Spionage unter Freunden: BND spionierte wohl Österreich aus
Viele Institutionen in Österreich sollen vom Bundesnachrichtendienst abgehört worden sein. In Wien sind der Kanzler und der Präsident irritiert.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sagte: „Ausspähung unter befreundeten Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünscht, sondern ist nicht akzeptabel.“ Beide äußerten sich auf einer kurzfristig angesetzten gemeinsamen Pressekonferenz. Vor der BND-Affäre hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober 2013 mit Blick auf die NSA-Spionage in Deutschland gesagt: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“
Das österreichische Nachrichtenmagazin „profil“ und die Wiener Zeitung „Der Standard“ berichteten am Samstag, dass der BND zwischen 1999 und 2006 systematisch die Telekommunikation zentraler Einrichtungen in Österreich überwacht habe. Auf Grundlage BND-interner Dateien werde klar, dass in diesem Zeitraum insgesamt 2000 Telefon-, Fax- und Mobilanschlüsse sowie E-Mail-Adressen im Visier des deutschen Nachrichtendienstes gewesen seien.
Die Erkenntnisse seien wahrscheinlich zwar im Grundsatz nicht neu, aber die Details irritierend, erklärten die Politiker. Kurz sagte, erste Verdachtsmomente habe es bereits 2014 gegeben. 2016 habe Deutschland daraufhin gesetzlich geregelt, dass Spionage unter Freunden eingestellt werden müsse.
Österreich wolle jetzt erfahren, wer überwacht wurde und wann die Überwachung beendet wurde. Und es müsse sicher sein, „dass sie beendet wurde“. Falls Daten gespeichert worden seien, müssten sie gelöscht werden. Wenn es neue Informationen gebe, werde möglicherweise die Staatsanwaltschaft in Österreich aktiv.
Parlamentarisches Kontrollgremium bereits aktiv
„Profil“ schrieb, der BND habe sich ab 1999 vor allem für diplomatische Vertretungen und internationale Organisationen in Wien interessiert. Die Datei umfasse mehr als 200 Fernmeldeanschlüsse in 75 Botschaften, darunter die der Länder USA, Iran, Irak, Pakistan, Libyen, Afghanistan, Israel und Nordkorea.
Daneben gebe es abgehörte Nummern beim Ölkartell Opec, zwei Dutzend Nummern bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und 180 bei der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Bei anderen Organisationen der UN seien 128 Anschlüsse verzeichnet, so „profil“. Außerdem seien Dutzende Unternehmen, darunter Waffenproduzenten und andere wichtige Exporteure, im Visier des BND gewesen.
Armin Schuster, CDU
Das Parlamentarische Kontrollgremium der Geheimdienste (PKG) des Bundestags ist bereits aktiv geworden. „Wir prüfen, ob die Vorwürfe neu sind oder ob sie Teil der schon 2015 bekannt gewordenen Vorwürfe sind“, sagte der PKG-Vorsitzende Armin Schuster (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Schuster kündigte erste Erkenntnisse bis Ende der kommenden Woche an. Eventuell werde das Gremium in der übernächsten Woche zu einer Sondersitzung zusammenkommen.
Der CDU-Politiker bekräftigte, dass es „oft weder verhältnismäßig, noch in der Sache erklärbar“ gewesen sei, dass der BND andere europäische Staaten bespitzelt habe. Als Konsequenz habe der Bundestag in der vergangenen Wahlperiode auch das BND-Gesetz geändert. Es setze „dem Dienst ganz andere Voraussetzungen als noch vor 2015“, sagte Schuster.
Zentrum der Spionage in Europa
Der BND ist dem Kanzleramt unterstellt und wird vom Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages überwacht. Die rund 6500 Mitarbeiter dürfen nicht im Inland tätig werden. Die Behörde ist an die in Deutschland geltenden Gesetze gebunden.
Wien gilt neben London und Paris als eines der Zentren der Spionage in Europa. Grund sind die internationalen Einrichtungen und der auch rechtlich eher großzügige Umgang mit dem Thema. Spionage ist im neutralen Österreich nicht strafbar, solange sie sich nicht gegen das Land selbst richtet. „Die Attraktivität Österreichs als Operationsgebiet für ausländische Nachrichtendienste ist unverändert hoch“, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2015.
Das zeige sich schon daran, dass die Zahl der an Botschaften stationierten Nachrichtendienstoffiziere nicht verringert worden sei. Der Grazer Historiker und Geheimdienstexperte Siegfried Beer geht davon aus, dass 7000 Agenten auf der Suche nach geheimen Informationen sind.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
Lindner und die FDP verabschieden sich aus der Politik
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Wahlergebnis der AfD
Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945