Spionage und Paranoia: Pegasus und andere Schnüffler

Das Ausgespähtwerden war mal eine kollektive Angst. Heute nutzen Regierungen wie die polnische Pegasus, und viele zucken nur mit den Schultern.

Filmszene: Ein mann steht vor Bildschirmen

Prophetisches Momento: Szene aus Fritz Langs „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ aus dem Jahr 1960 Foto: Arthur Grimm/United Archives/imago

Als wir 2019 ein halbes Jahr in Berlin verbrachten, passierten plötzlich seltsame Dinge mit unseren polnischen Mobiltelefonen. Wenn wir einander anriefen, schien das Handy manchmal in einer Schleife festzuhängen und wiederholte, was wir ein paar Minuten zuvor gesagt hatten.

Damals wurde bekannt, dass die polnische Regierung in Israel das Pegasus-Programm gekauft hatte, eine Spionagesoftware für zielgerichtete Überwachung. Wir wurden darauf hingewiesen, dass infizierte Handys sich wie unsere verhielten. Die Verbindungsprobleme hörten allerdings schnell wieder auf, und wir vergaßen die Sache.

Pegasus glitt unterdessen, gleich dem mythologischen geflügelten Pferd, über den Himmel vieler Länder hinweg. In Frankreich wurden Minister abgehört, in Ungarn oppositionelle Journalisten. Erst vor einigen Tagen gab Jarosław Kaczyński, der inoffizielle Kopf der polnischen Politik, zu, dass auch Polen Pegasus hatte.

Es kam heraus, dass die polnische Regierung die Spyware benutzte, um Informationen über den Chef des oppositionellen Wahlkampfteams zu sammeln sowie über einen Rechtsanwalt und einen Staatsanwalt. Das Geld für die Anschaffung von Pegasus kam aus dem Fonds des Justizministeriums für Kriminalitätsopfer. Der Bericht des Citizen Lab an der Universität Toronto, der die Anwendung von Pegasus in 45 Ländern belegt, wirft Fragen auf. Allein die Möglichkeit, bespitzelt zu werden, war einmal eine kollektive Angst. Warum zucken heute so viele Menschen bloß mit den Schultern?

In Polen kam das Geld für die Spyware aus einem Topf für Kriminalitätsopfer

Opfer einer Zähmung durch Überwachung

1960 drehte Fritz Lang den Film „Die 1.000 Augen des Dr. Mabuse“. Der teuflische Kriminelle, bekannt aus den Meisterwerken der Weimarer Republik, saß im Luxor Hotel und nutzte Überwachungsvorrichtungen der Nazis, um Hotelgäste zu bespitzeln. In der Ära von „Big Brother“ blieb Langs Film als prophetisches Memento in Erinnerung, sein Echo klang noch in „Das Leben der Anderen“ nach.

1976 drehte der amerikanische Regisseur Alan J. Pakula „All the President’s Men“, eine brillant-verstörende Verfilmung des Watergate-Skandals, der Präsident Nixon zu Fall brachte. Verglichen mit dem Ausmaß der Pegasus-Überwachung erscheint dieser Skandal geradezu retro. Und doch lässt das neue Spionagetool keine Regierungen kollabieren. Man könnte denken, es sei normalen Bürgern egal.

Wir sind wohl Opfer einer Zähmung durch Überwachung geworden. Die sozialen Medien sammeln schon so lange Informationen über uns, dass wir vergessen haben, wie gefährlich das sein kann. Doch der Preis fürs Schnüffeln ist nicht immer nur zielgenauere Werbung. Wie der große Alexander Solschenizyn erklärt hat, sind es gerade die Unschuldigsten und Arglosesten, die in die Falle tappen und sagen: „Ich habe nichts falsch gemacht, also lass sie ruhig zusehen und zuhören.“ Gegenüber raffinierter Überwachungstechnik sind solche Menschen wehrlos.

In der griechischen Mythologie wird das geflügelte Pferd von einem Helden gezähmt. Seine Hybris erzürnt die Götter, und Pegasus wirft ihn von seinem Rücken. Da wir uns an die permanente Überwachung durch Internet­konzerne gewöhnen, wird unser Pegasus wohl leider niemanden abwerfen.

In der Coronakrise vergessen wir manchmal, dass Gesellschaften auch der „Pandemie“ des Misstrauens und der Paranoia anheimfallen können und Überwachung genutzt wird, um politische Gegner zu bespitzeln. Auch dieses Virus kann Grenzen überwinden und uns noch lange erhalten bleiben.

Aus dem Englischen: Nina Apin

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