Spitzelei in Berlin: Jetzt wird Henkel überwacht

Der Berliner Verfassungsschutz beobachtet rund 700 extremistische „Personenzusammenschlüsse“. Linke drehen den Spieß jetzt um.

Aha! Ist das nicht...? Doch, genau! Bild: dpa

BERLIN taz | Sicherheitswahn, Misstrauenslogik, Datengier: Mit diesen Schlagwörtern kritisiert ein Bündnis linker Gruppen und Aktivisten die überbordende Überwachungstätigkeit des Berliner Verfassungsschutzes und appelliert in einer am Freitag veröffentlichten Erklärung an Innensenator Frank Henkel (CDU): „Ziehen Sie Ihre V-Leute aus den engagierten Gruppen der Gesellschaft sofort zurück!“ Die Problematik müsse außerdem „öffentlich und politisch“ im Abgeordnetenhaus debattiert werden.

Der emeritierte Politologie-Professor Peter Grottian, der dem Wissenschaftlichen Beirat von Attac angehört, kündigte zudem eine Art Gegenbespitzelung an: Man plane, Frank Henkels Haus zu überwachen. Auch sei angedacht, „zwei oder drei“ öffentliche Veranstaltungen, an denen der Innensenator teilnehme – etwa zur Olympiabewerbung – systematisch zu stören. „Das allgemeine Bewusstsein hat sich ja schon dahingehend entwickelt, dass viele denken: Was soll’s, wir werden eh alle überwacht“, sagte Grottian der taz. Dem müsse etwas entgegengesetzt werden.

Hintergrund ist die Information, dass der Verfassungsschutz „derzeit 700 Personenzusammenschlüsse“ beobachtet. Das hatte die Senatsinnenverwaltung vor Kurzem in der Antwort auf zwei parlamentarische Anfragen aus der Piratenfraktion mitgeteilt. Die Zahl umfasse „auch Untereinheiten, Untergliederungen und weitere Teilstrukturen von Gruppen sowie Netzwerke und sonstige Gruppierungen ohne feste Organisationsstruktur“. Zu dem vermuteten Gefährdungspotenzial dieser Gruppen oder ihrer Differenzierung nach politischen Lagern nahm die Behörde „unter Berücksichtigung der berechtigten Geheimhaltungsinteressen“ keine Stellung.

Die Unterzeichner der Erklärung ziehen Parallelen zu den Berufsverboten der 1970er Jahre und der Überwachung besetzter Häuser in den 1980er und 1990er Jahren, aber auch zur Ausforschung des Berliner Sozialforums zwischen 2003 und 2006 sowie „der jetzigen Bespitzelung von Flüchtlingsinitiativen“. All das, „um Engagement zu verhindern, Angst einzujagen, Betroffene von Aktionen zivilen Ungehorsams abzuhalten“. Ein unter Henkels Vorgänger Ehrhart Körting (SPD) begonnener „Lernprozess“ werde durch die jetzt publik gewordene massive Aktivität konterkariert.

Henkel unruhig machen

Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehören neben Grottian unter anderem der Soziologe Roland Roth, Wolf-Dieter Narr und Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, Benedict Ugarte von der Initiative Berliner Bankenskandal, Judith Dellheim vom Zukunftskonvent und Wilhelm Fehse vom Berliner Sozialforum. Organisationen und Initiativen wie die Humanistische Union, der Republikanische Anwältinnen und Anwälteverein und das Bündnis Zwangsräumung Verhindern gehören zu den Unterstützern.

Grottian selbst war zwischen 2003 und 2006 als Mitgründer des Berliner Sozialforums vom Verfassungsschutz beobachtet worden, unter anderem ganz direkt durch V-Leute. Das bestätigte der Nachrichtendienst später, legte allerdings Wert auf die Feststellung, die Beobachtung habe nur dem Einfluss autonomer Gruppen auf das Sozialforum gegolten. Besonders aktiv war das Forum bei den Protesten gegen die Hartz-IV-Gesetze im Jahr 2004.

Dass das Mobilisierungspotenzial heute nicht so groß ist wie damals, weiß auch Grottian. Trotzdem ist er sich sicher: „Wir werden den Henkel unruhig machen. Dazu brauchst du keine Massen.“

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