und ausführlich von dieser kurzen Zeit im Mai 1974 erzählt, als handle es sich um zwei Jahre seines Lebens; wie er dabei auf dem Rasen einherschreitet und positionsgenau Spielsituationen lebendig werden lässt, dann bekommt man eine Ahnung davon, wie viele spannende Geschichten sich hier abgespielt haben müssen.

Diese letzte große Episode des Poststadions hat Liedtke als Spielmacher von Wacker 04 Berlin maßgeblich mitgeschrieben. Der unscheinbare Verein aus Tegel hatte in der Aufstiegsrunde zur 1. Bundesliga sein erstes Spiel völlig unerwartet in Saarbrücken gewonnen und damit einen Boom ausgelöst. Zum ersten Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg drängten sich viermal so viele Leute vor den Kassenhäuschen als erwartet: 14.000 Zuschauer. "Unser dritter Vorsitzender hat die Einnahmen in einen Alu-Koffer aus unserer Kabine gefüllt, sich draufgesetzt und nach Polizeischutz gerufen", erzählt der einstige Mittelfeldspieler. Wacker 04, ein Team aus Beamten und Studenten, überrannten den schon damals neunmaligen Deutschen Meister. Sensationeller Endstand: 5:0. Der Postbeamte Liedtke schoss das dritte und vierte Tor. Noch heute werde er auf diese Partie immer wieder angesprochen.

Zur nächsten Partie gegen Eintracht Braunschweig strömten knapp 26.000 Zuschauer ins Stadion - so viele waren im Frühjahr 1974 nicht einmal beim Erstligisten Hertha BSC aufgetaucht. Kurzzeitig war Wacker 04 Stadtgespräch. "Wenn wir auf dem Stadiongelände auftauchten, ließen die Insassinnen des nur einen Steinwurf weit entfernten Frauengefängnisses ihre Beine zwischen den Gitterstäben herunterbaumeln und riefen nach uns", erinnert sich Liedtke.

Er erzählt eine Anekdote nach der anderen. Es ist ihm ein großes Anliegen, die Besonderheit "seines" Stadion spürbar werden zu lassen. Deshalb will er auch unbedingt in den Spielertunnel. Dass das Sportamt des Bezirks Mitte Fotos dort verboten hat, weil nichts Marodes abgelichtet werden und an die Öffentlichkeit gelangen soll, kann Liedtke nicht verstehen. Er lässt sich telefonisch mit der Behörde verbinden. "Der Tunnel ist doch mit das Wichtigste! Einmalig in Deutschland", sagt er.

Und als er wenig später durch den 40 Meter langen unterirdischen Gang läuft, der von der Haupttribüne bis zu einer Ecke des Rasenplatzes führt, beschreibt er plastisch das Gänsehautgefühl, die den Magen verkrampfende Anspannung. Den tosenden Lärm, der bis unter die Erde drang und immer lauter wurde. Die letzten Treppenstufen hinauf in die Richtung, in der sich Tausende Zuschauer wie eine Wand vor den Spielern auftürmten. Und schließlich das gladiatorengleich umjubelte Erscheinen direkt in der Wettkampfstätte.

Ein eindrucksvoller Auftritt, der Liedtke leider nur wenige Male vergönnt war. Denn nach den anfänglichen Triumphen scheiterte Wacker in der Aufstiegsrunde. Die Euphorie brach abrupt zusammen. Der Zuschauerschwund war so stark, dass der Verein seine Heimspiele in der neu geschaffenen 2. Liga wieder in Tegel austrug. Das Poststadion verschwand als Veranstaltungsort aus den Spielplänen der höheren Ligen und wurde dem Verfall überlassen.

Rainer Liedtke glaubt, dass neben dem ausbleibenden Erfolg von Wacker auch die miserable Lage des Poststadions schuld daran ist. Die schlechte verkehrstechnische Anbindung und Parkplatzsituation wurde später auch häufig von Politikern ins Feld geführt, wenn Sanierungspläne der maroden Arena abgeschmettert werden sollten. Bedenkt man, dass derzeit das Viertel nördlich des neuen Hauptbahnhofs eine immense Aufwertung mit etlichen neuen Bauprojekten erfährt, könnte dies künftig auch dem Poststadion nützlich sein. Für die Regionalliga sollte es hier allemal reichen, findet Liedtke. "Die türkischstämmigen Vereine Berlin Ankaraspor Kulübü und Türkiyemspor müssten sich zusammentun", fordert er und blickt auf eine Grundschulklasse, die auf dem Rasen der kostspieligen Arena gerade ihren Sportunterricht abhält.

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