Sportartikel-Manufaktur: Von der Milchkuh zum Laufschuh

Die Brüder Ulf und Lars Lunge produzieren in der westmecklenburgischen Provinz die einzigen Laufschuhe mit dem Siegel "Made in Germany". Gepresst, geschnitten und geklebt werden die grellgrünen Schuhe - in einem ehemaligen Kuhstall. Dieser ist eng mit der Geschichte Hamburgs verknüpft.

Soll 2.000 Kilometer Laufspaß gewähren: Ein Lunge-Laufschuh wird hergestellt. Bild: PROMO

Wo vor 100 Jahren Milch aus prallen Kuheutern für die Hamburger Bevölkerung gemolken wurde, stehen heute zwölf Mitarbeiter an Nähmaschinen und Lasern und fertigen grüne Laufschuhe an. Vor vier Jahren kauften die Brüder Lars und Ulf Lunge für 20.000 Euro den alten Kuhstall im westmecklenburgischen Düssin. Auf Arbeitsplätze hoffend steckte das Land Mecklenburg-Vorpommern Fördergelder in die zukünftige Schuhmanufaktur.

Die Bewohner der kleinen Gemeinde im Landkreis Ludwigslust ahnten wohl kaum, dass die neuen Investoren aus Hamburg schon alte Hasen im Sportschuhgeschäft waren. Seit mittlerweile 30 Jahren verkaufen die Lunges in ihren sechs Filialen in Hamburg und Berlin Schuhe für Freizeitjogger und Marathonläufer. Doch nur die großen Marken weiterzuverkaufen reichte den beiden irgendwann nicht mehr. Sie wollten selbst Laufschuhe herstellen.

Mit einer kleinen Probeproduktion in Asien hatten die Brüder nicht das gewünschte Ergebnis erreicht, trotzdem wollten sie weitermachen: im Düssiner Kuhstall. "Für unsere Produktion suchten wir nach einer ausreichend großen Fläche zu einem bezahlbaren Preis", sagt Lars Lunge. Was sie bekamen, war weitaus mehr.

Auf einer Fläche von 6.600 Quadratmetern erstreckt sich der 1911 erbaute Kuhstall. Dieser sieht mit seinem gut erhaltenen Backstein, den roten Dachziegeln und dem auffälligen Turm geradezu herrschaftlich aus. Große Teile des denkmalgeschützten Gebäudes befinden sich jedoch noch im Umbau.

Für die Turnschuhproduktion stehen deshalb etwa 1.100 Quadratmeter zur Verfügung. Es wird wohl noch einige Zeit in die Provinz ziehen, bis die Lunges ihr Ziel von rund 20.000 produzierten Turnschuhen erreicht haben. "Da müssen wir hin", sagt Lars Lunge energisch, während im Hintergrund die Maschinen lautstark pressen, zurechtschneiden und verkleben.

Als im vergangenen Jahr die Bänder anliefen, verschickten die Brüder gerade einmal 1.000 grüne Kartons mit den Männer- und Damenmodellen an neugierige Händler und natürlich in die eigenen Filialen. Die Schuhe in dem unverwechselbaren "Firmengrün" erscheinen auf den ersten Blick puristisch, ja, fast altmodisch.

Während die großen Marken immer mehr auf eine High-Tech-Optik und gewagte Profilstärken setzen, fällt der Lunge-Schuh vor allem durch seine grelle Farbe auf. Doch Läufer sollten sich von der Retro-Optik nicht täuschen lassen. Denn die Schuhsohle besteht aus vulkanisiertem Gummi, wie es auch bei Autoreifen verwendet wird. Außerdem werben die Hamburger damit, dass alle Materialien schadstofffrei sind. Dafür jedoch kostet ein Paar Lunge-Schuhe nicht weniger als 200 Euro.

Das sei natürlich viel Geld, sagt Verkäufer Pascal Naleppa aus der Lunge-Filiale in Hamburg Bahrenfeld. Aber, so rechnet er vor, ein normaler Laufschuh halte im Schnitt 1.200 Kilometer. Der Lunge-Schuh hingegen verspreche eine Haltbarkeit von etwa 2.000 Kilometern.

Gerade einmal 80 Kilometer benötigen die grünen Treter von der Düssiner Manufaktur bis in die Hamburger Filialen. Eine Eisenbahnstrecke verbindet die kleine Gemeinde im Westen Mecklenburgs schon seit fast 100 Jahren mit der Metropole. Den Gleisanschluss an die Strecke Hamburg-Berlin ließ seinerzeit der Hamburger Mühlenbesitzer und Kommerzienrat Georg Plange legen. Über diesen Weg sollten die Hamburger mit frischer Landmilch aus Düssin versorgt werden. Zuvor jedoch ergänzte Plange das 968 Hektar große Rittergut um einen Kuhstall sowie um eine Melkhalle, die an das Stromnetz angeschlossen wurden. Das war zu dieser Zeit auf dem Land nicht selbstverständlich.

Düssin war allerdings nicht nur die Milchkanne Hamburgs, sondern ist auch architektonisch mit der Hansestadt verbunden. Denn für den Entwurf des Kuhstalls wurden die Star-Architekten Ludwig Raabe und Otto Wöhlecke beauftragt. Die beiden Altonaer Baumeister hatten zuvor bereits die St. Pauli Landungsbrücken sowie mehrere Hamburger U-Bahnhöfe entworfen.

Das Ende der goldenen Zwanziger läutete auch auf Gut Düssin eine dunkle Zeit ein. Erst wurde es nach der Pleite der Molkerei an die Stadt Hamburg verkauft, einige Jahre diente es dann als Anstalt für Geisteskranke. 1944 richteten die Nationalsozialisten hier sogar ein Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme ein. Wegen des Mauerbaus brach die historisch gewachsene Bindung an Hamburg ab. Nach der Wende versank der als LPG genutzte Kuhstall dann in die Bedeutungslosigkeit - bis die Lunges kamen.

Die beiden Hamburger beflügeln seither die Hoffnung der Düssiner auf den wirtschaftlichen Aufschwung. Ganz abwegig sind diese Wünsche nicht. Immerhin beweisen die Laufbrüder mit ihren Filialen schon seit Jahrzehnten ein goldenes Händchen. Dank ihrer Erfahrungen im Laufschuhgeschäft sowie der Unterstützung von Orthopäden haben sie - aus ihrer Sicht - den optimalen Laufschuh entwickelt. Dieser trage als einziger das Siegel "Made in Germany". Das schütze vor bösen Überraschungen. "Dann merkt man nicht erst beim Öffnen des Containers, was da produziert wurde", sagt Lars Lunge. Dann sei es nämlich längst zu spät. Im kleinen Dörfchen Düssin aber, 80 Kilometer vor Hamburg, hätten die Lunges alles vor Ort.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.