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Spielfilm über Frauen im IranEr ist zu alt für Sorgen

Der Film „Ein kleines Stück vom Kuchen“ zeichnet ein realistisches Bild von unterdrückten Frauen im Iran. International wird der Film gefeiert.

Mahin (Lily Farhadpour) und Faramarz (Esmail Mehrabi) bei ihrem ersten Date Foto: Alamode

Dass die 70-jährige Mahin (Lily Farhadpour) sich einsam fühlt, lässt sich komplett nachvollziehen. Ihr Mann ist seit 30 Jahren tot, die Tochter lebt mit ihrer Familie im Ausland und bei den seltenen Kaffeekränzchen mit den betagten Freundinnen, ihren „alten Mädels“, geht es dann gerne um Krankheiten und Darmspiegelungen. Von Letzterer hat eine Freundin mit einem besonders ausgeprägten Krankheits- und Arztfetisch sogar ein Video dabei, hach! Als im Radio von einem Roboter für Einsame die Rede ist, spitzt Mahin die Ohren.

Um dem Trott zu entfliehen, beschließt die Frau, ihr Liebesleben zu reaktivieren. Ein Mann muss her, damit ihre fein während einer Daily Soap lackierten Fingernägel auch einen Adressaten bekommen. Die Frau streift durch Teheran, hält im Restaurant eines Hotels, in dem sie einst zu Konzerten mit hohen Absätzen und tiefen Ausschnitten tanzte, „nicht in dieser Hidschab-Kleidung“, die Augen auf.

Es heißt nicht mehr Hyatt, sondern ironischerweise „Freiheit“, und den geliebten Café glacé gibt es auch nicht mehr. In einem Restaurant, in dem ein paar Rentner ihre Mittagspause verbringen, beobachtet sie den Taxifahrer Faramarz (Esmail Mehrabi), folgt ihm und lässt sich von ihm nach Hause fahren.

Der Film

„Ein kleines Stück vom Kuchen“. Regie: Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha. Mit Lily Farhadpour, Esmail Mehrabi u. a. Iran/Frankreich/Schweden/Deutschland 2024, 97 Min.

Das Regie-Ehepaar Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha erzählt in „Ein kleines Stück vom Kuchen“ mit feinem Humor und zarter Melancholie von Frauen im Iran, von einem späten Treffen zweier Seelenverwandter und von Begehren im Alter. Doch selbstverständlich ist der Film des Duos nicht einfach eine gut geschriebene und äußerst charmant gespielte romantische Tragikomödie, sondern eine, die im Iran spielt und damit: ein Politikum.

Unheilvolle Vibes

Die Kritik am iranischen Regime und später auch unheilvolle Vibes begleiten den Film. Einmal wird die Kritik sehr konkret, als Mahin einer jungen Frau gegen die Sittenpolizei hilft, die diese wegen ein paar sichtbaren Haaren verhaften will. „Je unterwürfiger du bist, desto mehr unterdrücken sie dich“, erklärt sie der dankbaren Frau, die im Park ist, um ihr Date zu treffen.

Auch dass Lily Farhadpour die Hauptrolle spielt, ist ein politisches Statement, denn die Autorin und Übersetzerin engagiert sich als Menschenrechtlerin, ist Mitglied der NGO „Mütter für den Frieden“ und kam auf Kaution aus dem berüchtigten Evin-Gefängnis frei.

In ihrem letzten Film „Ballade von der weißen Kuh“, der auf der Berlinale Premiere feierte, erzählten die beiden von einer jungen Witwe, deren Mann unschuldig zum Tode verurteilt wurde – eine kinematografische Auseinandersetzung mit dem kruden iranischen Justizsystem. 2023 nahm man ihnen, als sie für die Postproduktion von „Ein kleines Stück vom Kuchen“ nach Paris reisen wollten, am Flughafen die Pässe ab und drohte mit Klagen.

Bei einer kurz darauf erfolgten Razzia im Zuhause des Filmeditors wurde Filmmaterial beschlagnahmt. Aufgrund des Ausreiseverbots konnten Moghaddam und Sanaeeha ihren Film nicht selbst auf der diesjährigen Berlinale präsentieren, wo er im Wettbewerb Weltpremiere feierte und den Fipresci-Preis und den Preis der Ökumenischen Jury erhielt.

Repression und Gewalt

Seit Jahren schon ist die Geschichte des international rezipierten iranischen Kinos zugleich auch eine von staatlichen Repressionen und Gewalt gegen die Meinungs- und Kunstfreiheit. Gerade erst floh der von der iranischen Zensurbehörde und dem Sicherheitsapparat malträtierte Regisseur Mohammad Rasoulof vor einer achtjährigen Haftstrafe und Auspeitschung aus seiner Heimat.

Nach der Flucht konnte er seinen aktuellen Film „Der Samen der Heiligen Feige“, der mit einem eigens vergebenen Sonderpreis der Jury geehrt wurde, in Cannes präsentieren. Zur Weltpremiere erhielt der Regisseur fast 15 Minuten Standing Ovations.

Der ebenfalls gefeierte Regisseur Jafar Panahi, mit dem Rasoulof 2010 während der Dreharbeiten zu einem Film über die Proteste nach den iranischen Präsidentschaftswahlen von 2009 wegen „Propaganda gegen das System“ verhaftet worden war, steht unter Berufsverbot, dreht seit Jahren heimlich und schmuggelt seine Filme außer Landes. Panahi wurde im Juli 2022 erneut festgenommen und kam nach einem Hungerstreik im Februar 2023 auf Kaution aus dem Evin-Gefängnis frei.

Dass Kunst kaum mehr unpolitisch sein kann, erzählt viel über den Zustand eines Landes. Und dass diese Kunst nur im Heimlichen passieren kann, in Safe Spaces, noch viel mehr. Der auf den großen Festivals laufende iranische Film spielt nicht selten in Übergangsorten – Panahi hat in seinen semidokumentarischen Filmen das Taxi als Filmset genutzt –, er spielt in inländischen und ausländischen künstlerischen Exilen, im Verborgenen.

Trotz allem Leichtigkeit

Vor diesem Hintergrund wirkt die Tatsache, dass Mahins Schwarm Faramarz Taxifahrer ist und dass sich „Ein kleines Stück vom Kuchen“ schließlich zu einem Kammerspiel entwickelt, wie eine logische Konsequenz für ein kritisches Kino. Doch ist es Moghaddams und Sanaeehas große Kunst, dass ihrem Film trotz allem die Leichtigkeit nicht abhandenkommt.

Besagter Safe Space, in dem Mahin und Faramarz eine zuckersüße Choreografie der Annäherung vollführen, ist die Wohnung der Alleinstehenden. Die entschlossene Frau überredet den Taxifahrer, sie nach Hause zu begleiten. „Park nicht am Haus, die Nachbarn sind neugierig“, lächelt sie ihn an.

Neugierig meint in diesem Fall auch, dass der Mann der Nachbarin für die Regierung arbeitet. Faramarz stand einst selbst im Dienste des Systems und kämpfte als Soldat während der Iranischen Revolution an der Front. Er wurde nie angemessen entschädigt und verbrachte den Großteil der letzten 30 Jahre in Einsamkeit.

Für beide gibt es also viel nachzuholen, und es ist eine Freude, Farhadpour und Mehrabi bei ihrem zarten Tanz und beim Auftauen zuzuschauen. Zu Beginn klemmt Faramarz schüchtern in der Sofaecke, bis Mahin zum Essen Wein serviert. „Schenk uns ein, ich bin zu alt für Sorgen“, sagt er und erzählt, dass er nach dem Alkoholverbot selbst Wein gekeltert habe.

Die Gespräche werden intimer

Das angehende Paar tanzt zu iranischen Oldies, isst in Mahins malerisch bewuchertem Garten, und die Gespräche werden intimer. 30 Jahre habe sie niemand mehr nackt gesehen, sagt sie, und das Begehren lässt die Luft zwischen den beiden vibrieren. Mohammad Haddadis Kamera beobachtet das angehende Paar sanft durch die Räume der Wohnung gleitend und mit langsamen Kreisbewegungen.

„Ein kleines Stück vom Kuchen“ zeichnet ein realistisch-humorvolles, nicht aktivistisch lautes Bild von unterdrückten Frauen im Iran, von dem Wunsch nach Freiheit gegen das theokratisch-patriarchale System. Der Beginn der Dreharbeiten fiel mit den Ereignissen um Jina Mahsa Amini zusammen.

Die 22-jährige kurdischstämmige Iranerin wurde am 13. September 2022 in Teheran wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Hidschab-Gesetz von der Sittenpolizei festgenommen und auf der Polizeiwache derart zugerichtet, dass sie ins Koma fiel und am 16. September in einer Klinik starb. Der Vorfall zog die größten und längsten Proteste gegen das Mullah-Regime seit der Revolution 1979 nach sich.

Moghaddam und Sanaeeha stellen dem brutalen Regime einen Film entgegen, in dem sich die Lebensrealitäten zweier einsamer Seelen, stellvertretend für die vielen Unterdrückten, märchenhaft zu wenden scheinen. Kann man diesem Glück trauen?

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2 Kommentare

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  • Ich denke, dass im Artikel der Film zurecht gelobt wird. Ein wunderbarer Film, der eine alltägliche Geschichte erzählt und unterschwellig ein Bild der iranischen Gegenwart gleich mit.



    Ich finde aber, dass der Autor etwas wichtiges vergessen hat: Es ist im Iran verboten Filme zu drehen, in denen Frauen kein Kopftuch tragen - egal wo sie sind. Und dieses Verbot wird hier komplett umgangen und spiegelt somit die Realität wider. Im Iran tragen die (meisten) Frauen das Kopftuch eben nur an öffentlichen Orten, zuhause wird es sofort abgelegt. In iranischen Filemn geht das aber normalerweise nicht, da müssen Frauen auch zuhause (selbst im Bett!) das Kopftuch tragen. Und genau diese Pflicht umgehen die Filmemacher*nnen hier. Das ist m.E. total wichtig. Kiarostami hatte wegen dieser unsäglichen Pflicht ja keine Filme mehr gedreht, in denen Frauen zuhause zu sehen waren.



    Und: Faramarz hat an der Front gekämpft - aber doch nicht in der Revolution sondern im 1. Golfkrieg. Das konnte sich der Großteil der Männer nicht aussuchen, da Dienste für das System zu sehen, ist zumindest gewagt.

  • Eine beeindruckende Leistung der Filmemacher, trotz aller Widrigkeiten. Er zeigt auf subtile Weise die Realität der Unterdrückung im Iran und die Sehnsucht nach Freiheit. Ein wunderschöner, nachdenklicher Film!