piwik no script img

Spionage-Prozess in MünchenEr wollte nur ein bisschen Geheimdienst spielen

In München stehen drei Männer wegen Spionage für Moskau vor Gericht. Ein Angeklagter wartete zum Prozessauftakt mit einer recht schrägen Story auf.

München, 20. Mai: der Angeklagte Dieter S. wird in den Gerichtssaal geführt Foto: Angelika Warmuth

München taz | Nein, ein Spion sei er ganz bestimmt nicht gewesen, er habe nur so getan – so lautet in Kurzform die Einlassung des Hauptangeklagten im Spionageprozess, der am Dienstag in München begonnen hat. Eine interessante Umkehrung klassischer Agentenstorys, in denen es den Protagonisten ja zumeist daran gelegen ist, eben nicht als Spion in Erscheinung zu treten. Ein Indiz also für die tatsächliche Unschuld des Angeklagten? Oder doch eher für seine Unprofessionalität?

In jedem Fall, der Eindruck drängt sich auf, muss ein gerüttelt Maß an Dummheit mit im Spiel gewesen sein. Die Details herauszufinden, könnte eine haarige Angelegenheit werden. Kein Wunder also, dass das Gericht 44 Verhandlungstage dafür angesetzt hat. Der Prozess könnte demnach bis kurz vor Weihnachten dauern.

Der Prozess wird im Münchner Hochsicherheitsgerichtssaal verhandelt, der sich unter der JVA Stadelheim befindet. Häftlinge können hier direkt von der Zelle in den Saal geführt werden. Kurz nach 10 Uhr wird Dieter S. gefesselt in den Verhandlungssaal gebracht, zwei Beamte drücken ihm zusätzlich noch die Arme auf den Rücken. Der 40-Jährige, Vollglatze, schwarzer Rauschebart, steht im Mittelpunkt dieses Verfahrens.

Dem Deutschrussen wird vorgeworfen, im Auftrag des russischen Geheimdienstes deutsche und US-amerikanische Zielobjekte für Sabotageakte ausgekundschaftet und sich auch zu solchen Anschlägen bereit erklärt zu haben. Ziel war es nach Ansicht der Generalbundesanwaltschaft, der deutschen Wirtschaft und dem politischen System Schaden zuzufügen, um das Land für seine Unterstützung der Ukraine zu strafen.

In Donezk die Aufmerksamkeit genießen

So soll der Messebauer Dieter S. bis zu seiner Festnahme im April 2024 Informationen über eine Bahnstrecke, eine Ölraffinerie, einen Werkzeughersteller, der auch militärische Produkte herstellt, und den US-Truppenübungsplatz Grafenwöhr gesammelt und an eine russische Kontaktperson weitergeleitet haben. Die Generalbundesanwaltschaft sieht darin eine „geheimdienstliche Agententätigkeit in Tateinheit mit Agententätigkeit zu Sabotagezwecken“. Zudem soll sich S. in den Jahren 2014 bis 2016 in Donezk einer paramilitärischen Gruppe angeschlossen haben, um gegen das ukrainische Militär zu kämpfen.

Neben Dieter S. sind noch zwei weitere Deutschrussen angeklagt. Sie sollen S. beim Ausspähen von Objekten unterstützt haben. Alle drei streiten die Vorwürfe ab. S. ließ seinen Verteidiger eine Erklärung verlesen, in der er angab, sich von 2014 bis 2016 tatsächlich in Donezk aufgehalten zu haben, aber lediglich, weil er dort eine Beziehung zu einer Frau gehabt habe. Für ein Fernsehteam habe er sich dort auch mal als Kämpfer ausgegeben, weil er dafür 100 Euro bekommen und die Aufmerksamkeit genossen habe.

Er habe aber lediglich „geschauspielert“. Dasselbe sei der Fall gewesen, als er später in Deutschland gemerkt habe, dass er observiert werde. „Er dachte, er könnte einen auf Spion machen, um sich deutschen Behörden als V-Mann anzubieten“, so liest der Anwalt vor. Sein Mandat habe Profit aus der Sache schlagen wollen, um seine Schulden loszuwerden. „So wenigstens seine Fantasie.“

Sollten die Vorwürfe gegen S. und seine eventuellen Komplizen zutreffen, würde der Fall zur Einschätzung des deutschen Verfassungsschutzes passen, wonach der russische Geheimdienst, verstärkt auf den Einsatz von „Low Level Agents“, die auch als „Wegwerfagenten“ bezeichnet werden, setzt. Das sind demnach Menschen, die im Zielland beispielsweise über Social-Media-Kanäle angeworben werden.

Also keine professionellen Geheimdienstmitarbeiter, sondern zumeist unausgebildete Menschen, die für einzelne Projekte wie etwa Sabotageakte bezahlt werden, aber darüber hinaus keine engere Verbindung zum Geheimdienst haben. Angeheuert werden laut Verfassungsschutz beispielsweise Leute, die durch prorussische Äußerungen im Internet aufgefallen sind.

Erst vor wenigen Tagen wurden in Deutschland und der Schweiz drei Ukrainer festgenommen, die ebenfalls verdächtigt werden, sich Russland für Sabotagedienste angedient zu haben. Sie sollen Anschläge auf den Gütertransport in Deutschland geplant haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!